Landessozialgericht Hessen 17.09.2015, L 8 KR 115/15

Urteil über die Vergütung einer stationären Behandlung wegen onkologischer Erkrankung.

  • Aktenzeichen: L 8 KR 115/15
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 28 KR 446/13  
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 17.09.2015

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Behandlung streitig.

Die Klägerin betreibt in A-Stadt ein in den Krankenhausplan des Landes Hessen aufgenommenes Krankenhaus. Der bei der Beklagten gesetzlich versicherte C. C. wurde in der Zeit vom 20. September bis 25. September 2010 wegen einer onkologischen Erkrankung (Zungengrund-Karzinom) vollstationär in der Klinik der Klägerin behandelt. Als chemotherapeutische Behandlung wurde ihm parenteral das Arzneimittel Docetaxel in einer Menge von 150 mg gegeben.

Mit Rechnung vom 6. Oktober 2010 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten 1.812,13 Euro für diese Behandlung geltend. Hierbei legte sie die DRG-Fallpauschale D60C (bösartige Neubildungen an Ohr, Nase, Mund und Hals, mehr als ein Belegungstag, mit äußerst schweren Komplikationen oder Komorbiditäten, ohne starre Endoskopie) zugrunde. Am 8. Oktober 2010 bezahlte die Beklagte diese Rechnung vollständig.

In der Folgezeit fiel der Klägerin auf, dass sie infolge der Applikation von Docetaxel berechtigt gewesen wäre, ein Zusatzentgelt zu berechnen. Am 22. März 2011 übermittelte die Klägerin der Beklagten hierauf eine neue Rechnung über 2.960,64 Euro, mit der sie über die erste Abrechnung hinausgehend das Zusatzentgelt (ZE) 80.03 aus dem Zusatzentgeltkatalog geltend machte. Die Beklagte verweigerte die Bezahlung dieser Rechnung als verspätet, weil außerhalb ihres Haushaltsjahres erfolgt.

Die Klägerin hat am 18. Dezember 2011 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und die Zahlung von 1.148,51 Euro (Differenzbetrag aus 2.960,64 Euro abzgl. gezahlter 1.812,13 Euro) begehrt. Es handele sich vorliegend um eine Fallkonstellation, in der eine Nachberechnung zulässig sei. Nach der Rechtsprechung sowohl des 1. als auch des 3. Senats der BSG komme eine Korrektur einer unrichtigen Rechnung durch das Krankenhaus für die Dauer eines ganzen Geschäftsjahres in Betracht, hier also bis zum Jahresende 2011. Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Rechnungskorrektur sei außerhalb ihres Haushaltsjahres und damit nicht mehr zeitnah erfolgt. Die ordnungsgemäße Rechnungslegung sei der Klägerin, wie das Datum der Erstrechnung zeige, ohne weiteres im maßgeblichen Haushaltsjahr möglich gewesen. Die Beklagte habe aufgrund fehlender gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgehen können, dass die Rechnungslegung der Klägerin sorgfältig erstellt und damit ordnungsgemäß gewesen sei. Auch habe es sich vorliegend nicht um einen offensichtlichen Fehler gehandelt, bei der sie von sich aus eine Korrektur habe vornehmen müssen.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 12. März 2015 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung von 1.148,51 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2011 verurteilt. Die Klage sei als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Juni 2000, Az. B 3 KR 33/99 R; Urteil vom 23. Juli 2002, Az. B 3 KR 64/01 R) und auch begründet. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs sei § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Abs. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen - Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Danach entstehe die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt werde und im Sinn von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich sei. Bei der Klägerin handele es sich um ein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 SGB V und der Patient C. sei während der Dauer der streitigen Krankenhausbehandlung bei der Beklagten versichert gewesen. Unstreitig habe es einer Krankenbehandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses bedurft und sei das Behandlungsziel nicht durch eine teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenbehandlung erreichbar gewesen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Ebenso unstreitig sei, dass die Klägerin in ihrer ersten Rechnung für die erbrachten Krankenhausleistungen unter Berücksichtigung der Fallpauschalenvereinbarung 2010 i.V.m. dem Fallpauschalen-Katalog und dem Zusatzentgelt-Katalog insgesamt 2.960,64 Euro hätte ansetzen dürfen, da die Klägerin erlöswirksam die parenterale Gabe des Arzneimittels Docetaxel in einer Menge von 150 mg als Zusatzentgelt 80.03 hätte kodieren dürfen. Die Klägerin sei nicht nach Treu und Glauben mit der Nachforderung im Wege der korrigierten Schlussrechnung vom 22. März 2011 nach der ersten Rechnung vom 6. Oktober 2010 ausgeschlossen. Hierzu hat das Sozialgericht auf die Entscheidungen des 1. Senats des BSG vom 13. November 2012 (B 1 KR 6/12 R) sowie des 3. Senats des BSG vom 22. November 2012 (B 3 KR 1/12 R) Bezug genommen und daraus geschlossen, dass für die Korrekturmöglichkeit des Krankenhauses stets das Folgejahr einzubeziehen sei. Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des 3. Senats eine Schlussrechnung nur dann korrigiert werden, wenn die Nachforderung oberhalb einer "Bagatellgrenze" von 300 Euro liege und zudem mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreiche. Vorliegend liege die streitige Forderung über 300 Euro und erreiche 5 % des Ausgangsrechnungswertes vom 6. Oktober 2010. Der Fehler der Klägerin in Gestalt der mangelnden Abrechnung des Zusatzentgeltes 80.03 habe nach seiner Art keinen offensichtlichen, ins Auge springenden Korrekturbedarf beinhaltet. Die Schlussrechnung sei auch ohne die nicht kodierte Leistung der Gabe des Arzneimittels Docetaxel in einer Menge von 150 mg nicht unplausibel gewesen. Der Beklagten habe sich aufgrund der Abrechnung vom 6. Oktober 2010 nicht erschließen können, dass die Klägerin die später kodierten Arzneimittel tatsächlich verabreicht hatte. Die korrigierte Schlussrechnung vom 22. März 2011 sei noch "zeitnah" erfolgt. Nach dem Verständnis des erkennenden Gerichts sei für die Korrekturmöglichkeit nicht auf das laufende Haushaltsjahr abzustellen, sondern stets das Folgejahr einzubeziehen, weil für die Korrektur mindestens ein "vollständiges Geschäftsjahr" zur Verfügung stehen müsse. Dies folge insbesondere aus den überzeugenden Ausführungen des 3. Senats des BSG. Soweit die Beklagte darin eine Divergenz im Hinblick auf die Auslegung einer zeitnahen Rechnungskorrektur durch den 1. Senat des BSG sehe, könne das Gericht dem nicht folgen. Der Zinsanspruch folge aus § 10 Abs. 4 und 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Anspruchsbegründender Verzug sei danach am 23. April 2011 eingetreten.

Gegen das am 18. März 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. April 2015 Berufung eingelegt.

Sie meint weiterhin, die Forderung der Klägerin sei verwirkt. Das Sozialgericht behaupte eine Übereinstimmung in der Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG, die bei näherer Betrachtung tatsächlich nicht existiere. Für die Zulässigkeit einer Rechnungskorrektur müsse – im Sinne der erkennbaren Linie des mittlerweile für Krankenhausfälle allein zuständigen 1. Senats des BSG – maßgeblich auf das Haushaltsjahr der Krankenkasse und damit das Kalenderjahr, in welchem die Rechnung erstellt werde, abgestellt werden. Die Krankenkassen müssten darauf vertrauen können, dass jedes Krankenhaus professionell und fehlerfrei abrechne, weshalb es schon grundsätzlich nicht zu Nachberechnungen kommen dürfe. Zudem seien die Krankenkassen auf die Vorhersehbarkeit, Kalkulierbarkeit und tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen, was durch Nachberechnungen außerhalb des Haushaltsjahres konterkariert werde. Bei Nachberechnungen kurz vor Ablauf des Kalenderjahres komme eine Rechnungskorrektur im neuen Haushaltsjahr daher allenfalls in Anlehnung an § 275 Abs. 1c SGB V im Rahmen einer Frist von 6 Wochen in Betracht, die hier nicht eingehalten worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, wenn die Beklagte für die Frage der Verwirkung einer Forderung des Krankenhauses an das jeweilige Haushaltsjahr der Krankenkasse anknüpfen wolle, sei dies ein Weg in die Irre. Zu Ende gedacht dürfte ein Krankenhaus dann seine Abrechnung vom 2. Januar für die Dauer von 360 Tagen korrigieren, eine Rechnung vom 30. Dezember dagegen niemals. Die Regelung in § 67 SGB IV über den Zeitraum, für den ein Haushaltsplan mit den voraussichtlich zu leistenden Ausgaben aufzustellen sei, könne keine zeitliche Grenze für die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse sein. Die Behauptung der Beklagten, nach Abschluss eines Haushaltsjahres dürfe es zu keinen periodenfremden Ausgaben mehr kommen, sei finanztechnisch an den Haaren herbeigezogen. Es sei nicht erkennbar, wie die streitgegenständliche Nachberechnung knapp drei Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres der Beklagte für das Jahr 2010 deren Haushalt für das Jahr 2011 gefährden könne. Die Rechnungskorrektur habe auch keinerlei besonderen Verwaltungsaufwand bei der Beklagten in Bezug auf die Prüfung der Richtigkeit der Nachforderung ausgelöst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Über die Berufung entscheidet der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 1.148,51 Euro nebst Zinsen.

Das Sozialgericht hat zutreffend dargestellt, dass die Klägerin nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsgrundlagen für die erbrachten Krankenhausleistungen einschließlich der chemotherapeutischen Behandlung mit Docetaxel bei dem aufgrund eines Zungengrund-Karzinom vollstationär behandlungsbedürftigen Patienten C. unter Berücksichtigung der Fallpauschalenvereinbarung 2010 i.V.m. dem Fallpauschalen-Katalog und dem Zusatzentgelt-Katalog insgesamt 2.960,64 Euro beanspruchen konnte. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig, weshalb der Senat insoweit von einer weiteren Begründung absieht und auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bezug nimmt; das gilt auch hinsichtlich des Zinsanspruchs der Klägerin.

Die Klägerin war entgegen der Ansicht der Beklagten nicht wegen ihrer vorherigen Schlussrechnung vom 6. Oktober 2010 an der Nachforderung gehindert.

Der Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung in Hessen enthält weder eine Regelung, die die Nachberechnung ausschließt, noch eine solche, die eine zeitliche Grenze dafür setzt. § 10 des Vertrags sieht vor, dass das Krankenhaus über die erbrachten Leistungen Rechnungen in Form von Zwischen- oder Schlussrechnungen stellt. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass eine nachträgliche Rechnungskorrektur ausgeschlossen sein soll. So wie die Krankenkasse auch nach Bezahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf (BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 16) ist ebenso das Krankenhaus noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (BSG, Urteil vom 22. November 2012 – B 3 KR 1/12 R –, SozR 4-2500 § 109 Nr. 28).

Auch wenn es grundsätzlich Angelegenheit der Vertragspartner wäre, im Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V eine zeitliche Grenze und/oder Wertgrenze oder andere Bedingungen für den Ausschluss einer Nachberechnung innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist zu vereinbaren (so zu Recht LSG NRW, Urteil vom 6. Juni 2013, L 16 KR 549/12, juris Rn. 18), steht gleichwohl nach der Rechtsprechung des BSG die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 SGB V gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Vertragspartner einwirkt (vgl. zuletzt Urteile vom 13.11.2012, B 1 KR 6/12 R, und vom 22.11.2012, B 3 KR 1/12 R). Das hat einen zeitlichen und einen wertmäßigen Bezug: die Geltendmachung des restlichen Vergütungsanspruchs muss "zeitnah" erfolgen (dazu weiter unten) und sie muss darüber hinaus eine Bagatellgrenze überschreiten, die der 3. Senat des BSG dahingehend bestimmt hat, dass die Nachforderung über 100 Euro bzw. (ab 25. März 2009) über 300 Euro liegt und zumindest 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreicht. Letztere Voraussetzungen sind vorliegend angesichts eines ursprünglichen Rechnungsbetrags von 1.812,13 Euro und einer Nachforderung von 1.148,51 Euro erfüllt.

Die Klägerin ist aber auch nicht unter zeitlichen Gesichtspunkten nach Treu und Glauben mit der streitigen Nachberechnung ausgeschlossen. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg auf den Einwand der Verwirkung.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Es findet nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr.; zuletzt BSG, Urteil vom 23. Juni 2015 – B 1 KR 21/14 R –, Rn. 10)

Als eine solche "besondere, enge Ausnahmekonstellation" erkennt das BSG den Fall der vorbehaltlos erklärten Schlussrechnung eines Krankenhauses an. Die insoweit maßgebliche zeitliche Grenze für eine mögliche Rechnungskorrektur ist allerdings aufgrund unklarer und widersprüchlicher Aussagen in den Urteilen des 1. Senats des BSG vom 13. November 2012 (B 1 KR 6/12 R) und des 3. Senats des BSG (Urteil vom 22. November 2012, B 3 KR 1/12 R) bisher nicht geklärt. Der Auffassung, durch die Entscheidung des 1. Senats vom 13. November 2012 werde bestätigt, dass der zeitliche Rahmen für zulässige Nachberechnungen für bereits abgerechnete Behandlungsfälle generell das Ende des auf die unrichtige erste Abrechnung folgenden vollen Kalenderjahres sei (LSG NRW a.a.O.), hat bereits Knispel (NZS 2013, 685, 687) widersprochen und dargelegt, dass die Aussagen des 1. Senats durchaus dahingehend zu verstehen sein können, dass nach Ablauf des mit dem Haushaltsjahr der Krankenkasse – die mit dem Kalenderjahr identisch ist (§ 67 Abs. 1 SGB IV) – keine Nachforderungen der Krankenhäuser mehr möglich sein sollen. In diese Richtung könnten auch die Ausführungen des BSG im Urteil vom 23. Juni 2015 (B 1 KR 21/14 R, Rn. 10) zu verstehen sein, wonach ein Ausnahmefall etwa dann vorliegen könne, wenn eine Nachforderung eines Krankenhauses nach vorbehaltlos erteilter Schlussrechnung außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse erfolgt.

Der Senat hält es bereits für grundsätzlich diskussionswürdig, ob einer Rechnungskorrektur innerhalb der laufenden vierjährigen Verjährungsfrist der Einwand der Verwirkung entgegen gehalten werden kann. Inhaltlich lässt sich ein Ausschluss von Vergütungsnachforderungen unter Berufung auf Verwirkung am ehesten für "echte” Bagatellfälle, in denen der Ertrag für das Krankenhaus außer Verhältnis zu dem durch die Rechnungskorrektur verursachten Verwaltungsaufwand steht, begründen (Knispel, NZS 2013, 685). Keinesfalls kann Verwirkung aber bereits mit Ablauf des Haushaltsjahres der Krankenkasse eintreten. Den Krankenhäusern ist, um eine sachgerechte Abgrenzung der Risikosphären zu erreichen, eine Rechnungskorrektur jedenfalls bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Kalenderjahres zu gestatten. Zu Recht macht die Klägerin geltend, dass es ein Weg in die Irre ist, die Zeitnähe der Rechnungskorrektur anhand des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkassen bestimmen zu wollen. Denn damit wird nicht an ein "verwirkendes" Verhalten des Gläubigers angeknüpft, sondern stattdessen starr auf den Zeitraum des laufenden Kalenderjahres abgestellt (§ 67 Abs. 1 SGB IV). Hiervon ausgehend träte für eine Rechnung des Krankenhauses, die am 1. Januar erteilt worden ist, Verwirkung 365 Tage später ein, für eine Abrechnung vom 30. Dezember dagegen sofort. Der Eintritt von Verwirkung setzt aber als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts "während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen" (BSG aaO). Vorliegend geht es um einen Zeitraum von rund fünf Monaten zwischen der ersten Rechnung und der Rechnungskorrektur. Bei der Geltendmachung einer Rechnungskorrektur durch ein Krankenhaus in einem so kurzen Zeitraum nach der Schlussrechnung fehlt es im Sinne der anerkannten Verwirkungsmaßstäbe sowohl am Zeit- als auch am Umstandsmoment.

Eine überzeugende Begründung, warum die Abrechnung im laufenden Haushaltsjahr wesentliches bzw. alleiniges Kriterium für die Zulässigkeit einer nachträglichen Rechnungskorrektur sein soll, lässt sich auch der Entscheidung des BSG vom 8. September 2009 (B 1 KR 11/09 R) nicht entnehmen. Dem Hinweis des BSG, die Krankenkassen seien auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen, weshalb sie sich grundsätzlich auf die "Schlussrechnung" eines Krankenhauses verlassen können müssten, ist zwar grundsätzlich zuzustimmen; es ist in tatsächlicher Hinsicht für die Krankenkassen wichtig zu wissen, ob aus "eigentlich" schon abgeschlossenen Behandlungsfällen noch Nachforderungen erwachsen können, welche die Kalkulation des Haushalts in Frage stellen könnten (Knispel, NZS 2013, 589). In rechtlicher Hinsicht betrifft dieses Interesse der Krankenkassen allerdings allein ihr Binnenrecht. Die Vorschriften über den Haushaltsplan (§§ 67, 68 SGB V) lassen keine Rückschlüsse dahingehend zu, bis zu welchem Zeitpunkt eine Forderung geltend gemacht werden kann. Der Hinweis auf die jahresmäßige Kalkulation greift schon deshalb nicht, weil damit jegliche Abrechnung, also auch die erstmalige, außerhalb des Behandlungsjahres auszuschließen wäre (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. November 2011, L 5 KR 89/10, Rn. 23; zustimmend Knispel NZS 2013, 689). Dass Forderungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen auch außerhalb des laufenden Haushaltsjahres geltend gemacht werden, ist im Übrigen häufig der Fall und betrifft nicht nur Krankenhausabrechnungen, sondern ebenso andere Kostenerstattungsansprüche z.B. nach § 13 Abs. 3 SGB V. Das Argument der Kalkulationssicherheit verliert zudem erheblich an Gewicht, wenn man bedenkt, dass es sich bei der gelegentlichen Korrektur einer nachträglich als fehlerhaft erkannten Krankenhausrechnung nicht um einen Sachverhalt handelt, der eine die Finanzplanung der Krankenkassen ernsthaft in Frage stellende Größenordnung betrifft (vgl. Knispel a.a.O.). Davon zu unterscheiden sind Fälle der systematischen nachträglichen Rechnungsoptimierung etwa unter Auswertung einer für die Krankenhäuser günstigen Rechtsprechung (insoweit zutreffend BSG a.a.O.).

Die Annahme von Verwirkung bei einer Rechnungskorrektur allein unter Hinweis auf den Ablauf des Haushaltsjahres der Krankenkasse erscheint zudem im Hinblick auf andere Fallkonstellationen als unangemessen. Das betrifft zunächst den Aspekt der "Waffengleichheit", weil damit den Krankenhäusern das Recht zur nachträglichen Rechnungskorrektur versagt wird, während umgekehrt dieses Recht den Krankenkassen zugestanden wird (vgl. Knispel a.a.O.). Zudem versagt sie Krankenhäusern bereits nach kurzer Zeit eine Rechnungskorrektur unter dem Aspekt der Verwirkung, also letztlich dem Vorwurf illoyalen Verhaltens gegenüber dem Vertragspartner. Für andere Sachverhalte lehnt das BSG die Annahme von Verwirkung innerhalb der laufenden Verjährungsfrist dagegen grundsätzlich ab, obwohl hier das Verhalten des Krankenhauses als mindestens ebenso "illoyal" bewertet werden könnte. So steht es nach der Rechtsprechung des BSG einem Vergütungsanspruch des Krankenhauses nicht entgegen, wenn dieses im Rahmen der Rechnungsprüfung durch die Krankenkasse jede Mitwirkung verweigert und die zur Überprüfung der Berechtigung der Abrechnung maßgeblichen Unterlagen erstmals mit der 1½ Jahre nach Rechnungslegung erfolgenden Klage vorlegt (BSG, Urteil vom 21. April 2015, B 1 KR 10/15 R, juris).

Vor diesem Hintergrund unterliegt die Ansicht, eine außerhalb des Haushaltsjahres der Krankenkasse erfolgende Nachberechnung sei grundsätzlich verwirkt, aus Sicht des Senats auch verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG im Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit des Krankenhausträgers (dazu BSG, Urteil vom 27. November 2014, B 3 KR 1/13 R, juris Rn. 44) In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass Vergütungsausschlüsse gegenüber einem Unternehmer einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellen und daher einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an grundrechtseinschränkende Gesetze genügen müssen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2014, 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13, m.w.N.). Zwar bedeutet das Fehlen einer ausdrücklichen normativen Regelung nicht notwendig, dass eine die Berufsfreiheit einschränkende Gerichtsentscheidung den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG widersprechen müsste. Auch aus einer Gesamtregelung kann sich unter Berücksichtigung ihrer Auslegung in Rechtsprechung und Schrifttum eine hinreichend erkennbare und bestimmte, den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Regelung der Berufsausübung ergeben (vgl. BVerfGE 37, 67, 77; BVerfGE 54, 224, 234; BVerfGE 82, 209, 224 f.). Der Richter ist, wenn er zu Einschränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung kommt, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken. Diesem gegenüber soll die Verfassungsnorm grundsätzlich sicherstellen, dass er in dem dafür vorgeschriebenen Verfahren prüft und entscheidet, aus welchen Gründen die freie Berufsausübung beschränkt werden soll. Daraus folgt, dass auch der Richter, wenn er Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten ist zu prüfen und darzulegen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in die Freiheit der Berufsausübung eingreift, ferner, dass dieser Eingriff den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht. Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen (zusammenfassend – auch zur Rechtsprechung des BVerfG – hierzu BSG, Urteil vom 1. Juli 2014, B 1 KR 15/13 R, juris Rn. 34).

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist normativ nicht geregelt, sondern findet seine Begründung in allgemeinen Rechtsprinzipien und hat letztlich gewohnheitsrechtliche Züge. Vor diesem Hintergrund einer fehlenden normativen Absicherung dieses Rechtsinstituts und seiner nur durch Richterrecht erfolgten tatbestandlichen Konkretisierung sind aber an die Annahme, eine fällige Forderung sei verwirkt, besondere Anforderungen zu stellen. Sofern von den in der Rechtsprechung anerkannten Maßstäben, unter denen Verwirkung angenommen wird – also insbesondere die oben genannten Kriterien eines erheblichen Zeitablaufs verbunden mit einem Verhalten des Gläubigers, welches den Eindruck vermittelt, dass die Forderung nicht mehr geltend gemacht werde – abgewichen werden soll, bedarf es einer besonderen Rechtfertigung für eine derartige richterrechtliche Ausweitung, die im Grundsatz im Widerspruch zu der rechtlich durch die Verjährungsvorschriften bestimmten Grenze steht, bis zu der ein Gläubiger seine bestehende Forderung geltend machen kann. Solche sind hier aus den dargelegten Gründen nicht zu erkennen, soweit allein der Ablauf des Haushaltsjahres der Krankenkasse zum Kriterium bestimmt wird. Denn §§ 67 Abs. 1, 68 Abs. 1 SGB IV über die Aufstellung des Haushaltsplans durch die Versicherungsträger haben keinen auf die Leistungserbringer zielenden Regelungsgehalt. Die Regelung des § 68 Abs. 2 SGB IV stellt klar, dass der Haushaltsplan nur Innenwirkung entfaltet und Rechte Dritter durch ihn nicht beeinflusst werden. Er ist lediglich die Ermächtigung an Vorstand und Verwaltung, die geplanten Ausgaben tätigen und die eingestellten Verpflichtungsermächtigungen in Anspruch nehmen zu dürfen (West in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 68 SGB IV, Rn. 24 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. August 1983, 8 RK 29/82, SozR 2100 § 69 Nr. 3). Als Anknüpfungspunkt für die Annahme von Verwirkung einer Krankenhausvergütungsforderung ist die Norm zur Überzeugung des Senats damit ungeeignet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a SGG, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung, die Entscheidung über den Streitwert auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.

 

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