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Landessozialgericht Hessen 17.09.2015, L 8 KR 115/15

  • Aktenzeichen: L 8 KR 115/15
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 28 KR 446/13  
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 17.09.2015

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Behandlung streitig.

Die Klägerin betreibt in A-Stadt ein in den Krankenhausplan des Landes Hessen aufgenommenes Krankenhaus. Der bei der Beklagten gesetzlich versicherte C. C. wurde in der Zeit vom 20. September bis 25. September 2010 wegen einer onkologischen Erkrankung (Zungengrund-Karzinom) vollstationär in der Klinik der Klägerin behandelt. Als chemotherapeutische Behandlung wurde ihm parenteral das Arzneimittel Docetaxel in einer Menge von 150 mg gegeben.

Mit Rechnung vom 6. Oktober 2010 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten 1.812,13 Euro für diese Behandlung geltend. Hierbei legte sie die DRG-Fallpauschale D60C (bösartige Neubildungen an Ohr, Nase, Mund und Hals, mehr als ein Belegungstag, mit äußerst schweren Komplikationen oder Komorbiditäten, ohne starre Endoskopie) zugrunde. Am 8. Oktober 2010 bezahlte die Beklagte diese Rechnung vollständig.

In der Folgezeit fiel der Klägerin auf, dass sie infolge der Applikation von Docetaxel berechtigt gewesen wäre, ein Zusatzentgelt zu berechnen. Am 22. März 2011 übermittelte die Klägerin der Beklagten hierauf eine neue Rechnung über 2.960,64 Euro, mit der sie über die erste Abrechnung hinausgehend das Zusatzentgelt (ZE) 80.03 aus dem Zusatzentgeltkatalog geltend machte. Die Beklagte verweigerte die Bezahlung dieser Rechnung als verspätet, weil außerhalb ihres Haushaltsjahres erfolgt.

Die Klägerin hat am 18. Dezember 2011 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und die Zahlung von 1.148,51 Euro (Differenzbetrag aus 2.960,64 Euro abzgl. gezahlter 1.812,13 Euro) begehrt. Es handele sich vorliegend um eine Fallkonstellation, in der eine Nachberechnung zulässig sei. Nach der Rechtsprechung sowohl des 1. als auch des 3. Senats der BSG komme eine Korrektur einer unrichtigen Rechnung durch das Krankenhaus für die Dauer eines ganzen Geschäftsjahres in Betracht, hier also bis zum Jahresende 2011. Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Die Rechnungskorrektur sei außerhalb ihres Haushaltsjahres und damit nicht mehr zeitnah erfolgt. Die ordnungsgemäße Rechnungslegung sei der Klägerin, wie das Datum der Erstrechnung zeige, ohne weiteres im maßgeblichen Haushaltsjahr möglich gewesen. Die Beklagte habe aufgrund fehlender gegenteiliger Anhaltspunkte davon ausgehen können, dass die Rechnungslegung der Klägerin sorgfältig erstellt und damit ordnungsgemäß gewesen sei. Auch habe es sich vorliegend nicht um einen offensichtlichen Fehler gehandelt, bei der sie von sich aus eine Korrektur habe vornehmen müssen.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 12. März 2015 hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung von 1.148,51 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2011 verurteilt. Die Klage sei als (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Juni 2000, Az. B 3 KR 33/99 R; Urteil vom 23. Juli 2002, Az. B 3 KR 64/01 R) und auch begründet. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs sei § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 7 Abs. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen - Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Danach entstehe die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt werde und im Sinn von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich sei. Bei der Klägerin handele es sich um ein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 SGB V und der Patient C. sei während der Dauer der streitigen Krankenhausbehandlung bei der Beklagten versichert gewesen. Unstreitig habe es einer Krankenbehandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses bedurft und sei das Behandlungsziel nicht durch eine teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenbehandlung erreichbar gewesen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Ebenso unstreitig sei, dass die Klägerin in ihrer ersten Rechnung für die erbrachten Krankenhausleistungen unter Berücksichtigung der Fallpauschalenvereinbarung 2010 i.V.m. dem Fallpauschalen-Katalog und dem Zusatzentgelt-Katalog insgesamt 2.960,64 Euro hätte ansetzen dürfen, da die Klägerin erlöswirksam die parenterale Gabe des Arzneimittels Docetaxel in einer Menge von 150 mg als Zusatzentgelt 80.03 hätte kodieren dürfen. Die Klägerin sei nicht nach Treu und Glauben mit der Nachforderung im Wege der korrigierten Schlussrechnung vom 22. März 2011 nach der ersten Rechnung vom 6. Oktober 2010 ausgeschlossen. Hierzu hat das Sozialgericht auf die Entscheidungen des 1. Senats des BSG vom 13. November 2012 (B 1 KR 6/12 R) sowie des 3. Senats des BSG vom 22. November 2012 (B 3 KR 1/12 R) Bezug genommen und daraus geschlossen, dass für die Korrekturmöglichkeit des Krankenhauses stets das Folgejahr einzubeziehen sei. Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des 3. Senats eine Schlussrechnung nur dann korrigiert werden, wenn die Nachforderung oberhalb einer "Bagatellgrenze" von 300 Euro liege und zudem mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswertes erreiche. Vorliegend liege die streitige Forderung über 300 Euro und erreiche 5 % des Ausgangsrechnungswertes vom 6. Oktober 2010. Der Fehler der Klägerin in Gestalt der mangelnden Abrechnung des Zusatzentgeltes 80.03 habe nach seiner Art keinen offensichtlichen, ins Auge springenden Korrekturbedarf beinhaltet. Die Schlussrechnung sei auch ohne die nicht kodierte Leistung der Gabe des Arzneimittels Docetaxel in einer Menge von 150 mg nicht unplausibel gewesen. Der Beklagten habe sich aufgrund der Abrechnung vom 6. Oktober 2010 nicht erschließen können, dass die Klägerin die später kodierten Arzneimittel tatsächlich verabreicht hatte. Die korrigierte Schlussrechnung vom 22. März 2011 sei noch "zeitnah" erfolgt. Nach dem Verständnis des erkennenden Gerichts sei für die Korrekturmöglichkeit nicht auf das laufende Haushaltsjahr abzustellen, sondern stets das Folgejahr einzubeziehen, weil für die Korrektur mindestens ein "vollständiges Geschäftsjahr" zur Verfügung stehen müsse. Dies folge insbesondere aus den überzeugenden Ausführungen des 3. Senats des BSG. Soweit die Beklagte darin eine Divergenz im Hinblick auf die Auslegung einer zeitnahen Rechnungskorrektur durch den 1. Senat des BSG sehe, könne das Gericht dem nicht folgen. Der Zinsanspruch folge aus § 10 Abs. 4 und 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Anspruchsbegründender Verzug sei danach am 23. April 2011 eingetreten.

Gegen das am 18. März 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. April 2015 Berufung eingelegt.

Sie meint weiterhin, die Forderung der Klägerin sei verwirkt. Das Sozialgericht behaupte eine Übereinstimmung in der Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG, die bei näherer Betrachtung tatsächlich nicht existiere. Für die Zulässigkeit einer Rechnungskorrektur müsse – im Sinne der erkennbaren Linie des mittlerweile für Krankenhausfälle allein zuständigen 1. Senats des BSG – maßgeblich auf das Haushaltsjahr der Krankenkasse und damit das Kalenderjahr, in welchem die Rechnung erstellt werde, abgestellt werden. Die Krankenkassen müssten darauf vertrauen können, dass jedes Krankenhaus professionell und fehlerfrei abrechne, weshalb es schon grundsätzlich nicht zu Nachberechnungen kommen dürfe. Zudem seien die Krankenkassen auf die Vorhersehbarkeit, Kalkulierbarkeit und tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen, was durch Nachberechnungen außerhalb des Haushaltsjahres konterkariert werde. Bei Nachberechnungen kurz vor Ablauf des Kalenderjahres komme eine Rechnungskorrektur im neuen Haushaltsjahr daher allenfalls in Anlehnung an § 275 Abs. 1c SGB V im Rahmen einer Frist von 6 Wochen in Betracht, die hier nicht eingehalten worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, wenn die Beklagte für die Frage der Verwirkung einer Forderung des Krankenhauses an das jeweilige Haushaltsjahr der Krankenkasse anknüpfen wolle, sei dies ein Weg in die Irre. Zu Ende gedacht dürfte ein Krankenhaus dann seine Abrechnung vom 2. Januar für die Dauer von 360 Tagen korrigieren, eine Rechnung vom 30. Dezember dagegen niemals. Die Regelung in § 67 SGB IV über den Zeitraum, für den ein Haushaltsplan mit den voraussichtlich zu leistenden Ausgaben aufzustellen sei, könne keine zeitliche Grenze für die tatsächlichen Ausgaben einer Krankenkasse sein. Die Behauptung der Beklagten, nach Abschluss eines Haushaltsjahres dürfe es zu keinen periodenfremden Ausgaben mehr kommen, sei finanztechnisch an den Haaren herbeigezogen. Es sei nicht erkennbar, wie die streitgegenständliche Nachberechnung knapp drei Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres der Beklagte für das Jahr 2010 deren Haushalt für das Jahr 2011 gefährden könne. Die Rechnungskorrektur habe auch keinerlei besonderen Verwaltungsaufwand bei der Beklagten in Bezug auf die Prüfung der Richtigkeit der Nachforderung ausgelöst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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