Landessozialgericht Hessen 19.11.2015, L 8 KR 9/24

Urteil über die Versicherungspflicht von einem GmbH-Geschäftsführer.

  • Aktenzeichen: L 8 KR 9/24
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 31 R 402/12
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 19.11.2015

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) und 2) in ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer/in der Klägerin.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Handel mit Reifen und branchenverwandten Artikeln ist. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer waren - bis zur Bestellung der Beigeladenen zu 1) und 2) zu weiteren Geschäftsführern im Jahr 2011 - die Herren V1 C. und V2 C. V1 C. ist der Vater, V2 C. der Onkel der Beigeladenen zu 1) und 2). Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 127.500 Euro, welches sich wie folgt verteilt:
Firma C. Immobilien mbH & Co KG (105.000 Euro)
V3 C. – Beigeladener zu 1) - (8.750 Euro)
E. – Beigeladene zu 2) – (8.750 Euro) V4 C. (5.000 Euro)
Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der in der Gesellschafterversammlung abgegebenen Stimmen gefasst, wobei je 50 Euro eines Geschäftsanteils jeweils eine Stimme gewähren. Die Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin, die Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG, besteht aus der Klägerin als persönlich haftender Gesellschafterin (Komplementärin) sowie vier Kommanditisten mit folgenden Kommanditanteilen:
V1 C. (570.000 Euro)
V2 C. (770.000 Euro)
V3 C. (Beigeladener zu 1) (105.000 Euro)
E. (Beigeladene zu 2) (105.000 Euro)

Ursprünglich hatten V1 und V2 C. gleich große Kapitalanteile von 770.000 Euro, die Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils von 5.000 Euro. V2 C. hat den Beigeladenen zu 1) und 2) im Jahr 2003 sodann jeweils einen Gesellschaftsanteil von 100.000 Euro schenkweise überlassen.

Nach dem Gesellschaftsvertrag der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 29. April 2002 ist die Klägerin unter Ausschluss der übrigen Gesellschafter allein zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt (Komplementär-GmbH). Gesellschafterbeschlüsse bedürfen der einfachen Mehrheit, je 100 Euro des Kapitalanteils ergeben eine Stimme. Die persönlich haftende Gesellschafterin leistet keine Kapitaleinlage und erhält keinen Kapitalanteil.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragten am 25. Oktober 2011 bei der Beklagten die Prüfung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Nach den vorgelegten, weitgehend wortgleichen Anstellungsverträgen sind die Beigeladenen zu 1) und 2) seit 1. Juli 2011 unter gleichzeitiger Beendigung des bisherigen Anstellungsverhältnisses – zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern der Klägerin bestellt worden. Sie sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Beiden Geschäftsführern obliegt die Führung des Gesamtunternehmens. Der Beigeladene zu 1) leitet die Betriebe in A Stadt und C-Stadt und ist insbesondere für die Organisation und Steuerung des LKW-Reifengeschäftes verantwortlich. Die Beigeladene zu 2) leitet den Betrieb in D-Stadt und ist für die Organisation und Steuerung des gesamten PKW-Reifengeschäftes verantwortlich. Die Anstellungsverträge sind auf unbestimmte Zeit geschlossen und können von der Klägerin nur aus wichtigem Grund unter Einhaltung einer Frist von 6 Monaten zum Schluss des Kalenderjahres gekündigt werden; ein wichtiger Grund ist z.B. die Abberufung des Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung, die Liquidation der Gesellschaft sowie schwere Verstöße des Geschäftsführers gegen gesetzliche Vorschriften (§ 2). Der Geschäftsführer ist hinsichtlich seines Arbeitsortes frei und kann seine Dienstzeit frei bestimmen (§ 3). Als Vergütung ist ein Festgehalt von 3.750 Euro und ein 13. Monatsgehalt vereinbart; daneben besteht Anspruch auf betriebliche Altersversorgung, Dienstwagen und Aufwendungsersatz. Ferner enthalten die Anstellungsverträge Regelungen über bezahlten Erholungsurlaub, Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von 6 Monaten und Verschwiegenheitspflichten.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten stellte die Beklagte mit gleichlautenden Bescheiden vom 10. Januar 2012 – gerichtet an die Klägerin und die Beigeladenen zu 1) und 2) – im Rahmen der Statusfeststellung nach § 7a ff Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) und 2) als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin seit dem 1. Juli 2011 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung begründe. Aufgrund des Kapitalanteils von (lediglich) jeweils 7 % und des daraus resultierenden Stimmrechtsanteils sei es den Beigeladenen zu 1) und 2) nicht möglich, die Geschicke der Klägerin maßgeblich zu beeinflussen. Angesichts der Zahlung fester Bezüge bestehe kein eine selbständige Tätigkeit kennzeichnendes Unternehmerrisiko. Dahinter träten die für eine Selbständigkeit sprechenden Aspekte (Freiheit hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Ausübung der Tätigkeit) zurück. Die Widersprüche der Klägerin vom 26. März 2012 wies die Beklagte mit wiederum gleichlautenden Widerspruchsbescheiden vom 23. Juli 2012 zurück.

Die Klägerin hat betreffend die Beigeladene zu 2) am 14. August 2012 und betreffend den Beigeladenen zu 1) am 17. August 2012 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (S 31 R 402/12 und S 31 R 438/12).

Die Klägerin hat vorgetragen, bei ihr handele es sich um eine klassische Familien-GmbH, die ursprünglich von den Brüdern V1 und V2 C. und deren Ehefrauen gegründet worden sei und in die später ausschließlich die Beigeladenen zu 1) und 2) eingetreten seien, um sukzessiv die Unternehmensfortführung durch die nächste Generation zu sichern. Die Beigeladenen zu 1) und 2) seien dafür gesellschaftsrechtlich sowohl an der GmbH als auch an der Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG beteiligt worden. Ursprünglich seien nach dem Gesellschaftsvertrag der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG die Einlagen der Kommanditisten ausschlaggebend u.a. für das Stimmrecht gewesen. Durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss der Firma C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004 hätten sich die Kommanditisten jedoch darauf geeinigt, dass ungeachtet der unterschiedlichen kapitalmäßigen Beteiligung aller Kommanditisten jeder Kommanditist ein gleiches Stimmrecht haben solle, darüber hinaus sei den Beigeladenen zu 1) und 2) als der Nachfolgegeneration ein Vetorecht bei Beschlussfassungen eingeräumt worden. An dieses "Einstimmigkeitsprinzip" hätten sich die Gesellschafter freiwillig gebunden und so werde es bis heute praktiziert. Da die Immobiliengesellschaft mit 82,36 % Mehrheitsgesellschafterin der Klägerin sei, könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund der Stimmverteilung innerhalb der KG und ihres Vetorechts einseitige Weisungen ebenso wie eine Satzungsänderung zu ihren Lasten verhindern. Die Klägerin hat hierzu den Gesellschafterbeschluss der außerordentlichen Gesellschafterversammlung der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004 vorgelegt, in der folgender einstimmiger Beschluss gefasst worden ist: "Jeder der vier Kommanditisten der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG hat unabhängig von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung ein Stimmrecht von 25 %. Des Weiteren wird den beiden Kommanditisten E. und V3. C. ein Vetorecht eingeräumt. Die Komplementärin A. hat in den Gesellschafterversammlungen kein Stimmrecht."

Die Beklagte hat an ihrer Rechtsauffassung festgehalten. Das eingeräumte Vetorecht spreche nicht für einen maßgeblichen Einfluss der Beigeladenen zu 1) und 2) auf die Geschicke der Gesellschaft. Es handele sich um einen Beschluss, der jederzeit durch einfache Mehrheit wieder aufgehoben werden könne. Darüber hinaus bestehe seitens der Gesellschafterversammlung die Rechtsmacht, durch Beschlüsse über die Tätigkeit der Beigeladenen auch gegen ihren Willen zu entscheiden.

Mit Gerichtsbescheiden vom 10. Dezember 2013 hat das Sozialgericht in beiden Fällen die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 1) und 2) kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV besteht. Der Anstellungsvertrag enthalte zwar Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen wie die feste Vergütung und der feste Urlaubsanspruch. Atypisch sei dagegen der Abschluss des Vertrags auf unbestimmte Zeit, die Freiheit hinsichtlich des Arbeitsortes und der Dienstzeiten sowie die Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer von sechs Monaten. Zu beachten sei auch der Beschluss der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG vom 9. Januar 2004, wonach den Beigeladenen zu 1) und 2) ein Stimmrecht von 25 % und ein Vetorecht eingeräumt worden sei. Damit könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) maßgeblich die Geschicke der Klägerin mitlenken und auch ihnen nicht genehme Weisungen verhindern. Der Einwand der Beklagten, dass dieser Beschluss mit einfacher Mehrheit wieder aufgehoben werden könne, habe sich in den vergangenen 9 Jahren nicht realisiert. Zu beachten sei schließlich der familiäre Verbund, bei dem durch den Abschluss der Geschäftsführerverträge mit den Beigeladenen zu 1) und 2) ein Generationswechsel habe stattfinden sollen. Unter Würdigung dieser Gesamtumstände sei die Tätigkeit der Beigeladenen nicht als sozialversicherungspflichtig anzusehen.

Gegen die jeweils am 12. Dezember 2013 zugestellten Gerichtsbescheide hat die Beklagte am 8. Januar 2014 Berufung eingelegt. Der Senat hat beide Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die betroffenen Kranken- und Pflegekassen sowie die Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen.

Die Beklagte trägt vor, das Sozialgericht übersehe, dass mit dem Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 den Beigeladenen zwar ein Vetorecht eingeräumt worden sei, die übrigen Regelungen des Gesellschaftsvertrags jedoch nicht außer Kraft gesetzt worden seien. Gesellschafterbeschlüsse könnten also weiterhin mit einfacher Mehrheit der Stimmen der stimmberechtigten Gesellschafter gefasst werden. Bei derart widersprechenden vertraglichen Regelungen gelte grundsätzlich, dass eine satzungsmäßige Ausübung des Stimmrechts wirksam sei, auch wenn gegen eine anderslautende Vereinbarung verstoßen werde. Ein Vetorecht, welches im Widerspruch zum Gesellschaftsvertrag stehe, sei von seiner rechtlichen Qualität nicht anders zu beurteilen als eine vom Gesellschaftsvertrag abweichende praktische Handhabung, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Bedeutung beikomme. Auch die weitere Argumentation des Sozialgerichts, dass seit neun Jahren auf der Basis des Gesellschafterbeschlusses agiert werde und dem ein familiärer Verbund zugrunde liege, in dessen Rahmen ein Generationenwechsel stattfinden solle, überzeuge nicht, denn nach der Rechtsprechung des BSG sei die bloße Nichtausübung eines Rechts, welches rechtlich nicht wirksam abbedungen sei, unbeachtlich. Völlig unbeachtet lasse das Sozialgericht, dass V2 C. und V1 C. nach wie vor Geschäftsführer mit unbeschränkter Geschäftsführungsbefugnis seien. Die "Elterngeneration" habe also gerade noch nicht das Ruder aus der Hand gegeben und den Beigeladenen die vom BSG geforderte umfassende Rechtsmacht zur Leitung der Klägerin eingeräumt. Der zwischen der Klägerin und den Beigeladenen zu 1) und 2) geschlossene Anstellungsvertrag enthalte ganz überwiegend Regelungen, welche für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis typisch seien.

Die Beklagte beantragt,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2013 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass Abschluss und Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH & Co KG grundsätzlich formfrei möglich seien; strengere Formanforderungen könnten sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Vorliegend sehe der Gesellschaftsvertrag vom 29. April 2002 in § 20 Schriftform vor. Diesem Erfordernis sei durch den Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 Rechnung getragen worden. Wieso es hierdurch zu sich widersprechenden vertraglichen Regelungen gekommen sein solle erschließe sich nicht. Vielmehr sei durch die satzungsändernden Beschlüsse der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co KG geändert und die ursprünglich vereinbarte Abhängigkeit des Stimmrechts von der Höhe der jeweiligen Einlagen der Kommanditisten durch ein gleiches Stimmrecht von jeweils 25 % ersetzt worden, ergänzt um das jeweilige generelle Vetorecht der Beigeladenen zu 1) und 2). Damit könnten die Beigeladenen zu 1) und 2) aufgrund der Mehrheitsbeteiligung der GmbH & Co KG an der Klägerin von 82,36 % ihnen nicht genehme Weisungen der Klägerin stets verhindern. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung über weitergehende Formerfordernisse betreffe das Recht der GmbH, bei der nach § 53 Abs. 1 GmbHG notarielle Beurkundung erforderlich sei. - Entgegen der Behauptungen der Beklagten habe bei der Klägerin sehr wohl ein Generationswechsel stattgefunden. V1 C. sei am 1. Juli 2012 endgültig aus den aktiven Diensten der Gesellschaft ausgeschieden. V2 C. sei seit April 2013 Rentner und nur noch aushilfsweise an Samstagen und zu Stoßzeiten im Unternehmen tätig. Die fortbestehende Geschäftsführerbestellung beider Herren diene ausschließlich Sicherheitsaspekten, um bei einem Ausfall einer oder beider Junioren nicht führungslos zu sein. Der faktische Kündigungsausschluss im Anstellungsvertrag als auch die Abrede über eine Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall von 6 Monaten seien ebenso arbeitnehmeruntypisch wie die Regelung, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) ihre Arbeitszeit und ihren Arbeitsort frei wählen könnten.

Die übrigen Beteiligten stellen keine Anträge und haben sich zur Sache weiterführend nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war, Bezug genommen.

Die Berufung der Beklagten ist in beiden Sachen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts sind zu bestätigen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind in ihrer seit dem 1. Juli 2011 ausgeübten Tätigkeit als Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerin der Klägerin keine Beschäftigten i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV und unterliegen damit nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat folgt, setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Bei untergeordneten und einfacheren Arbeiten ist regelmäßig eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation anzunehmen. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ausgangspunkt der versicherungsrechtlichen Prüfung ist dabei das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der formellen Vereinbarung regelmäßig vor.

Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 29. August 2012 – B 12 KR 25/10 R –, BSGE 111, 257-268, Rdnr. 16).

Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter einer GmbH zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Dies ist grundsätzlich neben seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung möglich. Die Versicherungspflicht des Geschäftsführers einer GmbH, der zugleich deren Gesellschafter ist, hängt davon ab, ob wegen seiner Kapitalbeteiligung noch ein Verhältnis der persönlichen Abhängigkeit vorliegt. Hat ein solcher Geschäftsführer aufgrund seiner Kapitalbeteiligung einen so maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, dass er jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann, so fehlt die das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis wesentlich kennzeichnende persönliche Abhängigkeit (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999, B 2 U 48/98 R, juris). Dies ist immer der Fall, wenn der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter ist, er also über die Hälfte des Stammkapitals der Gesellschaft oder mehr verfügt (BSGE 23, 83, 84 = SozR a.a.O.; BSGE 42, 1, 2 = SozR 2200 § 723 Nr. 1; BSG SozR Nr. 30 zu § 539 RVO), und zwar auch dann, wenn er von der ihm zustehenden Rechtsmacht tatsächlich keinen Gebrauch macht und die Entscheidung anderen überlässt (BSG SozR 3-4100 § 168 Nrn. 5 und 8; BSGE 66, 69, 71 = SozR 4100 § 104 Nr. 19). Unter Umständen genügt aber schon ein geringerer Kapitalanteil, insbesondere wenn er über eine Sperrminorität verfügt, die sich u.a. darauf erstreckt, ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern (vgl. BSG SozR 3-4100 § 104 Nr. 8; SozR 3-4100 § 168 Nr. 8).

Ein solcher Fall liegt in Bezug auf die Beigeladenen zu 1) und 2) vor. Diese haben als Geschäftsführer der Klägerin eine Rechtsposition, mit der sie ihnen nicht genehme Weisungen bei der Ausübung ihrer Geschäftsführertätigkeit verhindern und damit wie ein selbständiger Unternehmer agieren können. Das folgt allerdings nicht bereits aus ihrer Kapitalbeteiligung an der Klägerin, an der beide nur mit jeweils 6,86 % beteiligt sind. Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion der Klägerin, deren Mehrheitsgesellschafterin mit einem Kapitalanteil von 105.000 Euro die C. Immobilien GmbH & Co KG ist und die damit in der Gesellschafterversammlung der Klägerin jede Entscheidung durchsetzen kann, kommt es allerdings nicht entscheidend auf die Beteiligungsverhältnisse an der Klägerin, sondern auf die Beteiligungsverhältnisse an der Mehrheitsgesellschafterin an. Denn die Klägerin ist als Komplementärin der C. Immobilien GmbH & Co KG an dieser Gesellschaft nicht beteiligt und in der Gesellschafterversammlung ohne Stimmrecht (§ 7 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag). Stimmberechtigt sind alleine die Kommanditisten, also die Seniorgesellschafter V2 und V1 C. sowie die Beigeladenen zu 1) und 2). Gesellschafterbeschlüsse der C. Immobilien GmbH & Co KG sind damit für die Klägerin und folglich auch für ihre handelnden Organe (in Person der Beigeladenen zu 1) und 2) als ihre Geschäftsführer) rechtsverbindlich. Die C. Immobilien GmbH & Co KG ist damit der Sache nach das herrschende Unternehmen.

Auch an der C. Immobilien GmbH & Co KG sind die Beigeladenen zu 1) und 2) allerdings nur mit einem Gesellschaftsanteil von jeweils 6,78 % beteiligt. Mehrheitsgesellschafter sind V2 und V1 C. mit Gesellschaftsanteilen von 49,67 % bzw. 36,77 %. Diese Kapitalverteilung führt jedoch nicht dazu, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) in ihrer Funktion als Geschäftsführer der Klägerin ihnen nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der KG hinnehmen und ausführen müssen. Denn die im Gesellschaftsvertrag der KG vom 29. April 2002 ursprünglich vereinbarte Abstimmung nach der einfachen Mehrheit der Stimmen aller jeweils stimmberechtigten Gesellschafter (§ 7 Abs. 4) ist durch den Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 dahingehend abgeändert worden, dass jeder der vier Kommanditisten der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG unabhängig von der Höhe seiner Kapitalbeteiligung ein Stimmrecht von 25 % hat. Des Weiteren ist den beiden Kommanditisten E. und V3 C. ein Vetorecht eingeräumt worden.

Mit diesem Beschluss ist eine Änderung des Gesellschaftsvertrags der KG wirksam bewirkt worden. Hierfür bedurfte es – anders als die Beklagte offenbar meint – keiner Niederlegung des "neuen" Gesellschaftsvertrags in einer entsprechend geänderten, notariell beglaubigten Vertragsurkunde. Bei der C. Immobiliengesellschaft mbH & Co KG handelt es sich um eine Kommanditgesellschaft, auf die das Recht des HGB Anwendung findet. Anders als § 53 GmbHG schreibt das HGB für die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer KG keine Form vor. Ein (gewillkürtes) Formerfordernis ergibt sich allein aus § 20 des Gesellschaftsvertrags der KG, der für derartige Änderungen Schriftform vorschreibt, die durch den Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 9. Januar 2004 gewahrt ist. Insoweit geht der gesamte, an das Recht der GmbH und die dortigen Beurkundungsvorschriften anknüpfende Vortrag der Beklagten, aus dem diese einen Widerspruch zwischen Gesellschaftsvertrag und dem Beschluss vom 9. Januar 2004 konstruieren will, ins Leere.

Allein durch die Einräumung dieses Stimmrechts von jeweils 25 % haben die Beigeladenen zu 1) und 2) allerdings noch keine Position erlangt, mit der sie ihnen unangenehme Beschlüsse der KG, die vermittelt über deren Mehrheitsposition in der Gesellschafterversammlung der GmbH im Ergebnis ihr Handeln als Organe der Klägerin bestimmen, verhindern könnten. Vielmehr wären allein unter Berücksichtigung der Stimmrechtsverteilung Mehrheitsentscheidungen zu ihren Lasten weiterhin möglich und nur dann verhindert, wenn sich die Beigeladenen zu 1) und 2) in ihrem Abstimmungsverhalten stets einig wären, was nicht sicher ist. Hier greift jedoch das mit dem Beschluss vom 9. Januar 2004 eingeräumte Vetorecht. Denn damit können die Beigeladenen zu 1) und 2) jeden Gesellschafterbeschluss der KG, der sie als Geschäftsführer der Klägerin zu einem ihnen nicht genehmen Verhalten zwingen würde, verhindern. Dabei ist das Vetorecht nicht so zu verstehen, dass dieses den Beigeladenen zu 1) und 2) nur gemeinschaftlich zusteht; unter dieser Prämisse wäre das Vetorecht auch überflüssig, weil die Beigeladenen zu 1) und 2) mit ihrem Stimmanteil von zusammen 50 % ohnehin jede Abstimmung zu ihren Lasten verhindern können. Vielmehr ist das Vetorecht den Beigeladenen zu 1) und 2), wie sich auch aus den einleitenden Ausführungen im Protokoll der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 9. Januar 2004 ergibt, als individuelles Recht eingeräumt.

Damit haben die Beigeladenen zu 1) und 2) eine Rechtsposition, die mit dem Besitz einer Sperrminorität vergleichbar ist. Gegen ihren Willen kann in der Gesellschafterversammlung der KG kein ihnen nicht genehmer Beschluss gefasst werden mit der Folge, dass ihnen auch als Geschäftsführer der Klägerin keine missliebigen Weisungen drohen. Das schließt die Annahme einer abhängigen Beschäftigung grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall vorliegt, bei dem der Minderheitsgesellschafter tatsächlich an der Ausübung eines solchen Vetorechts gehindert ist (BSG, Urteil vom 18. April 1991 – 7 RAr 32/90 –, juris Rn. 26). Dafür gibt es vorliegend keinerlei Anhalt.

Angesichts dessen führt der Einwand der Beklagten, für die Beurteilung von Sozialversicherungspflicht sei "ein verlässlicher Bezugsrahmen" erforderlich und es sei "der Unwägbarkeit Tür und Tor geöffnet, wenn jegliche, ggf. sogar mündlich getroffene Vereinbarungen Einfluss auf die Sozialversicherungspflicht hätten", nicht weiter. Zwar trifft es zu, dass die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Status der Beigeladenen zu 1) und 2) entscheidend durch das im privatschriftlich dokumentierten Gesellschafterbeschluss vom 9. Januar 2004 eingeräumte Vetorecht bestimmt wird und dieses Vetorecht in gleicher Form und Verfahrensweise durch die Gesellschafter wieder beseitigt werden könnte. In tatsächlicher Hinsicht würde das allerdings voraussetzen, dass die Beigeladenen zu 1) und 2) von der mit dem Vetorecht eingeräumten Möglichkeit, eben einen solchen Beschluss zu verhindern, keinen Gebrauch machen würden, was im Hinblick auf ihre Interessenlage nicht wahrscheinlich ist. Im Übrigen ist diese Konsequenz als Folge der für die Kommanditgesellschaft geltenden Vorschriften des HGB, welches für Änderungen des Gesellschaftsvertrags keine besondere Form fordert, als Teil der Rechtsordnung von der Beklagten hinzunehmen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich insoweit nicht von den vielfältigen in der Rechtswirklichkeit im Bereich des Arbeits- und Gesellschaftsrechts vorkommenden Fallgestaltungen, in denen der sozialversicherungsrechtliche Status einer Beschäftigung von vertraglichen Abreden bestimmt wird, die keinen besonderen Formvorschriften unterliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Senat hat die unrichtige – weil auf § 193 SGG gestützte – Kostenentscheidung des Sozialgerichts von Amts wegen korrigiert. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, weil diese keine Anträge gestellt und damit kein eigenes prozessuales Risiko übernommen haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.