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Landessozialgericht Hessen 17.09.2015, L 8 KR 96/13

  • Aktenzeichen: L 8 KR 96/13
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 4 KR 901/11
  • Instanzgericht: Sozialgericht Fulda
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 17.09.2015

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Vergütung der Behandlung einer Versicherten der Beklagten mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) streitig.

Insoweit ist streitig der Vergütungsanspruch der Klägerin für eine Behandlung der Versicherten der Beklagten, C., am 20. Januar 2010 im Rahmen eines stationären Aufenthalts in ihrem Krankenhaus mit einer koronaren Ballonangioplastie mit einem medikamenten-freisetzenden Ballon-Katheter ("Drug Eluting Balloon").

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, das zum Zeitpunkt der Behandlung für diese gem. § 108 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassen war.

Die Vertragsparteien schlossen gem. § 11 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und gem. § 109 Sozialgesetzbuch, 5. Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Bezug auf die streitige Behandlungsmethode erstmals am 23. Oktober 2009 eine Vereinbarung über die Erbringung (§ 108 Nr. 3 SGB V) und das Entgelt (§ 6 Abs. 2 KHEntgG) pro Behandlungsfall in Höhe von 965 EUR (im Folgenden: NUB-Vereinbarung 2009). Das Regierungspräsidium Gießen genehmigte diese Vereinbarung gem. § 14 KHEntgG mit Wirkung vom 1. November bis 31. Dezember 2009.

Auf Anfrage der Klägerin gem. § 6 Abs. 2 KHEntgG bei dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH (InEK) wurde ihr mit Schreiben vom 29. Januar 2010 mitgeteilt, dass die vorliegend streitige Behandlungsmethode für das Jahr 2010 nach den Kriterien der NUB-Vereinbarung den Status 1 erhalten habe. Damit sei es gem. § 1 Abs. 1 NUB-Vereinbarung für das Jahr 2010 zulässig, eine Vereinbarung eines krankenhausindividuellen Entgelts gem. § 6 Abs. 2 KHEntgG für diese Behandlungsmethode zu schließen.

Für das Jahr 2010 konnten sich die Vertragsparteien (§ 11 KHEntgG) zunächst nicht über die Höhe des NUB-Entgelts einigen. Am 3. August 2010 vereinbarten diese jedoch im Rahmen eines Schiedsstellen-Verfahrens eine Entgelthöhe für die vorliegend streitige Behandlungsmethode (dort bezeichnet als "NUB 3") in Höhe von 1.100 EUR und eine Abrechenbarkeit bis zum 30. April 2011 (im Folgenden: NUB-Vereinbarung 2010). Das Regierungspräsidium Gießen erteilte mit Bescheid vom 30. August 2010 die Genehmigung der NUB-Vereinbarung 2010 mit Wirkung ab dem 1. September 2010, ohne eine ausdrückliche Befristung der Genehmigung auszusprechen. Vielmehr wird in dem Bescheid ausgeführt "Die Abrechnung ist bis zum 30.04.2011 vereinbart."

Die Klägerin stellte der Beklagten die Behandlung ihrer Versicherten mittels "Drug Eluting Balloon" am 20. Januar 2010 mit Rechnung vom 31. März 2011 in Höhe von 965 EUR in Rechnung.

Die Beklagte lehnte die Zahlung mit der Begründung ab, die NUB-Vereinbarung 2009 stelle keine Abrechnungsgrundlage für Behandlungen im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. August 2010 dar.

Die Klägerin hat am 31. November 2011 beim Sozialgericht Fulda Klage gegen die Beklagte auf Zahlung der in Rechnung gestellten Vergütung nebst Zinsen erhoben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das für das Jahr 2009 vereinbarte Entgelt (965 EUR pro Behandlungsfall) gelte so lange weiter, bis ein neues Entgelt vereinbart oder von der Schiedsstelle festgelegt sei. § 15 Abs. 2 Satz 2 KHEntgG bestimme, dass krankenhausindividuell zu vereinbarende Entgelte ab dem 1. Tag des Monats zu erheben seien, welcher auf die Genehmigung folge. Für das NUB-Entgelt 2010 (1.100 EUR) bedeute dies, dass es erst ab 1. September 2010 erhoben werden könne. Dies gelte auch für die NUB-Entgelte. Für den davor liegenden Zeitraum bestimme § 15 Abs. 2 Satz 3 KHEntgG, dass die zuvor vereinbarten Entgelte der Höhe nach weiter zu erheben seien. Dies gelte nur dann nicht, wenn ein bisher krankenhausindividuell vereinbartes Entgelt nicht mehr abgerechnet werden dürfe, weil die Leistung durch ein bundeseinheitlich bewertetes Entgelt aus den neuen Entgeltkatalogen vergütet werde oder die Vertragsparteien auf Bundesebene in den Abrechnungsbestimmungen feststellten, dass hilfsweise ein anderes Entgelt abzurechnen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. An der Geltung des § 15 Abs. 2 KHEntgG für NUB-Entgelte könne schon deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 4 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG als krankenhausindividuell zu vereinbarende Entgelte die "Entgelte nach § 6 Abs. 1 bis 2a" bezeichne. § 6 Abs. 2 KHEntgG regele auch das Entgelt für NUB-Methoden. Ihrem Vergütungsbegehren könne nicht entgegen gehalten werden, sie versuche rückwirkend das NUB-Entgelt abzurechnen. Von einer Rückwirkung könne schon deshalb keine Rede sein, da Grundlage ihres Begehrens das vereinbarte NUB-Entgelt für das Jahr 2009 sei und nicht das (höhere) NUB-Entgelt für das Jahr 2010. Allerdings komme es gem. § 15 Abs. 3 KHEntgG im Falle von Mehr- oder Mindererlöse wegen eines Differenzbetrages zwischen alten und neuen Entgelt zu einem Erlösausgleich im Sinne eines "Preisausgleichs". Der Ausgleichsbetrag werde nach § 5 Abs. 4 KHEntgG mittels Zu- und Abschläge abgerechnet. Im Übrigen sei in § 15 Abs. 2 KHEntgG der allgemeine Grundsatz enthalten, dass die bisher vereinbarten Entgelte in jedem Falle weiter gelten, bis neue Entgelte in Kraft getreten seien. Dieser Grundsatz sei auch enthalten in § 15 Abs. 1 Satz 4 KHEntgG (Abrechnung des bisherigen Landesbasisfallwert), § 15 Abs. 1 Satz 5 KHEntgG (Abrechnung auf der Basis der bisherigen Entgeltkataloge) und § 15 Abs. 2 Satz 3 KHEntgG (Abrechnung bisheriger krankenhausindividueller Entgelte). Auch aus dem allgemeinen Weitergeltungsgrundsatz des Krankenhausfinanzierungsrechts sei zu entnehmen, dass in der Leistungserbringung keine Abrechnungslücke entstehen solle.

Die Beklagte hat dem erwidert, die im Jahr 2009 geschlossene NUB-Vereinbarung sei ausdrücklich bis zum 31. Dezember 2009 befristet gewesen. Eine neue Anschlussvereinbarung für das Jahr 2010 sei erst mit Wirkung vom 1. September 2010 in Kraft getreten. § 15 Abs. 2 Satz 3 KHEntgG finde auf NUB-Methoden keine Anwendung. Die Verhandlungen über deren Vergütung erfolgten losgelöst von den jährlich durchzuführenden regulären Budgetverhandlungen. Die Vereinbarung der NUB-Entgelte sei zeitlich befristet und ihre Geltung beziehe sich nur im Rahmen dieser zeitlichen Befristung. Eine Weitergeltung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Regelmäßig käme es zu abrechnungsfreien Zeiträumen, wenn ein Vereinbarungszeitraum abgelaufen sei und ein neuer noch nicht begonnen habe. Auch sei eine Befristung unabhängig vom Kalenderjahr möglich. In dem Genehmigungsbescheid für die NUB-Vereinbarung 2010 sei beispielsweise die Abrechnungsfähigkeit über das Budgetjahr 2010 hinaus bis zum 30. April 2011 festgelegt. Es fehle somit ab 1. Mai 2011 an einer Abrechnungsfähigkeit. Die fallbezogene Vergütung für NUB-Methoden könne auch deshalb nicht vom Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 KHEntgG erfasst sein, weil insofern ein Erlösausgleich gemäß dessen Absatz 3 ausgeschlossen sei.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. Februar 2013 (im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung) die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 965 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2. Mai 2011 zu zahlen. Dazu hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne den geltend gemachten Vergütungsanspruch gem. § 6 Abs. 2 KHEntgG auf die NUB-Vergütungsvereinbarungen für das Jahr 2009 und das Jahr 2010 in Verbindung mit der Weitergeltungsregelung des § 15 Abs. 2 KHEntgG stützen. Diese Norm erfasse auch das vorliegend geltend gemachte Entgelt. Der Zinsanspruch folge aus § 10 Abs. 5 des am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Es sei davon auszugehen, dass die Rechnung der Klägerin vom 31. März 2010 aufgrund der elektronischen Übermittlung am selben Tag bei der Beklagten eingegangen sei.

Gegen das ihr am 6. März 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. April 2013 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihre bisher vertretene Auffassung. Ergänzend führt sie aus, § 15 Abs. 2 KHEntgG sei auf NUB-Entgelte nicht anwendbar. Auch könne die Weitergeltungsregelung des § 15 Abs. 2 KHEntgG nicht losgelöst von § 15 Abs. 3 KHEntgG gesehen werden. § 15 Abs. 3 KHEntgG regele den grundsätzlichen Ausgleich der Mehr- und Mindererlöse infolge der Weitergeltung. Da es im Bereich der NUB keine Erlösausgleiche gebe, könne auch von einer Weitergeltung nicht ausgegangen werden. Die NUB-Entgelte seien gegenüber den übrigen krankenhausindividuellen Entgelten grundlegend verschieden, da NUB-Entgelte nicht in den Fallpauschalenkatalog übergeführt werden würden. Da die Anfrage des Krankenhauses für die folgende NUB-Vereinbarung nach § 9 KHEntgG termingebunden (31. Oktober d.J.) sei, wäre die Anwendung der Weitergeltungsregelung des § 15 Abs. 2 KHEntgG nur mit Einschränkungen möglich. Dies sei gesetzlich nicht vorgesehen. Diesem Umstand habe der Gesetzgeber mit Regelungen zur bevorzugten Vereinbarung der NUB-Entgelte Rechnung getragen (§ 6 Abs. 2 KHEntgG über frühzeitige Verhandlungen, unabhängig von Budget-Verhandlungen nach § 4 KHEntgG; § 9 KHEntgG fehlende Antwort der InEK auf Anfrage kein Hindernis, wenn Anfrage gestellt wurde). Diese Regelungen wären überflüssig, wenn § 15 Abs. 2 KHEntgG auf NUB-Entgelte anwendbar wäre.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 28. Februar 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden. Sie verweist insoweit auf eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom 20. März 2006 an den VdAK, in der es heißt: "Die von Ihnen ebenfalls angesprochene Weitergeltung der NUB-Entgelte nach § 6 Abs. 2 KHEntgG setzt voraus, dass überhaupt ein solches Entgelt für das Jahr 2006 vereinbart werden darf (vgl. oben). Nur in diesem Fall ist demnach eine hilfsweise Weiterberechnung des Vorjahresentgelts nach § 15 Abs. 1 KHEntgG unter der Zielsetzung Liquiditätssicherung möglich." Weiter trägt sie vor, die Regelung über eine möglichst frühzeitige Vereinbarung von NUB-Entgelten nach § 6 Abs. 1 Satz 6 KHEntgG habe keinen Einfluss auf die Frage der Weitergeltung vereinbarter Entgelte bis zum Genehmigungszeitpunkt für die Folgevereinbarung. Dem Weitergeltungsgrundsatz stehe nicht entgegen, dass NUB weder zum Budget-Bereich bzw. zu der Erlössumme (§ 6 Abs. 3 KHEntgG) gehörten und somit ein Mengenausgleich nicht stattfinde. Auch sei die Ausgleichsfähigkeit des NUB-Entgelts keine Frage der Abrechnung einer konkreten Behandlung, sondern der Budgetvereinbarung. Zudem werde nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KHEntgG ein sich ergebender Ausgleichsbetrag im Rahmen eines Zu- oder Abschlags nach § 5 Abs. 4 KHEntgG berücksichtigt. § 15 Abs. 3 Satz 2 KHEntgG verweise ausdrücklich auf § 5 Abs. 4 KHEntgG. Dieser Preisausgleich zwischen Alt-NUB und Neu-NUB passe in den Ausgleichsmechanismus des Weitergeltungsgrundsatzes.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte verwiesen, der Gegenstand der Beratung des Senats gewesen ist.

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