Landessozialgericht Hessen 21.08.2014, L 8 KR 128/13

Sozialgerichtlicher Klagefall, in dem die Krankenhausvergütungsanspruch strittig war.

  • Aktenzeichen: L 8 KR 128/13
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 18 KR 145/10
  • Instanzgericht: Sozialgericht Wiesbaden
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 21.08.2014

Tatbestand:

Im Streit steht ein Krankenhausvergütungsanspruch.

Die Klägerin ist die Trägerin der A. in A-Stadt, einem nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zugelassenen Krankenhaus. Die bei der Beklagten versicherte Patientin C. befand sich in der Zeit vom 16.12.-20.12.2009 in der Klinik der Klägerin in stationärer Behandlung wegen einer ungestillten Blutung der Nase (Epistaxis). Zum Zeitpunkt der Aufnahme nahm die Versicherte wegen Herzrhythmusstörungen in Form von chronischem Vorhofflimmern ein Antikoagulanz (Marcumar) als Dauermedikation ein. Das Nasenbluten erforderte die Anlage einer Tamponade. Während des Klinikaufenthalts erfolgte eine gezielte Gerinnungskontrolle; die Marcumarmedikation wurde nicht fortgesetzt.

Mit Rechnung vom 28.12.2009 stellte die Beklagte der Klägerin Behandlungskosten in Höhe von 2.032,84 EUR in Rechnung. Die Abrechnung erfolgte auf der Grundlage der Kodierung der Hauptdiagnose D68.3 (hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper) nach der DRG Q60C (Erkrankungen des retikuloendothelialen Systems, des Immunsystems und Gerinnungsstörungen mit komplexer Diagnose oder CC, ohne Milzverletzung, ohne Granulozytenstörung oder Alter ) 15 Jahre).

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Überprüfung der Abrechnung. In seinem Gutachten vom 20.05.2010 kam der MDK zu dem Ergebnis, als Hauptdiagnose sei R04.0 (Epistaxis) zu kodieren, so dass die Abrechnung richtigerweise unter Zugrundelegung der DRG D 62Z (Blutung aus Nase und Rachen oder Otitis media oder Infektionen der oberen Atemwege, Alter ) 2 Jahre) zu erfolgen habe. Die Beklagte zahlte hierauf an die Klägerin einen Teilbetrag von 1.153,95 EUR auf der Grundlage der DRG D 62Z. Die Zahlung des Restbetrages lehnte sie ab.

Die Klägerin hat am 12.07.2010 Klage auf Zahlung von 878,89 EUR nebst Zinsen zum SG Wiesbaden erhoben. Das Sozialgericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Innere Medizin Dr. D. eingeholt. In seinem Gutachten vom 06.06.2011 nebst ergänzender Stellungnahme vom 02.03.2012 gelangt dieser zu dem Ergebnis, der Auffassung der Klägerin, die Diagnose D68.3 (hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper) sei als Hauptdiagnose zu kodieren, sei zuzustimmen. Gemäß G-DRG 2009 sei die Behandlung demzufolge abzurechnen nach der DRG Q60C.

Dem hat die Beklagte – gestützt auf weitere Stellungnahmen des MDK vom 23.08.2011 und 26.03.2012 – widersprochen. Gemäß der Speziellen Kodierrichtlinie 1917d: Unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln (bei Einnahme gemäß Verordnung) sei das Nasenbluten (Epistaxis) mit dem ICD-Kode R04.0 als Hauptdiagnose anzugeben. Das Nasenbluten sei eine unerwünschte Nebenwirkung der Medikamenteneinnahme von Marcumar. Der ICD-Kode D68.3 sei lediglich als Nebendiagnose zu kodieren. Die gesteigerte Blutungsneigung habe den Krankenhausaufenthalt nicht veranlasst, sondern das Nasenbluten selbst.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24.04.2013 die Beklagte zur Zahlung von 878,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.07.2010 verurteilt. Die Klägerin habe zu Recht auf der Grundlage der im Jahr 2009 geltenden Verträge und Regelwerke und der Deutschen Kodierrichtlinien als Hauptdiagnose D68.3 (hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper) kodiert. Hämorrhagische Diathese sei eine Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch eine Blutungsneigung bzw. das Auftreten spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet seien. Die Diagnose D68.3 beruhe daher auf den besonderen Risiken einer Behandlung mit Antikoagulanzien, die eine erhöhte Blutungsneigung bzw. spontane, schwer stillbare Blutungen zur Folge haben könnten. Anlass für die Aufnahme der Patientin sei eine erhöhte Blutungsneigung unter einer Dauertherapie mit Antikoagulanzien gewesen, die sich in einer schwer stillbaren Blutung der Nase manifestiert habe. Dieser allein entscheidungserhebliche Sachverhalt werde auch vom MDK im Gutachten vom 23.08.2011 bestätigt. Die von der Beklagten angeführte Hauptdiagnose R04.0 (Epistaxis – Blutung aus der Nase) könne unter diesen Voraussetzungen bei der gebotenen wörtlichen Auslegung nicht kodiert werden. Diese Diagnose finde sich im ICD-10-GM Version 2009 im Kapitel XVIII "Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind", und beschreibe "(subjektive und objektive) Symptome, abnorme Ergebnisse von klinischen oder sonstigen Untersuchungen sowie ungenau bezeichnete Zustände, für die an anderer Stelle keine klassifizierbare Diagnose vorliegt". Die Hauptdiagnose R04.0 beschreibe daher den allgemeinen Tatbestand einer erforderlichen Krankenhausbehandlung bei Nasenbluten bspw. bei mechanischen Ursachen und sei abzugrenzen von Fällen, in denen die Blutung der Nase einen anderen, spezielleren Grund habe, der Gegenstand einer speziellen Hauptdiagnose sei, hier D68.3 (Blutungen bei einer Dauertherapie mit Antikoagulanzien). Ein anderes Ergebnis könne auch nicht aufgrund systematischer Auslegung der DKR gefunden werden. Zwar hätten die Speziellen Kodierrichtlinien Vorrang vor den Allgemeinen Kodierrichtlinien. Die spezielle Kodierrichtlinie 1917d sei jedoch nicht einschlägig. Hierfür müsse die Behandlung einer Erkrankung mit Medikamenten zu Nebenwirkungen führen, deren Ressourcenverbrauch nicht mehr im Rahmen der Behandlung der Grunderkrankung, die in der Hauptdiagnose abgebildet werde, dargestellt werden könne. Demzufolge bedürfe es auch bei der Anwendung der 1927d zunächst einer Hauptdiagnose. Sei die Nebenwirkung dagegen wie im vorliegenden Fall bereits Gegenstand der Hauptdiagnose, bedürfe es keiner weiteren Kodierung einer Nebendiagnose nach DKR 1917d.

Gegen das ihr am 26.04.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.05.2013 Berufung eingelegt.

Unter Bezugnahme auf ein neues Gutachten des MDK vom 16.08.2013 führt sie aus, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts bilde allein die Diagnose R04.0 (Blutung aus der Nase) den spezifischen krankhaften Zustand bei der Patientin ab. Die durch die Gabe von Marcumar bewirkte gesteigerte Blutungsneigung sei zwar eine Folge der Medikamenteneinnahme, sie stelle jedoch keine Manifestation einer Nebenwirkung eines Arzneimittels dar und sei somit nicht als Hauptdiagnose zu kodieren. Die Kodierung der Hauptdiagnose R04.0 müsse im Fall der unerwünschten Arzneimittelnebenwirkung unabhängig davon erfolgen, welche Ursache den krankhaften Zustand des Nasenblutens hervorgerufen habe und unabhängig davon, ob die Erkrankung ambulant oder stationär behandelt werde. Die Auslösung des Zustands durch die Gabe eines Arzneimittels werde ergänzend im optionalen Kode Y57.9! als Nebendiagnose abgebildet. Nur durch die Anwendung der DKR 1917d werde dem im Vorwort der DKR angesprochenen Grundsatz der Vergütungsgerechtigkeit Genüge getan, dass also vergleichbare Krankenhausfälle auch derselben DRG zugeordnet würden. Vergleichbare Fälle seien solche, bei denen die Therapie eines Nasenblutens auch anderer Ursache die Notwendigkeit einer stationären Behandlung begründe. Ohne diese spezielle Kodierrichtlinie würden z.B. Hirnblutungen unter Antikoagulanztherapie, die nicht operiert werden müssten, mit der gleichen DRG abgerechnet wie ein Nasenbluten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 24.4.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts. Die Marcumareinnahme sei als Ursache der Blutung bekannt, eine genauere Diagnose daher möglich gewesen. Das alphabetische Verzeichnis sehe die D68.3 auch nicht zur Beschreibung einer Blutungsneigung, sondern der aufgetretenen Blutung vor; für die Dauertherapie ohne Blutung werde dort auf die Z92.1 verwiesen. Die spezielle Kodierrichtlinie 1917d sei schon deshalb nicht anwendbar, weil keine indikationsgerechte Einnahme gemäß Verordnung vorgelegen haben könne. Das ergebe sich aus dem bei Aufnahme gemessenen Quickwert von 19% und dem INR von 3,7, da der Quickwert in der Regel 20% nicht unterschreiten und der INR nicht höher als 3,0 liegen solle.

Dem hat die Beklagte unter Vorlage einer neuen Stellungnahme des MDK widersprochen: der Quickwert habe bei Aufnahme nur leicht unterhalb des therapeutischen Bereichs gelegen. Derartige Werte seien bei der Therapie mit Marcumar nicht ungewöhnlich.

Der Senat hat mit den Beteiligten am 20.02.2014 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dessen Verlauf sich die Beteiligten mit einer Entscheidung der Sache durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der Beratung war, Bezug genommen.

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat über die Berufung ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere übersteigt der Streitwert den für die Berufung maßgeblichen Betrag von 750 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 SGG). Die Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.

Die Klage ist als (echte) Leistungsklage zulässig (vgl. BSG SozR 4-2500 § 301 Nr. 2) und auch in der Sache begründet. Die Beklagte ist auf der Grundlage von § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem Vertrag über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung gemäß § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den Krankenkassen(-verbänden) verpflichtet, die stationäre Krankenhausbehandlung ihrer Versicherten im Krankenhaus der Klägerin in der Zeit vom 16.12. bis 20.12.2009 zu vergüten.

Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Behandlung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt und i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (stRsprg, u.a. BSG vom 8.11.2011, B 1 KR 8/11 R, juris Rdnr. 13). Unstreitig bedurfte die Versicherte wegen ihres unstillbaren Nasenblutens unter Marcumar-Therapie der stationären Krankenhausbehandlung.

Die Höhe des Vergütungsanspruchs ergibt sich gemäß § 17b Abs. 1 Satz 1 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) iVm §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntGG) aus einem diagnosebezogenen, pauschalierenden Vergütungssystem, bestehend aus einer Fallpauschalenvereinbarung (FPV) und einem Fallpauschalenkatalog (G-DRG), hier in der im Jahr 2009 geltenden Fassung. Dem liegt ein System zugrunde, bei dem in einem als "Groupierung" bezeichneten Prozess aus den ermittelten Diagnosen, Operationen und Prozeduren mithilfe eines zertifizierten Software-Programms unter Einbeziehung von weiteren Variablen (Alter des Patienten, Verweildauer usw.) eine DRG-Pauschale und die dafür zu zahlende Vergütung ermittelt werden (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, juris).

Die maßgeblichen Vergütungsregelungen, insbesondere die Deutschen Kodierrichtlinien (DKR), sind eng nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem systematischen Zusammenhang auszulegen und Bewertungen und Bewertungsrelationen außer Betracht zu bleiben. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den dazu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt (stRsprg, vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 B 1 KR 8/11 R - juris Rdnr. 27; vom 25.11.2010 - B 3 KR 4/10 R - juris Rdnr. 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs. 2 Satz 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl. zum Ganzen BSG a.a.O.).

Die Klägerin hat auf der Grundlage der Kodierung der Hauptdiagnose D68.3 (hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper) die sich daraus insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig – ergebende DRG Q60C (Erkrankungen des retikuloendothelialen Systems, des Immunsystems und Gerinnungsstörungen mit komplexer Diagnose oder CC, ohne Milzverletzung, ohne Granulozytenstörung oder Alter ) 15 Jahre) abgerechnet. Dies ist, wie das Sozialgericht mit ausführlicher und zutreffender Begründung dargelegt hat, nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt hierauf in vollem Umfang Bezug (§ 153 Abs. 4 SGG) und weist die Berufung aus den Gründen dieser Entscheidung zurück.

Die Einwände der Beklagten in der Berufung geben zu einer anderen Entscheidung keinen Anlass. Sie stützen sich maßgeblich auf das Gutachten der Ärztin im MDK E. vom 16.08.2013 und die von ihr vorgetragene Auffassung, allein die Diagnose R04.0 (Blutung aus der Nase) bilde den spezifischen krankhaften Zustand bei der Versicherten ab. Dem folgt der Senat nicht. Zwar ist der Wortlaut der Diagnose R04.0 (Blutung aus der Nase) bei der Patientin erfüllt. Gleiches gilt jedoch für die von der Klägerin kodierte Diagnose D68.3 (hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper). Denn diese Diagnose beschreibt nicht lediglich eine Blutungsneigung, sondern fordert eine "Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien", wie dies bei der mit Marcumar als Dauertherapie behandelten Patientin der Fall war. Auf die konkrete Pathogenese der Blutung kommt es nicht an, wie durch das Wort "bei" zum Ausdruck kommt. Denn die Antikoagulation bewirkt an sich keine Gewebeverletzungen, sondern hemmt lediglich die Blutgerinnung und kann deshalb ohnehin nicht die Alleinursache einer Blutung im Sinne eines strengen Kausalitätsbegriffs (wie ein Trauma oder zellschädigende Prozesse) sein (so zutreffend SG Dresden, Gerichtsbescheid vom 02.05.2008 – S 18 KR 242/07 –, juris).

Allerdings gibt die Diagnose R04.0 (Blutung aus der Nase) unmittelbar den Ort des Geschehens an, während die Diagnose D68.3 dahingehend weniger eindeutig ist und nicht allein das Nasenbluten, sondern jegliche Blutung erfasst, also bspw. auch eine Hirnblutung. Dieser Aspekt ist jedoch nicht durchschlagend, wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat. Denn die DKKR verlangen die Festlegung einer Hauptdiagnose, "die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts des Patienten verantwortlich ist" (DKR D002f). Weiter heißt es: "Der Begriff "nach Analyse" bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war". Ziel ist es also, eine Hauptdiagnose zu stellen, welche die dem Krankenhausaufenthalt zugrunde liegende Krankheit am genauesten beschreibt. In logischer Übereinstimmung damit heißt es in der DKR D002f unter dem Stichwort "Zuweisung der zugrunde liegenden Krankheit als Hauptdiagnose: Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren".

Eine solche, die zugrunde liegende Krankheit der Versicherten abbildende Hauptdiagnose wäre die Diagnose R04.0 (Epistaxis) nicht. Sie findet sich im ICD-10-GM Version 2009 im Kapitel XVIII "Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind". Einleitend heißt es dazu:

"Dieses Kapitel umfasst (subjektive und objektive) Symptome, abnorme Ergebnisse von klinischen oder sonstigen Untersuchungen sowie ungenau bezeichnete Zustände, für die an anderer Stelle keine klassifizierbare Diagnose vorliegt. Diejenigen Symptome, die mit ziemlicher Sicherheit auf eine bestimmte Diagnose hindeuten, sind unter den entsprechenden Kategorien in anderen Kapiteln der Klassifikation aufgeführt. Die Kategorien dieses Kapitels enthalten im Allgemeinen weniger genau bezeichnete Zustände und Symptome, die ohne die zur Feststellung einer endgültigen Diagnose notwendigen Untersuchungen des Patienten mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit auf zwei oder mehr Krankheiten oder auf zwei oder mehr Organsysteme hindeuten. Im Grunde genommen könnten alle Kategorien in diesem Kapitel mit dem Zusatz "ohne nähere Angabe", "unbekannter Ätiologie" oder "vorübergehend" versehen werden. Um festzustellen, welche Symptome in dieses Kapitel und welche in die anderen Kapitel einzuordnen sind, sollte das Alphabetische Verzeichnis benutzt werden. Die übrigen, mit.8 bezifferten Subkategorien, sind im Allgemeinen für sonstige relevante Symptome vorgesehen, die an keiner anderen Stelle der Klassifikation eingeordnet werden können.

Die unter den Kategorien R00-R99 klassifizierten Zustände und Symptome betreffen:

  1. Patienten, bei denen keine genauere Diagnose gestellt werden kann, obwohl alle für den Krankheitsfall bedeutungsvollen Fakten untersucht worden sind;
  2. zum Zeitpunkt der Erstkonsultation vorhandene Symptome, die sich als vorübergehend erwiesen haben und deren Ursachen nicht festgestellt werden konnten;
  3. vorläufige Diagnosen bei einem Patienten, der zur weiteren Diagnostik oder Behandlung nicht erschienen ist;
  4. Patienten, die vor Abschluss der Diagnostik an eine andere Stelle zur Untersuchung oder zur Behandlung überwiesen wurden;
  5. Patienten, bei denen aus irgendeinem anderen Grunde keine genauere Diagnose gestellt wurde;
  6. bestimmte Symptome, zu denen zwar ergänzende Information vorliegt, die jedoch eigenständige, wichtige Probleme für die medizinische Betreuung darstellen."

Aus diesen Ausführungen zieht das Sozialgericht zu Recht den Schluss, dass die Diagnose R04.0 nur dann als Hauptdiagnose einzugeben ist, wenn bei Patienten ein Nasenbluten vorliegt, für das keine genauere Diagnose gestellt werden kann, obwohl alle für den Krankheitsfall bedeutungsvollen Fakten untersucht worden sind. Denn allein bei dieser Auslegung wird beachtet, dass das Kapitel XVIII der ICD-10-GM Version 2009 den Charakter einer Auffangnorm hat, die anderenorts nicht klassifizierte Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde erfasst. Demgegenüber wurde der Krankenhausaufenthalt der Versicherten durch die Blutung unter einer spezifischen Therapie, nämlich mit Marcumar, ausgelöst. Das Nasenbluten war somit eine Erkrankung mit zuordenbarer Ursache, bei der die Grunderkrankung Auswirkungen auf das therapeutische Vorgehen hatte und auch einen wegen der Grunderkrankung regelhaft höheren Ressourcenverbrauch impliziert. In dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des Prof. Dr. F. für das Sozialgericht Speyer vom 17.03.2013 (S 7 KR 261/12) in einem parallel gelagerten Sachverhalt wird hierzu nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Therapie des Marcumar-Nasenblutens grundsätzlich wesentlich ressourcenintensiver ist als die des "einfachen" Nasenblutens, weil beim einfachen Nasenbluten regelhaft eine Tamponade ausreichen wird, während bei einer Blutung unter Marcumar Laborkontrollen und ggf. eine spezielle medikamentöse Therapie erforderlich sind (Aufdosieren mit Koniakon, Neueinstellung mit Marcumar). Eine derartige Maßnahme war im konkreten Fall der Patientin insoweit erforderlich, als bei ihr am 18.12.2009 eine gezielte Kontrolle der Gerinnungswerte erfolgte. In einem solchen Fall ist die Diagnose D68-3 zwar ungenauer als die Diagnose D04.0, soweit sie die Lokalisation der Blutung betrifft, sie ist im Ergebnis aber dennoch präziser als die lediglich beschreibende Diagnose "Blutung der Nase", die keine Aussage über die zugrunde liegende Krankheit und das sich hieraus ergebende therapeutische Vorgehen erlaubt.

Auch der Hinweis der Beklagten auf die Spezielle Kodierrichtlinie DKR 1917d greift aus den Gründen des Sozialgerichts nicht durch. Zwar kommt den speziellen Kodierrichtlinien, soweit sie von den Allgemeinen Kodierrichtlinien abweichen, aus normsystematischen Gründen der Vorrang zu (BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R). Ein Vorrang der Speziellen Kodierrichtlinie 1917d ist vorliegend aber nicht zu begründen. Deren Definition lautet:

1917d Unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln (bei Einnahme gemäß Verordnung)

Unerwünschte Nebenwirkungen indikationsgerechter Arzneimittel bei Einnahme gemäß Verordnung werden wie folgt kodiert: ein oder mehrere Kodes für den krankhaften Zustand, in dem sich die Nebenwirkungen manifestieren, optional ergänzt durch Y57.9! Komplikationen durch Arzneimittel oder Drogen.

Die KDR 1917d verlangt also zunächst eine Hauptdiagnose (Kode) für den krankhaften Zustand, in dem sich die Nebenwirkung manifestiert. Lediglich optional wird diese Hauptdiagnose dann durch den Kode Y57.9! ergänzt. Vorliegend bildet die Hauptdiagnose D68.3 aber sowohl den krankhaften Zustand als auch den Aspekt der (unerwünschten) Nebenwirkung eines Arzneimittels ab, ist also offenkundig spezifischer.

Der Einwand der Beklagten, bei dieser Betrachtungsweise komme es dazu, dass z.B. Hirnblutungen unter Antikoagulanzientherapie, die nicht operiert werden müssen, mit der gleichen DRG abgerechnet werden wie Nasenbluten, bezieht sich letztlich auf die Vergütungsgerechtigkeit. Bereits das Sozialgericht hat aber darauf hingewiesen, dass es hierauf nicht ankommt. Zutage tretende Unrichtigkeiten und Fehlsteuerungen rechtfertigen kein Abweichen von der strengen Auslegung anhand des Wortlauts und des systematischen Zusammenhangs, sondern es ist in erster Linie Sache der Vertragsparteien, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, juris Rdnr. 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben. Es geht nicht um grundsätzliche Fragen des Verhältnisses zwischen Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien, sondern um die Auslegung in einem konkreten Einzelfall, mag dieser auch häufiger auftreten.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 54 Abs. 2 Gerichtskostengesetz und entspricht der Klageforderung.

 

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