Landessozialgericht Hessen 27.01.2011, L 8 KR 201/09

  • Aktenzeichen: L 8 KR 201/09
  • Spruchkörper: 8. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 13 KR 46/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 27.01.2011

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Reisekosten zur Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP) in Höhe von 3.422,00 EUR.

Die Klägerin leidet anlagebedingt an einer Fehlbildung beider Kniegelenke. Diesbezüglich fanden in der Vergangenheit mehrere Operationen statt, zuletzt am 1. Juni 2004 in AS. Nachfolgend verordnete der Orthopäde Dr. HA. am 17. Juni 2004 zehnmal Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP). Als Diagnose gab er den Zustand nach Retropatellarersatz links an. Am 21. Juni 2004 übersandte das Zentrum für ambulante Rehabilitation E. GmbH, ZS. per Fax die Verordnung des Dr. HA. vom 17. Juni 2004 an die Beklagte. Unter dem 8. Juli 2004, 3. August 2004, 26. August 2004 und 23. September 2004 verordnete Dr. HA. weiterhin je zehnmal Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP). Mit Verordnung vom 21. Oktober 2004 verschrieb der Orthopäde Dr. IR. der Klägerin ebenfalls zehnmal EAP und gab als Diagnose Zustand nach Fermoropatellarlageersatz li 6/04 an. Die Beklagte übernahm die Kosten dieser Verordnungen durch Bescheide vom 19. Juli 2004 und 18. Januar 2005.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2004 beantragte die Klägerin, die Kosten für die Fahrten zur Therapie nach ZS. zu übernehmen. Der Transport müsse mit einem Taxi erfolgen, da sie nur mit zwei Gehhilfen gehen könne. Sie legte ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. ED. vom 2. September 2004 vor, wonach sie aufgrund der schweren Gehbehinderung nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, so dass der Transport mit einem Taxi erfolgen müsse, bis die EAP abgeschlossen sei.

Mit Bescheid vom 9. September 2004 lehnte die Beklagte die Übernahme der Fahrkosten ab. Sie wies darauf hin, dass Fahrkosten zur ambulanten Behandlung seit dem 1. Januar 2004 grundsätzlich nicht mehr übernommen werden könnten, es sei denn, es liege ein besonderer Ausnahmefall vor. Außerdem müssten die Fahrkosten vorher genehmigt werden. Ein besonderer Ausnahmefall liege nur vor, wenn der Versicherte im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem der Merkmale (aG, Bl oder H) sei oder Leistungen der Pflegeversicherung gemäß der Pflegestufe II oder III beziehe.

Dagegen legte die Klägerin am 8. Oktober 2004 Widerspruch ein, den die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (Dr. RE.) vom 10. November 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2005 zurückwies. In der Begründung führte die Beklagte aus, dass Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung gemäß § 60 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) unter Abzug des sich nach § 61 S. 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB V festgelegt habe, übernommen werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor. Es liege auch keine vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse vor. Dauer und Umfang würden von der Krankenkasse festgelegt. Außerdem würden zahlreiche Therapiepraxen im Bereich ambulante Rehabilitation in A-Stadt und näherer Umgebung EAP durchführen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 22. Februar 2005 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt, mit der sie die Erstattung der Taxikosten in Höhe von 3.422,00 EUR begehrte.

Das Sozialgericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen unter anderem von Amts wegen Befundberichte des Orthopäden Dr. IR. vom 17. Oktober 2007, des Dr. HA. vom 22. Oktober 2007, des Dr. ED. vom 23. Oktober 2007 und des Chirurgen Dr. XL. vom 7. November 2007 beigezogen. Außerdem hat es Informationen des Therapiezentrums JZ. vom 10. Oktober 2007, des Instituts EA., A-Stadt, vom 31. Oktober 2007 und des Instituts HT., H-Stadt, vom 3. März 2008 eingeholt und ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Feststellung gelangt, dass im streitigen Zeitraum die Notwendigkeit eines Transportes in einem Taxi zu den EAP-Behandlungen in ZS. bestanden habe.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Durchführung der EAP sei nur in ZS. möglich gewesen. Soweit das Institut HT. angebe, dass dort ein Bewegungsbad vorhanden sei, sei dies nur bedingt richtig. In der damaligen Zeit sei das Bewegungsbad des M. Krankenhauses mitbenutzt worden. Die Patienten hätten von Sporttherapeuten dorthin gefahren werden müssen. Auch dies wäre eine zusätzliche Belastung für die Klägerin gewesen, die gesundheitlich nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Mit Urteil vom 24. April 2009 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2005 aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung von Fahrkosten für die in der Zeit vom 16. Juni 2004 bis 1. November 2004 in ZS. durchgeführten EAP-Behandlungen in Höhe von 3.422,00 EUR verurteilt. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 60 Abs. 5 SGB V und § 53 Abs. 1 des 9. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Entgegen der Annahme der Beklagten handele es sich bei der durchgeführten EAP um Rehabilitationsleistungen, so dass die gesetzlichen Regelungen bezüglich der Übernahme der Fahrkosten gemäß § 60, 61 SGB V in Verbindung mit § 8 der Krankentransportrichtlinien nicht zur Anwendung gelangten. Aus medizinischer Sicht sei es notwendig gewesen, dass die Klägerin zu den Behandlungen nach ZS. ein Taxi verwenden musste. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009. Dieser habe überzeugend ausgeführt, dass in Folge der Bewegungseinschränkung im operierten Kniegelenk und der sich nach dem Eingriff rasch wieder entwickelnden Schmerzen eine erhebliche Einschränkung der Gehfähigkeit bestanden habe. Er weise darauf hin, dass der behandelnde Hausarzt Dr. ED. nachvollziehbar für den Zeitraum von Ende Juni bis Oktober 2004 von einer auf wenige Meter limitierten Gehstrecke berichtet habe. Außerdem sei die Klägerin nicht in der Lage, längere Zeiten zu stehen, weshalb längere Wartezeiten bezüglich öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar gewesen seien. Entsprechende Befunde seien von Dr. XL. mitgeteilt worden. Der Sachverständige Prof. Dr. HS. führe weiter nachvollziehbar aus, dass nach dem Eingriff im Juni 2004 Erschütterungsschmerzen beim Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln vorgelegen hätten. Es habe daher die Notwendigkeit eines Transportes in einem Taxi bestanden. Ursächlich hierfür seien die Einschränkung der Gehstrecke, die Einschränkung der Beweglichkeit im Kniegelenk und die Schmerzen im Kniegelenk. Ortsnähere Einrichtungen für die durchgeführten Maßnahmen hätten nicht zur Verfügung gestanden. So habe die Klägerin auch unwidersprochen vorgetragen, dass das Institut HT. in H-Stadt nicht über ein eigenes Schwimmbecken verfüge, sondern das eines Krankenhauses im Nachbarort verwenden musste. Die Verbringung der Klägerin dorthin sei aufgrund der obigen Störungen im Gesundheitszustand unzumutbar gewesen. Die Klägerin habe auch rechtzeitig den Antrag auf Übernahme der Fahrkosten gestellt. Hierzu sei grundsätzlich ein Antrag erforderlich, der aber auch formlos gestellt werden könne. Die Krankenkasse erstatte dem Versicherten die Kosten, wenn diese von ihm getragen worden seien. Im Übrigen übernehme die Krankenkasse die Fahrkosten, indem sie die Vergütungen (§ 133 SGB V) an das Beförderungsunternehmen bezahle.

Gegen das ihr am 19. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Juli 2009 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag führt sie ergänzend aus, dass die EAP-Behandlung nicht ausschließlich in ZS. habe stattfinden können. Das von der Klägerin insoweit als Argument angeführte "Aquajogging" sei vom Arzt gar nicht verordnet, sondern lediglich empfohlen worden, eine medizinische Notwendigkeit habe nicht vorgelegen. Zudem habe die EAP bereits am 16. Juni 2004 begonnen, die Empfehlung hinsichtlich des Aquajogging sei indes erst am 29. Juni 2004 und damit nach Beginn der Behandlung in ZS. erfolgt. Darüber hinaus habe auch die Klinik "HT." in H Stadt die ambulante Reha im Bewegungsbad anbieten können. Die Verbringung in das Krankenhaus M-Stadt sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts für die Klägerin zumutbar; eine Mehrbelastung zu den Fahrten nach ZS. könne nicht erkannt werden. Die Behandlungsmöglichkeit in H-Stadt habe sich aus den Ermittlungen des erstinstanzlichen Gerichts ergeben. Da die Klägerin erst nach Aufnahme der Behandlung die Fahrkosten geltend gemacht habe, habe die Nennung einer alternativen Behandlungsstätte keinen Sinn gemacht. Die Übernahme von Fahrkosten sei vor Behandlungsbeginn bei der jeweiligen Krankenkasse zu beantragen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Verordnung von EAP beinhalte auch Behandlungen in einem Bewegungsbad, dies ergebe sich bereits aus Ziffer 17 A.2.1.2 der Heilmittelrichtlinien. Das Bewegungsbad sei aufgrund ihrer Erkrankung auch erforderlich und medizinisch notwendig gewesen. Hierdurch sei eine gelenkschonende Mobilisation möglich gewesen, insbesondere sei es notwendig gewesen, um einer Versteifung des Kniegelenks vorzubeugen. Die Mehrbelastung einer Verbringung von HT. in das M-Krankenhaus zur Durchführung des Bewegungsbades sei gesundheitlich nicht gerechtfertigt gewesen. Das Fahren in einem Fahrzeug sei ihr nicht zumutbar gewesen, da hierbei Erschütterungen verursacht worden seien, außerdem habe sich das Ein- und Aussteigen aufgrund ihres Gesundheitszustandes schwierig gestaltet.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Reisekosten zu der ihr als ambulante Rehabilitationsleistung erbrachten EAP in der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 1. November 2004, nicht jedoch für die am 16. Juni 2004 und 18. Juni 2004 durchgeführten Fahrten. Auf die Berufung waren daher das Urteil des Sozialgerichts sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2005 zu ändern und die Beklagte lediglich zur Erstattung der Reisekosten in Höhe von 3.305,99 EUR zu verurteilen. Im Übrigen war die Klage unbegründet und abzuweisen.

Rechtsgrundlage für die Erstattung selbst beschaffter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch (SGB IX) – Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, wonach der Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet ist, wenn er eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich der Leistungsberechtigte die erforderliche Leistung selbst beschafft hat.

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der in der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 1. November 2004 stattgefundenen Fahrten zur EAP nach ZS. bzw. von dort zum Wohnort gegeben, denn die Beklagte hat die Übernahme von Reisekosten insoweit zu Unrecht abgelehnt. Dagegen kann die Klägerin die Erstattung der ersten beiden Fahrten am 16. Juni 2004 und 18. Juni 2004 nicht beanspruchen, denn sie hat insoweit nicht den auch im Rahmen von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu beachtenden so genannten "Beschaffungsweg" eingehalten.

§ 15 Abs. 1 SGB IX stellt eine Durchbrechung des auch im SGB IX geltenden Sachleistungsprinzips dar (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, K § 15 RdNr. 3). Daher muss zwischen der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung bzw. dem Beschaffen der unaufschiebbaren Leistung und der Kostenlast des Versicherten ein Kausalzusammenhang bestehen. Der Erstattungsanspruch ist deshalb ausgeschlossen, wenn der Versicherte vor der Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung nicht die Entscheidung des Rehabilitationsträgers über deren Gewährung abgewartet oder in dringenden Fällen einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt hat (Löschau in GK-SGB IX § 15 RdNr. 26, 30, vgl. auch BSGE 66, 275, 283; BSG SozR 4-2500 § 3 Nr. 1 RdNr. 12 f).

Diesen Erfordernissen entsprach die Klägerin erst, als sie am 21. Juni 2004 per Fax durch den Leistungserbringer, die E-GmbH, die Verordnung des Dr. HA. vom 17. Juni 2004 über die EAP an die Beklagte übersandte. Hierin ist zunächst der Antrag auf die Erbringung der EAP selbst zu sehen, es liegt zugleich aber auch der Antrag auf die Übernahme der von der Erbringung der EAP abhängigen Reisekosten vor. Diese stellen sich als ergänzende Leistung zu den ambulanten Leistungen zur Rehabilitation dar, die nur dann übernahmefähig sind, wenn sie aus Anlass der Teilnahme an einer Leistung zur (hier:) medizinischen Rehabilitation entstehen (Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX K § 53 RdNr. 7). Im Hinblick auf die bestehende Akzessorietät ist eine gesonderte Antragstellung und insbesondere vorherige Genehmigung – anders als bei den Fahrkosten gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V (vgl. hierzu BSG 22. April 2008 – B 1 KR 22/07 R – SozR 4-2500 § 60 Nr. 4) – nicht erforderlich. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung ist der Antrag so auszulegen, dass sein Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 6/09 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 2). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die mit der Inanspruchnahme der ambulanten Rehabilitation unmittelbar zusammen hängen und deren Durchführung und Erfolg fördern. Für die beiden vor dem 21. Juni 2004 stattgehabten Fahrten (am 16. bzw. 18. Juni 2004) ist das Antragserfordernis dagegen nicht erfüllt.

Hinsichtlich der ab 21. Juni 2004 erfolgten und geltend gemachten Fahrten musste die Klägerin des weiteren eine Entscheidung der Beklagten nicht abwarten, denn insoweit handelt es sich um unaufschiebbare Leistungen. Beurteilungsmaßstab ist hierbei gleichfalls die Hauptleistung, mithin die EAP, mit deren Beginn und Fortführung die Klägerin nach den Angaben ihrer behandelnden Ärzte nicht zuwarten konnte, da nach dem operativen Eingriff im Juni 2004 ansonsten eine Einsteifung des Kniegelenks gedroht hätte. Dies ist für den Senat nachvollziehbar und wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt, die die Kosten der EAP auch in diesem Umfang übernommen hat.

Weiterhin hat die Beklagte die Übernahme der Fahrkosten auch zu Unrecht abgelehnt.

Rechtsgrundlage hierfür ist nicht § 60 Abs. 1 SGB V sondern – worauf auch das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat – § 60 Abs. 5 SGB V i. V. m. § 53 Abs. 1 SGB IX. Danach werden als Reisekosten die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen.

Es handelt sich bei der EAP nämlich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um eine ergänzende Leistung zur Rehabilitation im Sinne von § 43 SGB V, für deren Durchführung die Beklagte nur nach den engeren Vorschriften des § 60 Abs. 1 SGB V i. V. mit den am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (Krankentransport-Richtlinien) vom 22. Januar 2004 (BAnz Nr. 18, S. 1342) zur Übernahme von Fahrkosten verpflichtet wäre (vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 22/07 R – SozR 4-2500 § 60 Nr. 4 zum Rehabilitationssport). Vielmehr ist EAP nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17. Februar 2010 – B 1 KR 23/09 R – SozR 4-2500 § 40 Nr. 5; Urteil vom 1. September 2005 – B 3 KR 3/04 R – SozR 4-2500 § 40 Nr. 2) eine ambulante Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 1 SGB V in der hier maßgeblichen, ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I, S. 2190). Dies gilt jedenfalls seit der Neuregelung des § 40 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz vom 22. Dezember 1999 (BGBl I, S. 2626) mit Wirkung zum 1. Januar 2000. Bis dahin wurden Leistungen der ambulanten Rehabilitation - vor allem AOTR und EAP - durch die Krankenkassen erbracht, obwohl damit die Grenze zwischen der ebenfalls möglichen Heilmittelversorgung i. S. von § 32 SGB V und der ambulanten Rehabilitation - mit der Folge der Nachrangigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, § 40 Abs. 4 SGB V - gelegentlich verwischt wurde. EAP wurde von den Krankenkassen als Sonderformen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 SGB V a. F.) eingesetzt, ohne aber immer den für das Rehabilitationsrecht erforderlichen komplexen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen. Seit 1. Januar 2000 sind demgegenüber Leistungen der ambulanten Rehabilitation in wohnortnahen Einrichtungen in § 40 Abs. 1 SGB V speziell geregelt.

Die geltend gemachten Kosten für die seit 21. Juni 2004 stattgefundenen Fahrten standen im Zusammenhang mit den von der Beklagten bewilligten Leistungen der EAP und waren insbesondere auch erforderlich im Hinblick auf die Kosten der Beförderung mit dem Taxi, denn nach § 53 Abs. 1 2. Halbs. SGB IX sind die Kosten für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, ausdrücklich umfasst. Die Erforderlichkeit der Beförderung mit dem Taxi ergibt sich dabei nachvollziehbar aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009, wonach beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln Erschütterungsschmerzen entstanden wären, die der Klägerin die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln unmöglich gemacht hätten. Dies bestätigt sich auch aus der Bescheinigung des behandelnden Orthopäden der Klägerin Dr. HA. vom 22. Oktober 2007 und aus den Angaben des Hausarztes Dr. ED. im Befundbericht vom 23. Oktober 2007.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Übungsbehandlung im Bewegungsbad nicht ausdrücklich verordnet und daher nicht medizinisch notwendig gewesen sei. Eine gesonderte Verordnung der Therapie im Bewegungsbad ist in Ansehung der – von der Beklagten hinsichtlich ihrer Notwendigkeit nach entsprechender Empfehlung durch den MDK im Übrigen anerkannten - Verordnung der EAP nicht erforderlich. Zwar ergibt sich aus der bloßen Erwähnung der Übungsbehandlung im Bewegungsbad in Ziff. 17. A. 2.1.2 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien) vom 1. Dezember 2003/26. März 2004 nicht – wie aber die Klägerin ausführt – , dass diese Gegenstand auch der verordneten EAP sei, denn unabhängig von ihrem diesbezüglichen Regelungsgehalt sind die Heilmittel-Richtlinien auf die ambulante Rehabilitation bereits nicht anwendbar. Maßgeblich abzustellen ist indes auf die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 16. März 2004 (BAnz S. 6769), die ebenso wie der von der Beklagten vorgelegte und für die Rehabilitationseinrichtung E-GmbH im konkreten Fall auch verbindliche Vertrag über die Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP-Vertrag) die Erstellung eines Behandlungsplans vorsieht, der die Behandlungsinhalte entsprechend der klinisch-ärztlichen sowie krankengymnastischen Erfahrung indikationsgerecht bestimmt und mit ausgewählten Behandlungsmethoden unterlegt (vgl. § 3 Abs. 1 EAP-Vertrag) und welcher der Beklagten gemäß § 4 Abs. 5 EAP-Vertrag von dem Leistungserbringer ausweislich des Faxschreibens vom 21. Juni 2004, in deren Anlagen ein Behandlungsplan aufgeführt ist, auch zur Genehmigung vorgelegt wurde. Hieraus folgt, dass der Rehabilitationseinrichtung die nähere Ausgestaltung der EAP – mithin auch die Einschätzung, ob eine Übungsbehandlung im Bewegungsbad erforderlich ist – überlassen ist, allerdings unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Krankenkasse, die hier durch Bescheid vom 19. Juli 2004 erteilt wurde.

Von dem Anspruch auf Reisekosten werden sowohl die Fahrten zum Ort der Rehabilitationsleistung in ZS. als auch die Fahrten von dort zurück an den Wohnort der Klägerin nach A-Stadt umfasst. Denn nach dem Wortlaut des § 53 SGB IX sind das die im Zusammenhang mit der Ausführung der Leistung erforderlichen Fahrkosten, mithin auch bei ambulanten Leistungen der Rehabilitation – wie hier – die Kosten der An- und Abreise.

Die Beklagte hat nach alledem der Klägerin die ihr entstandenen Reisekosten im tenorierten Umfang zu erstatten.

Der Anspruch aus § 15 Abs. 1 SGB IX ist auf die tatsächlich entstandenen Aufwendungen gerichtet (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Dabei sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, d. h. der Leistungsberechtigte soll nicht mehr erstattet bekommen, als ihm bei Erbringung der Sachleistung zustehen würde. Der Umfang des Erstattungsanspruchs ist damit aber nicht auf den Betrag begrenzt, den der Rehabilitationsträger für die erforderliche Leistung hätte aufwenden müssen (so noch der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 14/5074 S. 103 zu § 15), sondern wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erweitert, um finanzielle Verluste der Betroffenen zu vermeiden, und entspricht der Erstattungspflicht in § 13 Abs. 3 SGB V (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 14/5800, S. 26 zu Art. 1, § 15 Buchst. a). Der Zweck des Kostenerstattungsanspruchs liegt gerade darin, die Versicherten von den Aufwendungen freizustellen, die ihnen speziell wegen der zu Unrecht abgelehnten Leistungserbringung entstanden sind. Das die Erstattungspflicht auslösende Verhalten des Rehabilitationsträgers muss wesentliche Bedingung für die von den Versicherten eingegangene finanzielle Verpflichtung und deren Umfang sein. Wenn – wie hier der Beklagten hinsichtlich der Auswahl des Rehabilitationsortes – dem Rehabilitationsträger ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Art und Durchführung der Leistung eingeräumt ist, kann er sich für den Umfang der Kostenerstattung im Falle der nicht rechtzeitig erbrachten oder zu Unrecht abgelehnten Sachleistung nicht darauf berufen, dass er im Rahmen der Ausübung seines Auswahlermessens einen wohnortnäheren Leistungsort ausgewählt hätte (vgl. Mrozynski, SGB IX Teil 1, § 15 RdNr. 31). Bereits deshalb kann die Beklagte nicht damit gehört werden, dass die Durchführung der EAP in ZS. nicht notwendig gewesen sei, weil die Behandlung ggf. auch in der dem Wohnort der Klägerin näher gelegenen Einrichtung "HT." in H-Stadt hätte durchgeführt werden können.

Selbst wenn der Kostenerstattungsanspruch indes auf die Kosten begrenzt wäre, die angefallen wären, wenn der Rehabilitationsträger sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte, ergibt sich nichts anderes. Denn die Beklagte hat mit Bescheid vom 19. Juli 2004 nicht nur die Übernahme der EAP dem Grunde nach bewilligt, sondern auch bei der E-GmbH in ZS ... Denn sie hat die Klägerin ausdrücklich aufgefordert, sich "bezüglich der Terminvergabe mit der E-GmbH in Verbindung" zu setzen, was nach dem objektiven Erklärungsgehalt nichts anderes heißt, als dass die Beklagte keine Einwendungen gegen die Leistungserbringung in ZS. hatte. Soweit dies darauf beruht, dass die Beklagte von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausging, befand sie sich hinsichtlich des ihre vom Gesetz eingeräumten Ermessens im Rechtsirrtum. Dies kann aber nicht der Klägerin angelastet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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