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Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Reisekosten zu der ihr als ambulante Rehabilitationsleistung erbrachten EAP in der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 1. November 2004, nicht jedoch für die am 16. Juni 2004 und 18. Juni 2004 durchgeführten Fahrten. Auf die Berufung waren daher das Urteil des Sozialgerichts sowie der Bescheid der Beklagten vom 9. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Februar 2005 zu ändern und die Beklagte lediglich zur Erstattung der Reisekosten in Höhe von 3.305,99 EUR zu verurteilen. Im Übrigen war die Klage unbegründet und abzuweisen.

Rechtsgrundlage für die Erstattung selbst beschaffter Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ist gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch (SGB IX) – Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, wonach der Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet ist, wenn er eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich der Leistungsberechtigte die erforderliche Leistung selbst beschafft hat.

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der in der Zeit vom 21. Juni 2004 bis 1. November 2004 stattgefundenen Fahrten zur EAP nach ZS. bzw. von dort zum Wohnort gegeben, denn die Beklagte hat die Übernahme von Reisekosten insoweit zu Unrecht abgelehnt. Dagegen kann die Klägerin die Erstattung der ersten beiden Fahrten am 16. Juni 2004 und 18. Juni 2004 nicht beanspruchen, denn sie hat insoweit nicht den auch im Rahmen von § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zu beachtenden so genannten "Beschaffungsweg" eingehalten.

§ 15 Abs. 1 SGB IX stellt eine Durchbrechung des auch im SGB IX geltenden Sachleistungsprinzips dar (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, K § 15 RdNr. 3). Daher muss zwischen der rechtswidrigen Ablehnung der Leistung bzw. dem Beschaffen der unaufschiebbaren Leistung und der Kostenlast des Versicherten ein Kausalzusammenhang bestehen. Der Erstattungsanspruch ist deshalb ausgeschlossen, wenn der Versicherte vor der Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung nicht die Entscheidung des Rehabilitationsträgers über deren Gewährung abgewartet oder in dringenden Fällen einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt hat (Löschau in GK-SGB IX § 15 RdNr. 26, 30, vgl. auch BSGE 66, 275, 283; BSG SozR 4-2500 § 3 Nr. 1 RdNr. 12 f).

Diesen Erfordernissen entsprach die Klägerin erst, als sie am 21. Juni 2004 per Fax durch den Leistungserbringer, die E-GmbH, die Verordnung des Dr. HA. vom 17. Juni 2004 über die EAP an die Beklagte übersandte. Hierin ist zunächst der Antrag auf die Erbringung der EAP selbst zu sehen, es liegt zugleich aber auch der Antrag auf die Übernahme der von der Erbringung der EAP abhängigen Reisekosten vor. Diese stellen sich als ergänzende Leistung zu den ambulanten Leistungen zur Rehabilitation dar, die nur dann übernahmefähig sind, wenn sie aus Anlass der Teilnahme an einer Leistung zur (hier:) medizinischen Rehabilitation entstehen (Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX K § 53 RdNr. 7). Im Hinblick auf die bestehende Akzessorietät ist eine gesonderte Antragstellung und insbesondere vorherige Genehmigung – anders als bei den Fahrkosten gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 SGB V (vgl. hierzu BSG 22. April 2008 – B 1 KR 22/07 R – SozR 4-2500 § 60 Nr. 4) – nicht erforderlich. Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung ist der Antrag so auszulegen, dass sein Begehren möglichst weitgehend zum Tragen kommt (BSG Urteil vom 23. März 2010 – B 14 AS 6/09 R – SozR 4-4200 § 37 Nr. 2). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die mit der Inanspruchnahme der ambulanten Rehabilitation unmittelbar zusammen hängen und deren Durchführung und Erfolg fördern. Für die beiden vor dem 21. Juni 2004 stattgehabten Fahrten (am 16. bzw. 18. Juni 2004) ist das Antragserfordernis dagegen nicht erfüllt.

Hinsichtlich der ab 21. Juni 2004 erfolgten und geltend gemachten Fahrten musste die Klägerin des weiteren eine Entscheidung der Beklagten nicht abwarten, denn insoweit handelt es sich um unaufschiebbare Leistungen. Beurteilungsmaßstab ist hierbei gleichfalls die Hauptleistung, mithin die EAP, mit deren Beginn und Fortführung die Klägerin nach den Angaben ihrer behandelnden Ärzte nicht zuwarten konnte, da nach dem operativen Eingriff im Juni 2004 ansonsten eine Einsteifung des Kniegelenks gedroht hätte. Dies ist für den Senat nachvollziehbar und wird auch von der Beklagten nicht angezweifelt, die die Kosten der EAP auch in diesem Umfang übernommen hat.

Weiterhin hat die Beklagte die Übernahme der Fahrkosten auch zu Unrecht abgelehnt.

Rechtsgrundlage hierfür ist nicht § 60 Abs. 1 SGB V sondern – worauf auch das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat – § 60 Abs. 5 SGB V i. V. m. § 53 Abs. 1 SGB IX. Danach werden als Reisekosten die im Zusammenhang mit der Ausführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erforderlichen Fahr-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten übernommen.

Es handelt sich bei der EAP nämlich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um eine ergänzende Leistung zur Rehabilitation im Sinne von § 43 SGB V, für deren Durchführung die Beklagte nur nach den engeren Vorschriften des § 60 Abs. 1 SGB V i. V. mit den am 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten, Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten (Krankentransport-Richtlinien) vom 22. Januar 2004 (BAnz Nr. 18, S. 1342) zur Übernahme von Fahrkosten verpflichtet wäre (vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 22/07 R – SozR 4-2500 § 60 Nr. 4 zum Rehabilitationssport). Vielmehr ist EAP nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17. Februar 2010 – B 1 KR 23/09 R – SozR 4-2500 § 40 Nr. 5; Urteil vom 1. September 2005 – B 3 KR 3/04 R – SozR 4-2500 § 40 Nr. 2) eine ambulante Leistung der medizinischen Rehabilitation im Sinne von § 40 Abs. 1 SGB V in der hier maßgeblichen, ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) vom 14. November 2003 (BGBl I, S. 2190). Dies gilt jedenfalls seit der Neuregelung des § 40 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz vom 22. Dezember 1999 (BGBl I, S. 2626) mit Wirkung zum 1. Januar 2000. Bis dahin wurden Leistungen der ambulanten Rehabilitation - vor allem AOTR und EAP - durch die Krankenkassen erbracht, obwohl damit die Grenze zwischen der ebenfalls möglichen Heilmittelversorgung i. S. von § 32 SGB V und der ambulanten Rehabilitation - mit der Folge der Nachrangigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, § 40 Abs. 4 SGB V - gelegentlich verwischt wurde. EAP wurde von den Krankenkassen als Sonderformen der ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation (§ 43 SGB V a. F.) eingesetzt, ohne aber immer den für das Rehabilitationsrecht erforderlichen komplexen interdisziplinären Ansatz zu verfolgen. Seit 1. Januar 2000 sind demgegenüber Leistungen der ambulanten Rehabilitation in wohnortnahen Einrichtungen in § 40 Abs. 1 SGB V speziell geregelt.

Die geltend gemachten Kosten für die seit 21. Juni 2004 stattgefundenen Fahrten standen im Zusammenhang mit den von der Beklagten bewilligten Leistungen der EAP und waren insbesondere auch erforderlich im Hinblick auf die Kosten der Beförderung mit dem Taxi, denn nach § 53 Abs. 1 2. Halbs. SGB IX sind die Kosten für besondere Beförderungsmittel, deren Inanspruchnahme wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich ist, ausdrücklich umfasst. Die Erforderlichkeit der Beförderung mit dem Taxi ergibt sich dabei nachvollziehbar aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009, wonach beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln Erschütterungsschmerzen entstanden wären, die der Klägerin die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln unmöglich gemacht hätten. Dies bestätigt sich auch aus der Bescheinigung des behandelnden Orthopäden der Klägerin Dr. HA. vom 22. Oktober 2007 und aus den Angaben des Hausarztes Dr. ED. im Befundbericht vom 23. Oktober 2007.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Übungsbehandlung im Bewegungsbad nicht ausdrücklich verordnet und daher nicht medizinisch notwendig gewesen sei. Eine gesonderte Verordnung der Therapie im Bewegungsbad ist in Ansehung der – von der Beklagten hinsichtlich ihrer Notwendigkeit nach entsprechender Empfehlung durch den MDK im Übrigen anerkannten - Verordnung der EAP nicht erforderlich. Zwar ergibt sich aus der bloßen Erwähnung der Übungsbehandlung im Bewegungsbad in Ziff. 17. A. 2.1.2 der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien) vom 1. Dezember 2003/26. März 2004 nicht – wie aber die Klägerin ausführt – , dass diese Gegenstand auch der verordneten EAP sei, denn unabhängig von ihrem diesbezüglichen Regelungsgehalt sind die Heilmittel-Richtlinien auf die ambulante Rehabilitation bereits nicht anwendbar. Maßgeblich abzustellen ist indes auf die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 16. März 2004 (BAnz S. 6769), die ebenso wie der von der Beklagten vorgelegte und für die Rehabilitationseinrichtung E-GmbH im konkreten Fall auch verbindliche Vertrag über die Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP-Vertrag) die Erstellung eines Behandlungsplans vorsieht, der die Behandlungsinhalte entsprechend der klinisch-ärztlichen sowie krankengymnastischen Erfahrung indikationsgerecht bestimmt und mit ausgewählten Behandlungsmethoden unterlegt (vgl. § 3 Abs. 1 EAP-Vertrag) und welcher der Beklagten gemäß § 4 Abs. 5 EAP-Vertrag von dem Leistungserbringer ausweislich des Faxschreibens vom 21. Juni 2004, in deren Anlagen ein Behandlungsplan aufgeführt ist, auch zur Genehmigung vorgelegt wurde. Hieraus folgt, dass der Rehabilitationseinrichtung die nähere Ausgestaltung der EAP – mithin auch die Einschätzung, ob eine Übungsbehandlung im Bewegungsbad erforderlich ist – überlassen ist, allerdings unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Krankenkasse, die hier durch Bescheid vom 19. Juli 2004 erteilt wurde.

Von dem Anspruch auf Reisekosten werden sowohl die Fahrten zum Ort der Rehabilitationsleistung in ZS. als auch die Fahrten von dort zurück an den Wohnort der Klägerin nach A-Stadt umfasst. Denn nach dem Wortlaut des § 53 SGB IX sind das die im Zusammenhang mit der Ausführung der Leistung erforderlichen Fahrkosten, mithin auch bei ambulanten Leistungen der Rehabilitation – wie hier – die Kosten der An- und Abreise.

Die Beklagte hat nach alledem der Klägerin die ihr entstandenen Reisekosten im tenorierten Umfang zu erstatten.

Der Anspruch aus § 15 Abs. 1 SGB IX ist auf die tatsächlich entstandenen Aufwendungen gerichtet (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Dabei sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, d. h. der Leistungsberechtigte soll nicht mehr erstattet bekommen, als ihm bei Erbringung der Sachleistung zustehen würde. Der Umfang des Erstattungsanspruchs ist damit aber nicht auf den Betrag begrenzt, den der Rehabilitationsträger für die erforderliche Leistung hätte aufwenden müssen (so noch der Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 14/5074 S. 103 zu § 15), sondern wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erweitert, um finanzielle Verluste der Betroffenen zu vermeiden, und entspricht der Erstattungspflicht in § 13 Abs. 3 SGB V (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 14/5800, S. 26 zu Art. 1, § 15 Buchst. a). Der Zweck des Kostenerstattungsanspruchs liegt gerade darin, die Versicherten von den Aufwendungen freizustellen, die ihnen speziell wegen der zu Unrecht abgelehnten Leistungserbringung entstanden sind. Das die Erstattungspflicht auslösende Verhalten des Rehabilitationsträgers muss wesentliche Bedingung für die von den Versicherten eingegangene finanzielle Verpflichtung und deren Umfang sein. Wenn – wie hier der Beklagten hinsichtlich der Auswahl des Rehabilitationsortes – dem Rehabilitationsträger ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Art und Durchführung der Leistung eingeräumt ist, kann er sich für den Umfang der Kostenerstattung im Falle der nicht rechtzeitig erbrachten oder zu Unrecht abgelehnten Sachleistung nicht darauf berufen, dass er im Rahmen der Ausübung seines Auswahlermessens einen wohnortnäheren Leistungsort ausgewählt hätte (vgl. Mrozynski, SGB IX Teil 1, § 15 RdNr. 31). Bereits deshalb kann die Beklagte nicht damit gehört werden, dass die Durchführung der EAP in ZS. nicht notwendig gewesen sei, weil die Behandlung ggf. auch in der dem Wohnort der Klägerin näher gelegenen Einrichtung "HT." in H-Stadt hätte durchgeführt werden können.

Selbst wenn der Kostenerstattungsanspruch indes auf die Kosten begrenzt wäre, die angefallen wären, wenn der Rehabilitationsträger sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hätte, ergibt sich nichts anderes. Denn die Beklagte hat mit Bescheid vom 19. Juli 2004 nicht nur die Übernahme der EAP dem Grunde nach bewilligt, sondern auch bei der E-GmbH in ZS ... Denn sie hat die Klägerin ausdrücklich aufgefordert, sich "bezüglich der Terminvergabe mit der E-GmbH in Verbindung" zu setzen, was nach dem objektiven Erklärungsgehalt nichts anderes heißt, als dass die Beklagte keine Einwendungen gegen die Leistungserbringung in ZS. hatte. Soweit dies darauf beruht, dass die Beklagte von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausging, befand sie sich hinsichtlich des ihre vom Gesetz eingeräumten Ermessens im Rechtsirrtum. Dies kann aber nicht der Klägerin angelastet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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