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Landessozialgericht Hessen 27.01.2011, L 8 KR 201/09

  • Aktenzeichen: L 8 KR 201/09
  • Spruchkörper: 8. Senat 
  • Instanzenaktenzeichen: S 13 KR 46/05
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 27.01.2011

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Reisekosten zur Erweiterten Ambulanten Physiotherapie (EAP) in Höhe von 3.422,00 EUR.

Die Klägerin leidet anlagebedingt an einer Fehlbildung beider Kniegelenke. Diesbezüglich fanden in der Vergangenheit mehrere Operationen statt, zuletzt am 1. Juni 2004 in AS. Nachfolgend verordnete der Orthopäde Dr. HA. am 17. Juni 2004 zehnmal Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP). Als Diagnose gab er den Zustand nach Retropatellarersatz links an. Am 21. Juni 2004 übersandte das Zentrum für ambulante Rehabilitation E. GmbH, ZS. per Fax die Verordnung des Dr. HA. vom 17. Juni 2004 an die Beklagte. Unter dem 8. Juli 2004, 3. August 2004, 26. August 2004 und 23. September 2004 verordnete Dr. HA. weiterhin je zehnmal Erweiterte Ambulante Physiotherapie (EAP). Mit Verordnung vom 21. Oktober 2004 verschrieb der Orthopäde Dr. IR. der Klägerin ebenfalls zehnmal EAP und gab als Diagnose Zustand nach Fermoropatellarlageersatz li 6/04 an. Die Beklagte übernahm die Kosten dieser Verordnungen durch Bescheide vom 19. Juli 2004 und 18. Januar 2005.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2004 beantragte die Klägerin, die Kosten für die Fahrten zur Therapie nach ZS. zu übernehmen. Der Transport müsse mit einem Taxi erfolgen, da sie nur mit zwei Gehhilfen gehen könne. Sie legte ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. ED. vom 2. September 2004 vor, wonach sie aufgrund der schweren Gehbehinderung nicht in der Lage sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, so dass der Transport mit einem Taxi erfolgen müsse, bis die EAP abgeschlossen sei.

Mit Bescheid vom 9. September 2004 lehnte die Beklagte die Übernahme der Fahrkosten ab. Sie wies darauf hin, dass Fahrkosten zur ambulanten Behandlung seit dem 1. Januar 2004 grundsätzlich nicht mehr übernommen werden könnten, es sei denn, es liege ein besonderer Ausnahmefall vor. Außerdem müssten die Fahrkosten vorher genehmigt werden. Ein besonderer Ausnahmefall liege nur vor, wenn der Versicherte im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem der Merkmale (aG, Bl oder H) sei oder Leistungen der Pflegeversicherung gemäß der Pflegestufe II oder III beziehe.

Dagegen legte die Klägerin am 8. Oktober 2004 Widerspruch ein, den die Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (Dr. RE.) vom 10. November 2004 durch Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2005 zurückwies. In der Begründung führte die Beklagte aus, dass Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung gemäß § 60 Abs. 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) unter Abzug des sich nach § 61 S. 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 SGB V festgelegt habe, übernommen werden könnten. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor. Es liege auch keine vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse vor. Dauer und Umfang würden von der Krankenkasse festgelegt. Außerdem würden zahlreiche Therapiepraxen im Bereich ambulante Rehabilitation in A-Stadt und näherer Umgebung EAP durchführen.

Hiergegen erhob die Klägerin am 22. Februar 2005 Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt, mit der sie die Erstattung der Taxikosten in Höhe von 3.422,00 EUR begehrte.

Das Sozialgericht hat im Rahmen seiner Ermittlungen unter anderem von Amts wegen Befundberichte des Orthopäden Dr. IR. vom 17. Oktober 2007, des Dr. HA. vom 22. Oktober 2007, des Dr. ED. vom 23. Oktober 2007 und des Chirurgen Dr. XL. vom 7. November 2007 beigezogen. Außerdem hat es Informationen des Therapiezentrums JZ. vom 10. Oktober 2007, des Instituts EA., A-Stadt, vom 31. Oktober 2007 und des Instituts HT., H-Stadt, vom 3. März 2008 eingeholt und ein Sachverständigengutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Feststellung gelangt, dass im streitigen Zeitraum die Notwendigkeit eines Transportes in einem Taxi zu den EAP-Behandlungen in ZS. bestanden habe.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Durchführung der EAP sei nur in ZS. möglich gewesen. Soweit das Institut HT. angebe, dass dort ein Bewegungsbad vorhanden sei, sei dies nur bedingt richtig. In der damaligen Zeit sei das Bewegungsbad des M. Krankenhauses mitbenutzt worden. Die Patienten hätten von Sporttherapeuten dorthin gefahren werden müssen. Auch dies wäre eine zusätzliche Belastung für die Klägerin gewesen, die gesundheitlich nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Mit Urteil vom 24. April 2009 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 9. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2005 aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung von Fahrkosten für die in der Zeit vom 16. Juni 2004 bis 1. November 2004 in ZS. durchgeführten EAP-Behandlungen in Höhe von 3.422,00 EUR verurteilt. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 13 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 60 Abs. 5 SGB V und § 53 Abs. 1 des 9. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Entgegen der Annahme der Beklagten handele es sich bei der durchgeführten EAP um Rehabilitationsleistungen, so dass die gesetzlichen Regelungen bezüglich der Übernahme der Fahrkosten gemäß § 60, 61 SGB V in Verbindung mit § 8 der Krankentransportrichtlinien nicht zur Anwendung gelangten. Aus medizinischer Sicht sei es notwendig gewesen, dass die Klägerin zu den Behandlungen nach ZS. ein Taxi verwenden musste. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. HS. vom 2. Februar 2009. Dieser habe überzeugend ausgeführt, dass in Folge der Bewegungseinschränkung im operierten Kniegelenk und der sich nach dem Eingriff rasch wieder entwickelnden Schmerzen eine erhebliche Einschränkung der Gehfähigkeit bestanden habe. Er weise darauf hin, dass der behandelnde Hausarzt Dr. ED. nachvollziehbar für den Zeitraum von Ende Juni bis Oktober 2004 von einer auf wenige Meter limitierten Gehstrecke berichtet habe. Außerdem sei die Klägerin nicht in der Lage, längere Zeiten zu stehen, weshalb längere Wartezeiten bezüglich öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar gewesen seien. Entsprechende Befunde seien von Dr. XL. mitgeteilt worden. Der Sachverständige Prof. Dr. HS. führe weiter nachvollziehbar aus, dass nach dem Eingriff im Juni 2004 Erschütterungsschmerzen beim Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln vorgelegen hätten. Es habe daher die Notwendigkeit eines Transportes in einem Taxi bestanden. Ursächlich hierfür seien die Einschränkung der Gehstrecke, die Einschränkung der Beweglichkeit im Kniegelenk und die Schmerzen im Kniegelenk. Ortsnähere Einrichtungen für die durchgeführten Maßnahmen hätten nicht zur Verfügung gestanden. So habe die Klägerin auch unwidersprochen vorgetragen, dass das Institut HT. in H-Stadt nicht über ein eigenes Schwimmbecken verfüge, sondern das eines Krankenhauses im Nachbarort verwenden musste. Die Verbringung der Klägerin dorthin sei aufgrund der obigen Störungen im Gesundheitszustand unzumutbar gewesen. Die Klägerin habe auch rechtzeitig den Antrag auf Übernahme der Fahrkosten gestellt. Hierzu sei grundsätzlich ein Antrag erforderlich, der aber auch formlos gestellt werden könne. Die Krankenkasse erstatte dem Versicherten die Kosten, wenn diese von ihm getragen worden seien. Im Übrigen übernehme die Krankenkasse die Fahrkosten, indem sie die Vergütungen (§ 133 SGB V) an das Beförderungsunternehmen bezahle.

Gegen das ihr am 19. Juni 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Juli 2009 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag führt sie ergänzend aus, dass die EAP-Behandlung nicht ausschließlich in ZS. habe stattfinden können. Das von der Klägerin insoweit als Argument angeführte "Aquajogging" sei vom Arzt gar nicht verordnet, sondern lediglich empfohlen worden, eine medizinische Notwendigkeit habe nicht vorgelegen. Zudem habe die EAP bereits am 16. Juni 2004 begonnen, die Empfehlung hinsichtlich des Aquajogging sei indes erst am 29. Juni 2004 und damit nach Beginn der Behandlung in ZS. erfolgt. Darüber hinaus habe auch die Klinik "HT." in H Stadt die ambulante Reha im Bewegungsbad anbieten können. Die Verbringung in das Krankenhaus M-Stadt sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts für die Klägerin zumutbar; eine Mehrbelastung zu den Fahrten nach ZS. könne nicht erkannt werden. Die Behandlungsmöglichkeit in H-Stadt habe sich aus den Ermittlungen des erstinstanzlichen Gerichts ergeben. Da die Klägerin erst nach Aufnahme der Behandlung die Fahrkosten geltend gemacht habe, habe die Nennung einer alternativen Behandlungsstätte keinen Sinn gemacht. Die Übernahme von Fahrkosten sei vor Behandlungsbeginn bei der jeweiligen Krankenkasse zu beantragen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Verordnung von EAP beinhalte auch Behandlungen in einem Bewegungsbad, dies ergebe sich bereits aus Ziffer 17 A.2.1.2 der Heilmittelrichtlinien. Das Bewegungsbad sei aufgrund ihrer Erkrankung auch erforderlich und medizinisch notwendig gewesen. Hierdurch sei eine gelenkschonende Mobilisation möglich gewesen, insbesondere sei es notwendig gewesen, um einer Versteifung des Kniegelenks vorzubeugen. Die Mehrbelastung einer Verbringung von HT. in das M-Krankenhaus zur Durchführung des Bewegungsbades sei gesundheitlich nicht gerechtfertigt gewesen. Das Fahren in einem Fahrzeug sei ihr nicht zumutbar gewesen, da hierbei Erschütterungen verursacht worden seien, außerdem habe sich das Ein- und Aussteigen aufgrund ihres Gesundheitszustandes schwierig gestaltet.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

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