Landessozialgericht Hessen 09.06.2011, L 1 KR 313/09

  • Aktenzeichen: L 1 KR 313/09
  • Spruchkörper: 1. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 5 KR 93/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 09.06.2011

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger von den Kosten für häusliche Krankenpflege in Form des Anlegens von Kompressionsverbänden über Nacht an beiden Beinen durch den Pflegedienst in Höhe von 3.992,48 EUR in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 15. Dezember 2006 und vom 2. Januar 2007 bis zum 31. März 2007 freizustellen.

Der 1959 geborene und unter gesetzlicher Betreuung stehende Kläger lebt in einer betreuten Wohnform und ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner versichert. Das Betreute Wohnen übernimmt die psychosoziale Betreuung des Klägers. Er leidet unter einer Adipositas per magna, einem Diabetes mellitus Typ II mit diabetischer Polyneuropathie und diabetischer Nephropathie, einer Agoraphobie mit Panikstörung, Lipolymphödemen beider Unterschenkel, einem genetisch bedingten Myelodysplasie-Syndrom mit ausgeprägter rechtskonvexer Skoliose der Brustwirbelsäule sowie Klumpfüßen und einem Zustand nach rezidivierenden Erysipelen. Er erhält Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe I. Ergänzend zu seiner Rente bezieht der Kläger Leistungen der Grundsicherung.

Mit dem Pflegedienst D., Ambulante Pflegedienste, schloss der Kläger am 30. März 2005 einen Standardvertrag, der u.a. den folgenden Passus enthält: "Nicht bewilligte Leistungen der Krankenversicherung, die der Kunde auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung dennoch in Anspruch nimmt, hat er selbst zu bezahlen. Dabei wird die zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und dem Pflegedienst vertraglich vereinbarte Vergütung abgerechnet."

Auf die ärztlichen Verordnungen von Herrn E. vom 27. Juni 2005 und vom 20. September 2005 übernahm die Beklagte zunächst auf den Antrag des Klägers die Kosten für das Anlegen von nächtlichen Kompressionsverbänden beider Beine 1 x täglich, 7 x wöchentlich (zuletzt für den Zeitraum vom 20. September 2005 bis zum 31. Dezember 2005 aufgrund eines Anerkenntnisses der Beklagten in dem Verfahren S 18 KR 54/06 vor dem Sozialgericht Kassel). Auf die Folgeverordnung von Herrn E. vom 13. Dezember 2005 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Dezember 2005 eine Kostenübernahme für das Anlegen von Kompressionsverbänden nach der Durchführung eines Hausbesuches bei dem Kläger am 4. Oktober 2005 und einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 28. November 2005, Frau F., für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 15. Dezember 2006 ab. Den Widerspruch des Klägers vom 16. Januar 2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2006 zurück. Eine medizinische Notwendigkeit für die nächtliche Versorgung des Klägers mit Kompressionsverbänden bestehe nicht, da die Beine des Klägers hochgelagert werden könnten.

Hiergegen hat der Kläger am 10. April 2006 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben und zur Begründung darauf hingewiesen, dass er unter einer extremen Deformität beider Füße und massiven Lymphödemen leide. Soweit die Beklagte sich aufgrund des Hausbesuches auf den Standpunkt stelle, dass wegen der morgens festgestellten Schwellungen in der Knöchelregion trotz Kompressionsverbänden über Nacht diese Therapie für ihn nicht suffizient sei, sei festzustellen, dass ohne eine Kompression ein noch schlechteres Ergebnis mit einer weiteren Einschränkung seiner Mobilität zu befürchten sei. Zudem stelle das nächtliche Tragen von Kompressionsstrümpfen, wie von der Beklagten vorgeschlagen, für ihn ein erhebliches Risiko dar, da im liegenden Zustand Druckschäden entstehen könnten. Der Vorschlag, ihn nur mit Kompressionsstrümpfen zu versorgen, sei bereits aufgegriffen worden und es habe sich dabei herausgestellt, dass dadurch keine adäquate Kompressionstherapie habe erreicht werden können. Die von dem Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum vorgelegten Rechnungen des Pflegedienstes D., Ambulante Pflegedienste, sind jeweils an die Beklagte gerichtet.

Die Beklagte hat im Verfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenübernahme bzw. Freistellung von den Kosten bezüglich der nächtlichen Kompressionsverbände nicht in Betracht komme, festgehalten. Das Anlegen eines Kompressionsverbandes nach Ziffer 31 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege - Richtlinie) sei unabhängig vom Maß der Kompression eine verordnungsfähige Maßnahme der Behandlungspflege. Das Anlegen von Kompressionsverbänden sei jedoch lediglich dann verordnungsfähig, wenn ein Anziehen von angepassten Kompressionsstrümpfen aus anatomischen Gründen nicht möglich sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger auch tagsüber mit Kompressionsstrümpfen versorgt sei. Aussagekräftige ärztliche Befundberichte bzw. Stellungnahmen, die eine zwingende medizinische Notwendigkeit einer nächtlichen Kompressionstherapie mit Verbänden bei dem Kläger begründen könnten, lägen zudem nicht vor. Zur Bestätigung ihres Vorbringens hat sich die Beklagte unter anderem auf Gutachten des MDK vom 1. Dezember 2004 (Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit) und vom 15. Mai 2006, Dr. G., bezogen.

Das Gericht hat die Schwerbehindertenakte und die Rentenakte des Klägers beigezogen und Befundberichte bei dem Roten Kreuz Krankenhaus ZR. vom 1. November 2006 und bei Herrn E. vom 11. November 2006 eingeholt.

Mit Bescheid vom 3. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2007 hat die Beklagte das beantragte abendliche Anlegen von Kompressionsverbänden an beiden Beinen des Klägers für den Zeitraum vom 1. April 2007 bis zum 30. Juni 2007 abgelehnt. Die hiergegen von dem Kläger erhobene Klage vom 14. August 2007 (Az.: S 5 KR 253/07) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 9. Oktober 2009 im Blick auf das vorliegende Verfahren zum Ruhen gebracht. Das Verfahren bezüglich des beantragten Anlegens von Kompressionsverbänden in dem Zeitraum vom 2. Januar 2007 bis zum 31. März 2007 aufgrund des ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 6. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 (Az.: S 5 KR 106/07) hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 19. Juni 2007 mit dem vorliegenden Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Sozialgericht hat am 13. Juli 2007 ein dermatologisch-phlebologisch-lymphologisches Gutachten bei Dr. JA. in Auftrag gegeben, welches dieser am 5. März 2008 vorlegte. Dr. JA. kommt in seinem Gutachten vom 19. Februar 2008 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 28. August 2007 zu dem Ergebnis, dass im Einzelfall entschieden werden müsse, ob der Ödemzustand der Beine durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen besser zu behandeln sei oder das Wickeln der Beine mit phlebologischen Funktionsverbänden zu einem günstigeren Ergebnis komme. Um einen objektiven Überblick über die Effektivität der verschiedenen Formen der Kompressionstherapie (Kompressionsstrümpfe Kl. I, Funktionskompressionsverband mit Binden, Zustand ohne nächtliche Kompression mit der jederzeitigen ärztlichen Kontrolle für ein Behandlungsabbruch) zu erhalten, sollten ärztlich dokumentiert die verschiedenen Behandlungsvarianten durchgeführt werden. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24. September 2009 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Kammer nach den gutachterlichen Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon habe überzeugen können, ob in dem streitgegenständlichen Zeitraum das Wickeln der Beine über Nacht erforderlich und dabei auch gleichzeitig die wirtschaftlichste Variante gewesen sei, um die Erkrankung des Klägers zu lindern oder einer Verschlimmerung vorzubeugen. Eine von dem Gutachter vorgeschlagene ärztliche Befunddokumentation der verschiedenen Behandlungsalternativen habe bisher nicht stattgefunden. Die Durchsicht der vorgelegten Rechnungen habe sogar gezeigt, dass in manchen Fällen durch den Pflegedienst nicht das tägliche Wickeln abgerechnet worden sei, weil an manchen Tagen nicht examinierte Pflegekräfte die Beine des Klägers gewickelt hätten.

Am 25. September 2009 erfolgte die von Dr. JA. empfohlene Testung bezüglich der verschiedenen Formen der Kompressionstherapie. Die Versorgung des Klägers mit Kompressionsstrümpfen der Klasse I bei Nacht wurde aufgrund der bei der Testung gewonnenen Ergebnisse im Anschluss zunächst als ausreichend angesehen.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. Oktober 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, am 13. November 2009 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Zur Begründung weist er darauf hin, dass die Beklagte ihn im Fall der Inanspruchnahme von Behandlungspflege in der Vergangenheit von den im Zusammenhang mit der Erbringung der Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege entstandenen Verbindlichkeiten freizustellen habe, soweit der die häusliche Krankenpflege durchführende Leistungserbringer ihm die hierfür anfallenden Kosten in Rechnung gestellt und gestundet habe. Die Notwendigkeit der durchgeführten Therapie werde im vorliegenden Fall nicht angezweifelt. Lediglich die Wirtschaftlichkeit der ihm gegenüber erbrachten Leistungen könne nicht eindeutig festgestellt werden. Er habe den Nachweis der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit bereits durch die ärztlichen Verordnungen vom 13. Dezember 2005 und vom 2. Januar 2007 ausreichend geführt. Krankenkassen seien im Verhältnis zum Versicherten an die vertragsärztlichen Verordnungen gebunden und Verstöße in diesem Bereich seien nur im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) zu ahnden. Das Prüfungsrecht der Krankenkassen beschränke sich im Verhältnis zum Versicherten auf die Fragestellung, ob die Krankenpflege erforderlich sei, um die konkrete Pflegemaßnahme durchzuführen, und ob ein im Haushalt lebender Dritter die Maßnahme übernehmen könne. Eine körperliche Untersuchung sei zudem durch den MDK im Verwaltungsverfahren gar nicht erfolgt. Ihm wäre aufgrund der möglicherweise durch die empfohlene Testung entstehenden Gesundheitsschäden und den daraus resultierenden Folgekosten bei einem Fehlschlagen der Testung von einem Selbstversuch abzuraten gewesen. Insoweit treffe die Beklagte eine Ermittlungspflicht. Auch habe der weitere Verlauf gezeigt, dass seine nächtliche Versorgung mit Kompressionsstrümpfen der Klasse I entgegen der ersten Resultate aus der im Anschluss an das erstinstanzliche Urteil erfolgten Testphase nicht zielführend gewesen sei. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat der Kläger u.a. die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25. August 2009, B 3 KR 25/08 R, vom 3. August 2006, B 3 KR 24/05 R und vom 16. Dezember 1993, 4 RK 5/92 und die Dokumentation der ab dem 25. September 2009 erfolgten und von Dr. JA. empfohlenen Testung bezüglich der verschiedenen Formen der Kompressionstherapie nebst ärztlichen Bescheinigungen von Herrn E. vom 30. Mai 2011 und von Frau K., Physiotherapeutin, vom 4. Juni 2011 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Kassel vom 24. September 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2006 sowie den Bescheid vom 6. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 15. Dezember 2006 und vom 2. Januar 2007 bis zum 31. März 2007 von den Kosten für häusliche Krankenpflege in Form des Anlegens von Kompressionsverbänden in Höhe von 3.992,48 EUR gegenüber dem Pflegedienst D., Ambulante Pflegedienste, freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichtes für zutreffend. Ergänzend weist sie nach der Auswertung der Testungsdokumentation ab dem 25. September 2009 darauf hin, dass daraus nicht entnommen werden könne, dass im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich das nächtliche Wickeln der Beine mit Kompressionsverbänden ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich gewesen sei.

Der Senat hat u.a. Auskünfte bei dem Pflegedienst D., Ambulante Pflegedienste, und beim Amtsgericht H. – Betreuungsgericht – eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Ein Anspruch des Klägers auf Freistellung von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Pflegedienst D. aufgrund des Anlegens von Kompressionsverbänden über Nacht im streitgegenständlichen Zeitraum besteht nicht.

§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sieht vor, dass in dem Fall, in dem die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten sind, soweit die Leistung notwendig war.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Nach der Auffassung des Senats bestehen im vorliegenden Fall bereits erhebliche Bedenken, ob dem Kläger erstattungsfähige Kosten überhaupt entstanden sind bzw. entstehen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der Senat anschließt, setzt der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V voraus, dass dem Leistungserbringer gegen den Versicherten, der sich die Leistung selbst verschafft hat, ein rechtswirksamer Vergütungsanspruch (wirksame bürgerlich–rechtliche Verpflichtung) aus der Leistungserbringung erwachsen ist (Bundessozialgericht, Urteile vom 24. September 1996, 1 RK 33/95; vom 15. April 1997, 1 RK 4/96; vom 13. Juli 2004, B 1 KR 11/04 R; vom 27. März 2007, B 1 KR 25/06 R und vom 7. November 2006, B 1 KR 24/06 R, abgrenzend zu nicht tragenden Ausführungen im Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts vom 3. August 2006, B 3 KR 24/05 R, das keine Auseinandersetzung mit der abweichenden bisherigen eigenen Rechtsprechung – Urteil vom 17. März 2005, B 3 KR 35/04 R – und der des 1. Senats des Bundessozialgerichts enthält). Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V bietet keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozess zu ersparen (Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung, Urteil vom 28. März 2000, B 1 KR 21/99 R; Urteil vom 9. Oktober 2001, B 1 KR 6/01 R; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 1. September 2005, L 1 KR 699/03). Erbringt ein Krankenpflegeunternehmen ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege abweichend von der Genehmigung der Krankenkasse, kann es seinen Vergütungsanspruch nämlich gerade nicht darauf stützen, dass die ärztliche Verordnung bindend oder die Leistungsverweigerung rechtswidrig gewesen sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 24. September 2002, B 3 KR 2/02 R).

Eine solche Zahlungsverpflichtung des Klägers ist im vorliegenden Fall jedoch fraglich.

Selbstzahlerabreden in Behandlungsverträgen im Sinne einer hier gegebenen "Auffangverbindlichkeit" des Klägers begegnen, soweit sie die Vergütung einer als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchten Leistung betreffen, nach der Auffassung des Senats erheblichen rechtlichen Bedenken.

Sie müssen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) genügen.

Die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB ist auf die vorliegende Selbstzahlerklausel entweder direkt – geht man von einer privatrechtlichen Klausel aus – oder über §§ 58 Abs. 1, 61 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) anwendbar.

Bei der Selbstzahlerklausel handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB. Die Selbstzahlerklausel befindet sich in formularmäßig von dem Pflegedienst D., Ambulante Pflegedienste, verwendeten Pflegeverträgen. Die vorformulierte Klausel soll nach ihrem Wortlaut bei einer Vielzahl von Verträgen im Bereich der Erbringung von Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) und/oder Leistungen der Krankenversicherung nach dem SGB V bzw. frei vereinbarten Leistungen Verwendung finden. Insoweit sind die Stellungnahme des Pflegedienstes D., Ambulante Pflegedienste, vom 27. April 2011 und der formularmäßige Vertragsaufbau eindeutig.

Selbstzahlerklauseln sind aber unwirksam, wenn sie Kläger unangemessen benachteiligen. Es ist nach der Auffassung des Senats fraglich, ob die Verpflichtung des Patienten, die Kosten der Behandlung als Selbstzahler zu tragen, wenn seine Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt, mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der §§ 37, 132 ff SGB V, von denen abgewichen wird, zu vereinbaren ist. Die Einbindung der Leistungserbringer gem. § 132a Abs. 2 SGB V in ein System öffentlich–rechtlicher Verträge, die das Vergütungsverhältnis abschließend regeln, lässt grundsätzlich für abweichende privatrechtliche Regelungen keinen Raum (so zu vergleichbaren Klauseln: OLG Hamburg, Urteil vom 20. März 2002, 1 U 62/01; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. Januar 1997, III ZB 110/96; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2009, L 8 KR 259/08; a.A.: Landgericht Berlin, Urteil vom 15. November 2007, 13 O 218/05; Bundessozialgericht, Urteil vom 3. August 2006, B 3 KR 24/05 R). Nach § 2 Abs. 1 und Abs. 2 SGB V stellen die Krankenkassen ihren Versicherten die im Dritten Kapitel des Gesetzes genannten Leistungen, zu denen auch die häusliche Krankenpflege gehört (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 37 SGB V) als Sachleistungen kostenfrei zur Verfügung. Sie bedienen sich dabei zugelassener Leistungserbringer, mit denen sie entsprechende Verträge abschließen (§ 2 Abs. 2 Satz 3 SGB V). Die benötigten Leistungen erhält der Versicherte dabei unentgeltlich. Die Vergütung erfolgt durch die Krankenkasse. Der Vergütungsanspruch richtet sich dabei nicht gegen den Versicherten, sondern allein gegen die Krankenkasse (Bundessozialgericht, a.a.O.). Die Vertragsparteien wollten nach der Auffassung des Senats vorliegend gerade keine vom System der Gesetzlichen Krankenversicherung losgelöste Vergütung einer privatärztlichen Leistung. Der Kläger machte mit der Vorlage der vertragsärztlichen Verordnung und dem Bemühen um die Vorlage einer Kostenübernahmeerklärung der Beklagten deutlich, dass er im System der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden wollte. Der Pflegedienst D. bestätigte zudem durch die, auch nach der Ablehnung der Kostenübernahme gegenüber dem Kläger, die nachrichtlich an den Pflegedienst mitgeteilt wurde, im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich an die Beklagte gerichteten Rechnungen, dass eine Behandlung als Sachleistung nach den §§ 37, 132 ff. SGB V gewollt war. Die Beklagte ist in diesen Rechnungen explizit als Schuldner aufgeführt. Sowohl die zu erbringenden Leistungen als auch die zu beanspruchende Vergütung sollten sich also nach dem SGB V richten. Der Pflegedienst wollte sich mit der Selbstzahlerklausel im Sinne einer "Auffangverbindlichkeit" innerhalb dieses Rechtsrahmens lediglich einen weiteren Schuldner verschaffen, um das Risiko einer nachträglich verweigerten Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse auf den Patienten abzuwälzen. Abgerechnet werden sollte gegenüber dem Kläger auch konsequent die erforderlichenfalls von der Kasse zu leistende Vergütung nach der entsprechenden Vereinbarung mit der Krankenkasse.

Das Bundessozialgericht hat es im Gegensatz hierzu als ein berechtigtes Anliegen eines Leistungserbringers angesehen, sich durch die Vereinbarung einer Sekundärhaftung des Versicherten für den Fall der Ablehnung des vorrangigen, zur Kostenpflicht der Krankenkasse führenden Sachleistungsanspruchs abzusichern und dementsprechend einen Pflegevertrag zwischen Versichertem und Pflegedienst, in welchem eine Primärkostentragung durch die Krankenkasse und eine Sekundärhaftung des Versicherten vereinbart wird, für zulässig erachtet (BSG, a.a.O.).

Eine Entscheidung dieser Streitfrage kann nach der Auffassung des Senats offen bleiben, da die Beklagte die beantragte Leistung jedenfalls nicht zu Unrecht abgelehnt hat.

Ein Freistellungsanspruch des Versicherten geht nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nicht weiter als ein Sachleistungsanspruch.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der bis zum 31. März 2007 geltenden Fassung (BGBl I 2003, 2190) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Zieles der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Krankenpflege muss zur Sicherung des Behandlungserfolges unvermeidbar oder unentbehrlich sein (Pade in: jurisPK-SGB V, Stand: 29. November 2010, § 37 Rdnr. 43).

Im streitgegenständlichen Zeitraum fehlt es an dem Nachweis der Erforderlichkeit.

Insoweit sind zunächst die im streitigen Zeitraum gültigen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (ab dem 1. April 2007: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP – RL) vom 16. Februar 2000 zu beachten. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 i.V.m. Abs. 7 Nr. 1 SGB V regeln die HKP – RL die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung. Nach Nr. 31 der Anlage zu den HKP – RL ist ein Kompressionsverband nur verordnungsfähig, wenn aus anatomischen Gründen angepasste Kompressionsstrümpfe nicht möglich sind. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig bei dem Kläger nicht vor, so dass es sich bei dem Wickeln der Beine des Klägers schon nicht um eine verordnungsfähige Leistung der Behandlungspflege gehandelt hat.

Im Weiteren ergab das Gutachten von Dr. JA., dass die Frage der Erforderlichkeit des Wickelns der Beine über Nacht vor einer Testung als offen angesehen werden musste. So legt er im Rahmen seines Gutachtens dar, dass die bei dem Kläger bisher durchgeführte Kompressionstherapie über Nacht in jedem Fall als zweckmäßig anzusehen ist, es aber aufgrund der speziellen Krankheitsproblematik des Klägers zu überprüfen ist, ob durch das Anlegen von Kompressionsstrümpfen der Klasse I eine Therapie gewählt werden kann, die primär zweckmäßig, aber auch ausreichend und wirtschaftlich ist. Dementsprechend führt er auch nach einer detaillierten Untersuchung des Klägers für den Senat nachvollziehbar und schlüssig aus, dass sich erst nach einer Testung die erforderliche Therapieoption zeige. Die mittlerweile durchgeführte Testung hat nun ergeben, dass Kompressionsstrümpfe der Klasse I für den Versicherten zunächst im Anschluss an die Testung wohl als ausreichend angesehen werden mussten. Insoweit stützt sich der Senat auf die Angaben der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen des Erörterungstermins vom 28. März 2011 und auf die Stellungnahme der Beklagten zu den ausgewerteten Dokumentationsunterlagen der Testung. Die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführte Entscheidung des 8. Senats des Hessischen Landessozialgerichts, Urteil vom 18. Oktober 2007, Az.: L 8 KR 228/06 führt im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit sollen in Krankengeldfällen für Kläger negative Beweisergebnisse aufgrund einer fehlenden körperlichen Untersuchung durch den MDK im Verwaltungsverfahren durch Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr abgemildert werden (Krankenkassen erfüllen die ihnen obliegende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Verwaltungsverfahren nicht oder nur unzureichend). Vorliegend fand ein Hausbesuch am 4. Oktober 2005 durch eine Pflegefachkraft des MDK statt, die die Notwendigkeit des Wickelns der Beine des Klägers verneinte. Angesichts der Tatsache, dass auch nach dem im Rahmen des Gerichtsverfahrens eingeholten Gutachten (Vorlage: 5. März 2008) diese Frage offen blieb und eine Testung von Seiten des Versicherten zunächst verweigert und erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils (ab dem 25. September 2009) durchgeführt wurde, kann der Beklagten nicht der Vorwurf einer zumindest fahrlässig verursachten Beweisvereitelung gemacht werden.

Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. August 2009, B 3 KR 25/08 R (Medikamentengabe durch Spritzen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege) kann im vorliegenden Fall gleichfalls zu keinem anderen Ergebnis führen, da sie nach der Auffassung des Senats für die vorliegende Fallkonstellation nicht einschlägig ist. Die Krankenkasse ist zwar im Verhältnis zum Versicherten an die Verordnung des Arztes in Bezug auf die gewählten Pflegemittel zunächst gebunden. Sie kann dem Versicherten gegenüber deshalb nicht über den "Umweg" der vorgeschriebenen Genehmigungsprüfung (jetzt: § 6 HKP – RL; vorherige Fassungen: V der HKP - RL) geltend machen, dass z.B. das Arzneimittel, das im Rahmen der häuslichen Krankenpflege verabreicht werden soll, unwirtschaftlich ist, um damit den Anspruch auf Krankenpflege insgesamt abzulehnen. So führt das Bundessozialgericht in der Entscheidung aus, dass sich das Prüfungsrecht der Krankenkasse im Verhältnis zum Versicherten auf die Fragestellung beschränke, ob die Krankenpflege erforderlich sei, um die konkrete Pflegemaßnahme durchzuführen und ob ein im Haushalt lebender Dritter die Maßnahme übernehmen könne. Diese Entscheidung erging jedoch vor dem Hintergrund, dass sich aus der Neuregelung des § 34 SGB V nicht der Grundsatz entnehmen lässt, dass der Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auch andere damit im Zusammenhang stehende Leistungen, wie die häusliche Krankenpflege, ausschließen soll. Im Weiteren ist im vorliegenden Fall die ausdrückliche Wertung der Nr. 31 der Anlage zu den HKP – RL zu beachten, die insoweit durch die Verknüpfung von Pflegemittel und Therapie gegen eine derartige Bindungswirkung der ärztlichen Verordnung spricht. Die Krankenkasse ist zudem an eine ärztliche Verordnung häuslicher Krankenpflege nicht ohne Weiteres gebunden. § 27 Abs. 3 Bundesmantelvertrag–Ärzte sieht ausdrücklich vor, dass bei der häuslichen Krankenpflege für die Leistungserbringung neben der vertragsärztlichen Verordnung noch die Zustimmung der Krankenkasse erforderlich ist (vgl. hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 30. März 2000, B 3 KR 23/99 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.

 

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