Landessozialgericht Hessen 10.06.2010, L 8 KR 314/09

  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Aktenzeichen: L 8 KR 314/09
  • Instanzenaktenzeichen: S 18 KR 19/00
  • Instanzgericht: Sozialgericht Darmstadt
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 10.06.2010
  • Rechtskraft: rechtskräftig

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für eine durchgeführte Behandlung einer Stammveneninsuffizienz mittels des X.-Closure®-Verfahrens (Verödung von Krampfadern mittels eines Hochfrequenz-Katheters, der Wärmeenergie abgibt und hierdurch zu einem Verschluss der Vene führt).

Der geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger hatte 1990 und 1995 einen Myocardinfarkt erlitten, der u.a. durch Anlegung von Herzbypässen behandelt worden war. Bei ihm besteht weiter eine chronische vernöse Insuffizienz mit Stamm- und Seitenastkrampfadern am linken Bein. Er begab sich deswegen in die C. Praxisklinik des Gefäßchirurgen und Phlebologen Dr. D. D. und Kolleginnen. Dort wurde eine chronisch venöse Insuffizienz Widmer-Stadium 2 sowie eine Stamm- und Seitenastvaricosis der Vena saphena magna KY. 3 links diagnostiziert und ein Ausschalten der betroffenen Venen am linken Bein mittels der X.-Closure®-Methode empfohlen (Arztbrief der C. Praxisklinik, Dr. D. vom 2.9.2008 sowie Aufklärungsmaterial zur Verödung von Krampfadern am Bein mittels Radiofrequenzverfahren). Von dem klassischen Verfahren der Behandlung von Krampfadern in Form des sog. Crossektomierens und Strippens war dem Kläger von Dr. D. unter Hinweis auf sein Herzleiden und die Medikation mit ASS abgeraten worden. Am 8.9.2008 beantragte der Kläger im Rahmen einer persönlichen Vorsprache in der Geschäftsstelle der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine X.-Closure®-Behandlung unter Vorlage des Arztbriefes des Dr. D. und des Aufklärungsmaterials zu diesem Verfahren. Die Beklagte holte eine Stellungnahme nach Aktenlage des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein, die der Arzt Dr. E. unter dem Datum vom 16.9.2008 nach Aktenlage erstellte. Dr. E. führte in seiner schriftlichen Stellungnahme aus, nach wie vor sei die operative Sanierung der Varicose mittels Strippingoperation als Goldstandard anzusehen. Bei dem Closure-Verfahren handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, zu der der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 135 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) bislang keine positive Bewertung abgegeben habe und die damit nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen gehöre. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.9.2008 den Antrag des Klägers ab. Die Closure-Behandlung gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, da der Gemeinsame Bundesausschuss diese Methode noch nicht beurteilt und bewertet habe.

Am 21.10.2008 ließ sich der Kläger von Dr. D. ambulant mit dem X.-Verfahren behandeln, wobei die Vena saphena magna links im Wege der Radiofrequenzablation (X.-Verfahren) ausgeschaltet wurde (Operationsbericht vom 21.10.2008, Entlassungsbericht der C. Praxisklinik vom 21.10.2008). Für diese Behandlung stellte ihm die C. Praxisklinik insgesamt einen Betrag von 1.339,80 EUR in Rechnung unter Anwendung der Gebührenordnung für ärztliche Leistungen im Rahmen von Privatbehandlungen.

Am 27.10.2008 erhob der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid der Beklagten Widerspruch und führte aus, die konventionelle Behandlung seiner Varicosiserkrankung sei für ihn nicht in Betracht gekommen, da er wegen seiner Herzerkrankungen für jeglichen Eingriff unter Vollnarkose ein Hochrisikopatient sei und bei der klassischen Crossektomie mit Venenstripping seine Dauermedikation mit ASS unterbrochen hätte werden müssen. Er legte den Operationsbericht und den Entlassungsbericht der C. Praxisklinik, sowie ein von Dr. D. an ihn gerichtetes Schreiben vom 7.10.2008 zu den Gründen, weshalb ihm das Closure-Verfahen der Firma X. empfohlen werde, bei, weiter ein Attest des behandelnden Hausarztes Dr. F. vom 14.10.2008. Darin heißt es, bei dem fortgeschrittenen Alter und dem Herzleiden des Klägers sollte nach Möglichkeit ein schonender Eingriff zur Behandlung der Varicosis ohne Vollnarkose durchgeführt werden. Die Beklagte legte diese Unterlagen erneu dem MDK vor, für den Dr. G. unter dem 3.11.2008 eine schriftliche Stellungnahme nach Aktenlage erstellte. Darin heißt es, im Vergleich zu den MDK-Vorgutachten ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Bei dem X.-Closure®-Verfahren handle es sich um eine neue Behandlungsmethode, für die Langzeitergebnisse fehlten und eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht vorliege. Aus den ärztlichen Befundberichten sei ersichtlich, dass eine Notwendigkeit für eine operative Behandlung des Venenleidens des Klägers bestanden habe. Hierfür habe aber die klassische Crossektomie mit Venenstripping zur Verfügung gestanden. Hinsichtlich des Vorbringens des Klägers zu seiner Hochrisikosituation im Zusammenhang mit einer Vollnarkose sei darauf hinzuweisen, dass eine zwingende Notwendigkeit für eine Vollnarkose anhand der Unterlagen nicht gesehen werden könne. Prinzipiell sei auch eine Spinalanästhesie denkbar. Ggf. seien die vertragsärztlich zur Verfügung stehenden Maßnahmen unter stationären Bedingungen durchführbar. Die Behandlung des Klägers mit Aspirin müsse bei Anwendung der konventionellen Methoden allerdings unterbrochen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2009 wies die Beklagte den vom Kläger aufrecht erhaltenen Widerspruch, gestützt auf das Gutachten des MDK, als unbegründet zurück. Da der Gemeinsame Bundesausschuss für die X.-Closure®-Behandlung noch keine positive Empfehlung ausgesprochen habe, dürften die gesetzlichen Krankenkassen hierfür entstandene Behandlungskosten nicht übernehmen. Auch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 komme eine Leistungsübernahme nicht in Betracht, da es sich bei dem Krankheitsbild des Klägers nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handele.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.01.2009 Klage zum Sozialgericht Darmstadt und legte ärztliche Unterlagen aus den Jahren 1995 bis 2006 betreffend sein Herzleiden und seine Bypassoperationen sowie einen an ihn gerichteten Arztbrief des Dr. D. vom 5.4.2009 vor, in dem die Gründe, die nach Ansicht des Dr. D. für die Anwendung des X.-Closure®-Verfahrens im Falle des Klägers sprechen, dargelegt werden. Der Kläger trug vor, eine Behandlung seines Venenleidens unter Vollnarkose wäre für ihn lebensgefährlich gewesen.

Das Gericht holte eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses, erstellt von der Geschäftsführung des Unterausschusses Methodenbewertung, vom 3.6.2009 ein. Darin wird ausgeführt, die X.-Closure®-Methode sei bisher weder im Gemeinsamen Bundesausschuss noch im vormals zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen überprüft worden. Es sei bisher kein Antrag zur Prüfung dieser Methode als einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode der antragsberechtigten Organisationen entsprechend den Vorgaben des § 135 Abs. 1 SGB V sowie der seit 2003 in Kraft getretenen Patientenbeteiligungsverordnung gestellt worden. Der Geschäftsführung dieses Unterausschusses lägen auch keine Informationen vor, die nahelegten, dass es sich hier um eine medizinische Methode handele, die die für die vertragsärztliche Versorgung gesetzlich vorgegebenen Kriterien "diagnostischer oder therapeutischer Nutzen" "medizinische Notwendigkeit" und "Wirtschaftlichkeit" erfüllen würden.

Das Sozialgericht wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.10.2009 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der beantragten Behandlungskosten. Als Anspruchsgrundlage komme nur § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, dessen Voraussetzungen aber nicht erfüllt seien. Der Anspruch auf Kostenerstattung gehe nicht weiter, als der Sachleistungsanspruch, den er ersetze. Dürfe der Arzt eine Behandlungsmethode nicht als Kassenleistung abrechnen, weil sie nach den Richtlinien des Bundesausschusses ausgeschlossen oder nicht empfohlen sei, gehöre sie auch nicht zur Behandlung i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, die Versicherte als Sachleistung oder im Wege der Kostenerstattung beanspruchen könnten. Nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V könnten neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 SGB V (früher: Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u.a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Neu sei dabei jede Behandlungsmethode, die bisher noch nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sei. Der Gesetzgeber mache damit den Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden von einer vorherigen Anerkennung durch den Bundesausschuss abhängig. Dies diene der Sicherung der Qualität der Leistungserbringung zum Schutze der Versichertengemeinschaft vor Unwirtschaftlichkeit und der Versicherten vor unerprobten Methoden. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden seien so lange von der Abrechnung zu Lasten der Krankenkassen ausgeschlossen, bis der Bundesausschuss sie als zweckmäßig anerkannt habe. Der Einwand des einzelnen Versicherten, eine nicht empfohlene Behandlungsmethode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam, sei nicht beachtlich. Ausweislich der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 3.6.2009 handele es sich bei der vom Kläger gewählten Closure®-Behandlung seiner Krampfadern um eine neue Behandlungsmethode i.S.d. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege hierfür nicht vor. Damit scheide eine Kostenerstattung aus. Hinweise auf ein sog. Systemversagen, also ein nicht vom System vorgesehenes Unterbleiben einer Entscheidung des gemeinsamen Bundesausschusses, sei nicht erkennbar. Das gefundene Ergebnis sei auch im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98) nicht zu modifizieren. Zwar sei die Ausschlusswirkung des § 135 SGB V im Lichte des Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz und des Sozialstaatsprinzips zu relativieren. Dies gelte jedoch nur für lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankungen, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Im vorliegenden Falle handele es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung i.S.d. Unmittelbarkeit, die bei der Interpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu fordern sei. Abzustellen sei insoweit im Gegensatz zur Argumentation des Klägers nicht auf die Herzerkrankungen, die zu den Infarkten geführt hatten, sondern auf das Krampfaderleiden. Eine unmittelbare Todesgefahr erzeuge diese Erkrankung nicht.

Gegen den ihm am 22.10.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.11.2009 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungs- und erstinstanzlichen Gerichtsverfahren. Insbesondere trägt er vor, zur Behandlung seiner Krampfadern mittels des herkömmlichen Verfahrens der Crossektomie und des Venenstrippings sei eine Vollnarkose sowie ein Aussetzen seiner Dauermedikation mit ASS notwendig gewesen, was für ihn lebensbedrohlich gewesen wäre. Diesbezüglich legt der Kläger noch einen Arztbrief der chirurgisch-orthopädischen Fachklinik H. vom 7.6.2010 vor, aus dem sich ergibt, dass er vor 18 Tagen durch einen Sturz auf den Rücken eine subakute traumatisch bedingte Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers erlitten habe und stationär zur Kyphoplasie aufgenommen worden sei. In diesem Arztbrief heißt es, der Kläger sei von der Anästhesie aufgrund der Herzvorgeschichte und hohen Operationsrisikos erstmals abgesetzt worden. Der Kläger führt insoweit aus, dieses Dokument belege, dass für ihn jegliche Operation mit Vollnarkose lebensbedrohlich sei, was auch für die streitige Krampfaderoperation gegolten habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 19.10.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für das Closure®-X.-Verfahren in Höhe von 1.339,80 EUR zu erstatten,

hilfsweise,

die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat mit Beschluss der Berufsrichter vom 16.03.2010 die Entscheidung über die Berufung des Klägers auf den Berichterstatter übertragen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichts- und Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Die Berufungsinstanz konnte in Besetzung des Berichterstatters und der beiden ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat mit Beschluss vom 16.03.2010 gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung die Entscheidung auf den Berichterstatter übertragen hat.

Die Berufung ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 19.10.2009 ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte rechtsfehlerfrei mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.09.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2009 die Erstattung der dem Kläger gem. Gebührenrechnung der C. Praxisklinik Dr. D. und Kolleginnen für die am 21.10.2008 unter Benutzung des X. Closure®-Verfahrens erfolgte Ausschaltung der Stammvenen am linken Bein entstandenen Kosten zu Recht abgelehnt hat. Dies hat das Sozialgericht ausführlich und zutreffend unter Darlegung der Tatbestandsvoraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V und dessen indirekte Begrenzung über die Vorgaben des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V für die Versorgung mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dargetan. Der Senat macht sich die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts zu Eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe der Vorinstanz. Ergänzend zitiert der Senat aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 (B 1 KR 11/08 R) die Passagen, in denen die rechtlichen Kriterien für eine Kostenerstattung für eine neue Behandlungsmethode anhand der in der Entscheidung des BSG streitig gewesenen Liposuktion (Absaugungen von Fettdepotansammlungen) dargelegt sind. Das Bundessozialgericht führt hierzu aus:

"1. Die Klägerin kann Kostenerstattung für die Liposuktionen ihrer Lipödeme nicht beanspruchen, weil die Voraussetzungen des § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V nicht vorliegen. Die Regelung bestimmt: "Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war". Der Anspruch auf Kostenerstattung reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zuletzt zB BSG, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13 - Lorenzos Öl, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl zum Ganzen: E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, 19. Aufl, 66. Lfg, Stand: 1.7.2008, § 13 SGB V RdNr 233 ff). Die Klägerin hat einen solchen Naturalleistungsanspruch auf Liposuktionen aber weder im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung (dazu a) noch in Form einer Krankenhausbehandlung (dazu b).

13a) Ein Anspruch auf eine ambulante ärztliche Liposuktion scheitert daran, dass der GBA die neue Methode der Fettabsaugung nicht positiv empfohlen hat (aa) und kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist (bb).

14aa) Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs 1 und § 12 Abs 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist - wie hier - bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 12 mwN - LITT; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, jeweils RdNr 15 mwN - Tomudex). Ärztliche "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (vgl BSGE 82, 233, 237 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 - Jomol; vgl auch BSGE 88, 51, 60 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 mwN; BSG SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 2 S 9 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 17). Darum geht es bei den von der Klägerin selbst beschafften Liposuktionen. "Neu" ist eine Methode, wenn sie - wie hier die Liposuktion - zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (vgl BSG, Urteil vom 27.9.2005 - B 1 KR 28/03 R - USK 2005-77; BSGE 81, 54 , 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4; BSGE 81, 73 , 75 f = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Als nicht vom GBA empfohlene neue Methode ist die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen mithin grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV.

15bb) Ausnahmefälle, in denen es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegen im Falle der Klägerin nicht vor. Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte (vgl dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 ff - Visudyne) , ist nichts vorgetragen, ebenso wenig für ein Systemversagen (vgl dazu BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 17 mwN - LITT). Auch Anhaltspunkte für eine hier gebotene grundrechtsorientierte Auslegung (vgl zB im Anschluss an BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5: BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 20 ff mwN - LITT) sind weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich. Die verfassungskonforme Auslegung setzt ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, jeweils RdNr 21 und 30 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, jeweils RdNr 31 - D-Ribose). Daran fehlt es. Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sog Off-Label-Use (vgl dazu BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin) formuliert ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 - Mnesis; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 34 - Neuropsychologische Therapie). Einen solchen Schweregrad erreichen die - wenn auch schmerzhaften - Lipödeme der Klägerin nach dem gesamten Vorbringen nicht."

Nach diesen Vorgaben scheidet ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers aus. Die hier streitige Methode der Varicosisbehandlung mittels des Closure-Verfahrens ist eine neue bislang nicht anerkannte Behandlungsmethode. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist bislang mit diesem Verfahren nicht befasst worden. Darin ist kein Systemversagen zu sehen. Keiner der antragsberechtigten Stellen hat einen Antrag auf Befassung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit diesem Verfahren gestellt. Hierfür gibt es auch gute Gründe. In den dem Kläger vor Durchführung seiner Behandlung überlassenen Unterlagen zur Vorbereitung des ärztlichen Aufklärungsgespräches heißt es unter der Überschrift Behandlungserfolg: "In den meisten Fällen gelingt es, die Krampfader durch die Radiowellenbehandlung vollständig zu verschließen und den Rückfluss des Blutes zu verhindern. Langzeitergebnisse über einen Zeitraum von mehreren Jahren liegen jedoch bisher nicht vor, da es sich um ein vergleichsweise neues Verfahren handelt ". Schon dieser Passus bestätigt die in den Stellungnahmen des MDK vertretene Auffassung, das Verfahren könne hinsichtlich seiner nachhaltigen Wirksamkeit noch nicht verlässlich eingeschätzt werden. In den wenigen Studien mit nur geringen Fallzahlen hätten die Nachbeobachtungszeiten bei max. 2 bzw. 3 Jahren gelegen. Dies sei nicht ausreichend zur Beurteilung des Rezidivrisikos.

Der Sachverhalt des Nichtvorliegens von Studien zu Langzeitergebnissen dieser unstreitig neuen Behandlungsmethode spricht bereits dafür, dass es gute Gründe seitens der antragsberechtigten Stellen gibt, den Gemeinsamen Bundesausschuss bislang nicht mit der Prüfung dieser Methode zu betrauen. Möglicherweise hat auch die Firma X. als Hersteller der Geräte und Medizinprodukte für dieses Verfahren angesichts dieser Sachlage noch kein Interesse an einer Befassung des Gemeinsamen Bundesausschusses mit dem X.-Closure®-Verfahren. Angesichts des Fehlens von Langzeitstudien wäre mit einer nicht positiven Empfehlung für dieses Verfahren seitens des Bundesausschusses zu rechnen.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch für die Frage, ob über eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 135 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V entsprechend den Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 6.12.2005 ausnahmsweise ein Anspruch auf Versorgung mit dieser neuen Methode gegeben ist, auf diejenige Erkrankung abgestellt, zu deren Behandlung das X.-Closure®-Verfahren eingesetzt wurde, mithin auf die Varicosis. Diese ist insbesondere in der Ausprägung, wie sie beim Kläger zum Zeitpunkt des Eingriffes vorgelegen hat, nicht lebensbedrohlich gewesen und auch nicht so schwerwiegend, dass sie einer lebensbedrohlichen Erkrankung wertungsmäßig gleichkam. Dies ergibt sich schon aus dem Arztbrief des Dr. D. vom 2.9.2008 und den dort gestellten Diagnosen "chronisch venöse Insuffizienz Widmer-Stadium 2; Stamm- und Seitenastvaricosis der Vena saphena magna KY. 3 links". Auch die aufgeführten Beschwerden, nämlich im Sinne hervortretender Venen mit wenig Schwellneigung am Abend und des gelegentlichen Auftretens nächtlicher Krämpfe nach Sport, sprechen gegen ein schwerwiegendes Krankheitsbild. Dies ist in den beiden MDK-Gutachten nachvollziehbar dargelegt worden. Auf die Herzerkrankung des Klägers kann nicht abgestellt werden, da diese nicht mit dem streitigen Verfahren behandelt werden sollte. Anhaltspunkte dafür, dass das Venenleiden bei seiner Ausprägung ganz schwerwiegende negative Auswirkungen auf das Herzleiden des Klägers haben könnte, die zu einer unmittelbar lebensbedrohlichen Situation führen könnten, liegen nicht vor. Auch ergibt sich aus den von dem Kläger vorgelegten Unterlagen zu seiner Herzerkrankung, insbesondere dem Arztbrief der Kardiologie des Theresien-Krankenhauses und St. J.-Klinik vom 29.12.2006, dass die koronare Zwei-Gefäß-Erkrankung zu einer leichtgradig eingeschränkten linksventrikulären Funktion geführt habe. Von einer massiven Herzfunktionsstörung ist nicht die Rede. Sollte beim Kläger mittlerweile eine deutliche Verschlechterung seiner kardiologischen Erkrankung eingetreten sein, worauf der kurz vor dem Termin vorgelegte Arztbrief der Chirurgisch-Orthopädischen Fachklinik H. vom 7.6.2010 hindeuten könnte, ist dies nicht rechtserheblich. Maßgeblich ist allein der gesundheitliche Zustand, wie er zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der neuen Behandlungsmethode bestanden hatte. Ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass der Kläger offenbar auch gar nicht weiter abklären hatte lassen, ob es tatsächlich, wie von ihm vorgetragen, für die Durchführung einer Crossektomie mit Venenstripping einer Vollnarkose bedurft hätte. Eine möglicherweise notwendig werdende Unterbrechung der Behandlung mit Aspirin (ASS), das zudem in sehr geringen Dosen verabreicht wurde, ist nicht ungewöhnlich und lebensbedrohlich. Eine klassische Blutverdünnungsbehandlung mit Marcumar oder einem vergleichbaren Medikament hatte der Kläger nicht erhalten.

Letztlich können diese Fragen aber auf sich beruhen, da aus rechtlichen Gründen allein maßgeblich die mit der neuen Methode zu behandelnde Grunderkrankung in Form des Krampfaderleidens ist. Diese war nicht lebensbedrohlich oder wertungsmäßig mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung vergleichbar. Aus diesen Gründen bedurfte es auch keiner weiteren medizinischen Ermittlung von Amts wegen in Form der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Es war daher zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

Weitere Artikel zum Thema:

Rentenversicherung

Rentenversicherung

Gesetzliche Rentenversicherung

Krankenversicherung

Krankenversicherung

Gesetzliche Krankenversicherung

Pflegeversicherung

Pflegeversicherung

Gesetzliche Pflegeversicherung

Unfallversicherung

Unfallversicherung

Gesetzliche Unfallversicherung