Landessozialgericht Hessen 30.11.2009, L 1 KR 128/08

Urteil zur Nachzahlung der Gesamt-Sozialversicherungsbeiträge.

  • Aktenzeichen: L 1 KR 128/08
  • Spruchkörper: 1. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 9 KR 230/06
  • Instanzgericht: Sozialgericht Gießen
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 30.11.2009Gründe:

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Gesamtversicherungsbeiträge in Höhe von 1.773,78 EUR nachzuzahlen hat.

Die Beigeladene zu 1. war ab dem 1. Juli 1998 bei dem Kläger beschäftigt. Für Juli 1998 erhielt sie ein Arbeitsentgelt in Höhe von 2.200,00 DM brutto. Dies entsprach einem Nettolohn von 1.575,01 DM.

In der Folgezeit zahlte der Kläger der Beigeladenen zu 1. ein verringertes Bruttogehalt und zusätzlich einen Zuschuss zur doppelten Haushaltsführung. Dies ergab für die Beigeladene zu 1. einen monatlichen Nettobetrag von 2.009,20 DM.

Für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 30. Juni 2000 erhielt die Beigeladene zu 1. vom Kläger ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 978,00 DM. Darüber hinaus zahlte der Kläger ihr einen monatlichen Zuschuss zur doppelten Haushaltsführung in Höhe von 1.400,00 DM.

Ab 1. Juli 2000 betrug das monatliche Bruttoarbeitsentgelt der Beigeladenen zu 1. 3.153,14 DM.

Einem Bericht über die bei dem Kläger durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung vom 28. November 2001 durch das Finanzamt C. ist zu entnehmen, dass bei der Prüfung des Prüfzeitraums 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 eine stichprobenweise Überprüfung der Lohnkonten sowie der Aufwandskonten erfolgt sei, die keine Beanstandungen ergeben habe. Die Anzahl der Arbeitnehmer habe 6 (davon 2 Aushilfskräfte) betragen.

Die Betriebsprüfung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 1. November 2000 gemäß § 28 p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) hinsichtlich des Prüfzeitraums 1. Januar 1996 bis 31. Dezember 1999 ergab nach dem Bericht vom 2. November 2000 keine Feststellungen.

Vom 2. Dezember 2004 bis 30. Juli 2005 erfolgte beim Kläger eine weitere Betriebsprüfung hinsichtlich des Prüfzeitraums 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2003.

Mit Bescheid vom 2. September 2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.773,78 EUR für die Beigeladene zu 1. in der Zeit vom 1. Januar 2000 bis zum 30. Juni 2000 nachzuzahlen habe. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass für die Aufwandsentschädigung für die doppelte Haushaltsführung Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten seien. Diese Entschädigung sei nicht zusätzlich zum geschuldeten Arbeitsentgelt, sondern aus dem umgewandelten Entgelt gezahlt worden.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Er machte geltend, die Beitragsnachforderung sei nicht gerechtfertigt, da steuerfreie Teile des Arbeitsentgelts auch sozialversicherungsfrei seien. Der Zuschuss zur doppelten Haushaltsführung sei steuerfrei. Dies sei auch durch die Prüfung des Finanzamtes bestätigt worden.

Nach Einholung einer Stellungnahme der Beigeladenen zu 1. wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2005 zurück. Der Zuschuss für die doppelte Haushaltsführung sei nicht zusätzlich gezahlt worden. Nach den Angaben der Beigeladenen zu 1. bestünden weder ein schriftlicher Arbeitsvertrag noch ergänzende Vereinbarungen z.B. zu den Abrechnungsmodalitäten hinsichtlich des Zuschusses zu den Kosten der doppelten Haushaltsführung. Mündlich sei ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.200,00 DM vereinbart worden. Dieses sei zunächst der Beitragsberechnung zugrunde gelegt worden. Ab August 1998 sei eine Verminderung des beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelts um den steuerfreien Zuschuss zu den Kosten der doppelten Haushaltsführung erfolgt. Erst nach Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung eines steuerfreien Zuschusses zum 30. Juni 2000 sei das Bruttoarbeitsentgelt an das vor der Umstellung gezahlte Nettoarbeitsentgelt angepasst worden. Der Arbeitsvertrag der Beigeladenen zu 1. habe sich über die gesamte Dauer des Beschäftigungsverhältnisses nicht geändert.

Hiergegen hat der Kläger am 9. August 2006 beim Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Diese hat er damit begründet, dass lohnsteuerfreie Leistungen an einen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht sozialversicherungspflichtig seien. Die Zahlung des Zuschusses an die Beigeladene zu 1. sei seit 1998 erfolgt und weder vom Finanzamt noch bei der Sozialversicherungsprüfung beanstandet worden. Das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt sei - soweit nicht anders geregelt - mit dem steuerpflichtigen Arbeitsentgelt identisch.

Mit Urteil vom 13. Februar 2008 hat das Sozialgericht Gießen die Klage abgewiesen. Arbeitsentgelt gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV seien alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen bestehe, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt würden. Gemäß § 1 Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) seien einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehälter gewährt würden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie lohnsteuerfrei seien. Die Kosten für die doppelte Haushaltsführung und die Kosten der Heimfahrt seien zwar gemäß § 3 Ziff. 16 Einkommensteuergesetz (EStG) steuerfrei. Vorliegend würden die Zuschüsse jedoch nicht zusätzlich zum Arbeitsentgelt, sondern anstelle des vereinbarten Arbeitsentgeltes gezahlt. Zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Kläger sei kein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen worden. Als Gehaltsvorstellung habe sie bei dem Vorstellungsgespräch 2.200,00 DM brutto angegeben. Nach der ersten Lohnabrechnung sei dieser Betrag auch gezahlt worden. Ab Monat August sei das Bruttoentgelt jedoch gekürzt und ein Betrag für doppelte Haushaltsführung in Höhe von 1.300,00 DM ausgezahlt worden, so dass die Beigeladene zu 1. einen Betrag von 2.009,20 DM netto erhalten habe. Nach dem Ablauf der Begrenzung für die doppelte Haushaltsführung auf zwei Jahre sei der Bruttolohn soweit angepasst worden, dass sie weiterhin 2.003,96 DM erhielt. Zwischen der Beigeladenen zu 1. und dem Kläger sei auch keine Vereinbarung bezüglich der Zahlung eines Zuschusses zur doppelten Haushaltsführung getroffen worden. Vielmehr sei ein Teil des vereinbarten Bruttogehaltes als Kosten der doppelten Haushaltsführung gezahlt worden, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. sei vereinbart worden, dass diese ungefähr 2.000,00 DM netto monatlich erhalte. Dies sei durch eine Aufteilung in einen niedrigen Bruttolohn und einen Zuschuss zur doppelten Haushaltsführung erreicht worden. Im Übrigen entspreche das ab August 1998 an die Beigeladene zu 1. gezahlte Bruttoeinkommen in keiner Weise einem adäquaten Lohn einer in Vollzeit tätigen ausgebildeten Steuerfachgehilfin. Denn ein Bruttogehalt von nur 978,00 DM ergebe bei einer Arbeitszeit von 173 Stunden im Monat einem Stundenlohn von nur 5,65 DM.

Dem stehe auch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 27. April 2001 (Az. xxxxx) nicht entgegen. Dieser habe zwar die Möglichkeit der Lohnumwandlung und damit die Möglichkeit, Teile des Arbeitsentgeltes in einen Zuschuss zu den Aufwendungen der Reisekosten umzuwandeln, gesehen. Voraussetzung sei jedoch insoweit, dass die Herabsetzung des Lohnanspruchs und die Umwandlung in eine Vergütung im Sinne des § 3 Nr. 16 EStG vor der Entstehung des Vergütungsanspruchs vereinbart worden seien und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer dies im Zweifel im Einzelnen darlegen und nachweisen müssten. Vorliegend gebe es jedoch keine schriftliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten zur Umwandlung des Arbeitsentgelts in einen steuerfreien Zuschuss.

Gegen das dem Kläger am 30. Mai 2008 zugestellte Urteil hat dieser am 20. Mai 2008 Berufung eingelegt. Das Urteil sei mit den §§ 14 und 17 SGB IV nicht vereinbar. Die Zuschüsse seien zusätzlich zum vereinbarten Entgelt gezahlt worden. Auch die Beklagte habe in der vorausgegangenen Prüfung bestätigt, dass die Zuschüsse keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn darstellten. Dem Prüfer der Beklagten habe der Prüfungsbericht der Lohnsteuerprüfung vorgelegen. Dass sich die Vorprüfung lediglich auf Stichproben beschränkt habe, sei angesichts der Anzahl der bei ihm beschäftigen Arbeitnehmer unwahrscheinlich. Im betreffenden Prüfungszeitraum sei – außer einem Auszubildenden – nur ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer durchgängig beschäftigt gewesen. Im Rahmen der Vorprüfung sei zudem das fragliche Beschäftigungsverhältnis auch auf seinen sozialversicherungsrechtlichen Inhalt geprüft worden. Dabei sei festgestellt worden, dass die geleisteten Zahlungen zur doppelten Haushaltsführung zutreffend als steuerfrei und sozialversicherungsfrei abgerechnet worden seien. Dies sei auch durch die Prüfer des Finanzamtes ausdrücklich bestätigt worden. Die Behandlung in der Sozialversicherung folge insoweit zwingend der steuerrechtlichen Beurteilung. Darüber hinaus sei auch die sozialrechtliche Prüfung durch die Prüfer der Beklagten in der vorangegangenen Prüfung vorgenommen und damit verbindlich festgelegt worden. Derselbe unveränderte Arbeitsvertrag sei also mehrfach überprüft worden und könne daher nicht von einem bestimmten Zeitpunkt an willkürlich anders beurteilt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Februar 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2005 aufzuheben und die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Zudem hat sie ausgeführt, dass die vorherige Prüfung auf Stichproben beschränkt gewesen sei und zu keinen Feststellungen zum fraglichen Sachverhalt geführt habe. Zudem dienten Betriebsprüfungen unmittelbar dem Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollten einerseits Beitragsausfälle verhindern und andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Allerdings hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Recht, gemäß § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Einzugsstelle herbeizuführen, an die der Versicherungsträger gebunden sei.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Der Senat hat die Beteiligten zu einer beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits durch Beschluss angehört.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt sowie auf die Akte der Beklagten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte durch Beschluss ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter entscheiden, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu vorher angehört worden, § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere konnte sie auch bereits vor Beginn der Berufungsfrist eingelegt werden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Aufl., § 151 Rn. 9).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Februar 2008 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2005 sind nicht zu beanstanden.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Zuschüsse für die doppelte Haushaltsführung als Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV eingeordnet. Da diese Zuschüsse nicht zusätzlich gewährt worden sind, steht auch § 1 ArEV dieser Zurechnung nicht entgegen. Damit bedurfte es vorliegend keiner Prüfung, ob die Zuschüsse steuerfrei im Sinne von § 3 EStG sind. Zur weiteren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen, § 153 Abs. 2 SGG.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch der Verweis des Klägers auf die Prüfung des Finanzamtes C. und die Prüfung der BfA vom 1. November 2000 sowie die entsprechenden Feststellungen in den Prüfberichten die Klage nicht begründen kann. Zu Recht hat die Beklagte insoweit eingewandt, dass diese Prüfungen auf Stichproben beschränkt gewesen seien und zu keinen Feststellungen hinsichtlich der rechtlichen Einstufung des fraglichen Zuschusses geführt hätten. Im Bericht des Finanzamtes C. heißt es unter Punkt III. ausdrücklich, dass stichprobenweise die Lohnkonten und andere Unterlagen geprüft worden seien. Ausführungen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Zuschüsse für doppelte Haushaltsführung sind diesem Bericht nicht zu entnehmen. Der Prüfbericht der BfA vom 2. November 2000 wiederum beschränkt sich auf die Mitteilung, dass die Prüfung keine Feststellungen ergeben habe. Zudem betrifft er einen vor dem streitgegenständlichen Zeitraum liegenden Prüfzeitraum.

Darüber hinaus haben Betriebsprüfungen gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV - wie bereits von der Beklagten ausgeführt - unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Insbesondere bezwecken sie nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm etwa "Entlastung" zu erteilen. Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend sein kann und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1978 - 12 RK 6/76 = BSGE 47, 194; Bayerisches LSG, Urteil vom 20. März 2007, L 10 AL 328/06 – juris – m.w.N.).

Der Kläger kann auch nicht erfolgreich auf Angaben der Prüfer des Finanzamtes C. verweisen. Dies folgt schon daraus, dass diese eine steuerrechtliche Beurteilung vornehmen und nicht das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 1 ArEV prüfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da diese keine Anträge gestellt haben.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

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