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Landessozialgericht Hessen 15.09.2011, L 1 KR 178/10

  • Aktenzeichen: L 1 KR 178/10
  • Spruchkörper: 1. Senat
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 15.09.2011
  • Instanzgericht: Sozialgericht Kassel
  • Aktenzeichen 1. Instanz: S 12 KR 180/10
  • Normen: § 116b Abs 3 S 1 Nr 2 SGB V; § 135 Abs 1 S 1 SGB V

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine Kopforthesenbehandlung (sogenannte Helmtherapie) in Höhe von 1.819,00 EUR.

Der 2008 geborene Kläger war im Rahmen der Familienversicherung bis zum 31. Dezember 2009 Mitglied der beklagten Krankenkasse. Seit einer Frühgeburt litt der Kläger unter einer ausgeprägten Brachycephalie (Abflachungen des Hinterköpfchens) und einer mittelmäßig ausgeprägten nicht synostonischen Plagiocephalie (Asymmetrie des Köpfchens).

Am 31. März 2009 erfolgte eine Vermessung des Köpfchens des Klägers im Klinikum B Stadt - Neuropädiatrie mit Sozialpädiatrischem Zentrum -. Ärztlicherseits wurde Krankengymnastik für sinnvoll erachtet, das Tragen einer Helmorthese (zunächst) nicht und eine Wiedervorstellung in ca. 8 Wochen empfohlen. Ziel der Kopforthesenbehandlung ist eine Normalisierung der Kopfform durch den Umstand, dass durch das Tragen eines nach Maß angefertigten Kunststoffhelmes über 23 Stunden am Tag der kindliche Schädel in die zuvor modellierte Form hineinwächst und hierdurch eine Symmetrie entsteht. Hierfür sind regelmäßige Kontrollen erforderlich, wobei eine Neuanpassung der Orthese entsprechend dem Kopfwachstum alle 2-3 Wochen erfolgen soll. Im April/Mai 2009 telefonierte die Mutter des Klägers mit der Beklagten bezüglich der Kostenübernahme für eine Helmtherapie. Die Beklagte wies im Rahmen dieses Gespräches die Mutter des Klägers darauf hin, dass diese Therapie im Hause bisher nicht bekannt sei und sie Unterlagen zur Prüfung zusenden solle. Am 14. Mai 2009 stellten die Eltern des Klägers diesen bei Dr. E. im F. in G. vor. Am 28. Mai 2009 wurde der maßgefertigte Helm für die Helmtherapie an Dr. E. ausgeliefert. Unter dem 4. Juni 2009 erfolgte von der F. eine Rechnungsstellung für die Kopforthese nach Maß (Sonderbau) inkl. 3 D-Vermessung und CAD-Modellierung an die Mutter des Klägers in Höhe von 1.819,00 EUR. Am 15. Juni 2009 ging bei der Beklagten ein schriftlicher Antrag der Mutter des Klägers auf Kostenübernahme der Kopforthesentherapie ein, die bei dem Kläger Ende Mai eingeleitet worden sei. Dem Antrag waren u.a. eine ärztliche Verordnung von Dr. E., der Befundbogen über die biometrische Kopfmessung im Klinikum B-Stadt, eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin Herrn H. vom 8. Juni 2009 und ein Arztbrief von Dr. E. vom 26. Mai 2009 beigefügt. Nach Einholung eines Gutachtens des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 19. Juni 2009, Dr. I., lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2009 die Kostenübernahme für die Kopforthesenbehandlung des Klägers ab. Den hiergegen von der Mutter des Klägers unter Beifügung von Arztbriefen von Herrn H. und Herrn Dr. E. vom 30. Juli 2009 und den Physiotherapeuten Frau J. vom 14. Juli 2009 und Herrn K. vom 10. August 2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach erneuter Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens bei Dr. AM., Facharzt für Orthopädie und Sozialmedizin, vom 12. September 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2009 zurück. Nach den eingeholten Gutachten gehörten derzeit weder die Kopfkorrekturorthesen zu den anerkannten Hilfsmitteln noch die Kopforthesentherapie zu den anerkannten Behandlungsmethoden, da weder die Notwendigkeit noch die Wirksamkeit der Behandlung frühkindlicher Schädeldeformität mit Kopforthesen bereits hinreichend habe nachgewiesen werden können. Bei Kopfdeformitäten seien die Lagerung des Kindes sowie eine konsequente Physiotherapie erforderlich.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 8. Januar 2010 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung haben sie darauf hingewiesen, dass sich trotz einer ab dem Alter von 2 Wochen erfolgten konsequenten Lagerungstherapie mit einem speziellen Lagerungskissen nebst Krankengymnastik (auch nach Vojta) und einer osteopathischen Behandlung sowohl die Hinterhauptabflachung als auch die Schädelasymmetrie des Klägers verstärkt hätten. In der Uniklinik ZS. und ZQ. wäre erst im Juli 2009 ein Termin möglich gewesen. Für den Kläger habe auch ein enges Zeitfenster für eine Behandlung bestanden, da das Kopfwachstum innerhalb des ersten Lebensjahres abgeschlossen sei. Es seien auch ganz erhebliche Beschwerden im Sinne von Schmerzzuständen aufgetreten. Bei einem Gespräch mit der Beklagten sei kein Hinweis erfolgt, dass vor dem Abschluss der Prüfung durch den MDK mit der Behandlung nicht begonnen werden dürfe. Durch die Beklagte seien zudem in einer Vielzahl von Fällen Kostenübernahmen für Kopforthesenbehandlungen, die erst nach Behandlungsbeginn beantragt worden seien, erfolgt. Zur Bestätigung ihres Vorbringens haben die Eltern des Klägers verschiedene Schreiben an andere Versicherte bezüglich der Übernahme einer Kopforthesenbehandlung durch die Beklagte vorgelegt. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenübernahme der Kopforthesenbehandlung des Klägers nicht in Betracht komme, festgehalten. Das Sozialgericht hat nach Übersendung von 2 anonymisierten Entscheidungen aus Parallelverfahren am Sozialgericht Kassel (S 12 KR 170/09 und S 12 KR 1732/04) die Klage nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2010 abgewiesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob ein Kostenerstattungsanspruch im vorliegenden Fall bereits daran scheitere, dass die Beklagte die streitigen Kosten nicht verursacht habe, nachdem der Kläger, vertreten durch seine Eltern, die Leistung als solche bei Antragseingang bereits in Anspruch genommen habe bzw. sie als solche mit der Einleitung der Behandlung bereits am 14. Mai 2009 schon "in Auftrag" gegeben worden sei. Bei der streitigen Behandlungsmethode handele es sich um eine vom hierfür zuständigen Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht anerkannte außervertragliche Behandlungsmethode. Zudem fehle es an einem durchsetzbaren Anspruch des Leistungserbringers gegenüber dem Kläger. Eine Behandlung zu einem von der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) losgelösten Pauschalpreis löse keine Zahlungsverpflichtung des Patienten aus.

Gegen den den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 2. Juni 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger, vertreten durch seine Eltern, am 24. Juni 2010 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weisen sie erneut darauf hin, dass die Beklagte, wie auch andere Krankenkassen, mehrfach Kosten für eine Kopforthesenbehandlung erstattet hätten, was zu einer Selbstbindung der Verwaltung führe. Es gebe in erheblichem Umfang Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Kopforthesenbehandlung um eine verbreitete und wirksame Methode zur Behandlung von Schädeldeformationen handele. Insoweit seien Ermittlungen beim Gemeinsamen Bundesausschuss durchzuführen. Zudem könne das Argument, dass es an einem Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung durch die Beklagte und der Kostenbelastung fehle, dann nicht greifen, wenn auf die Notwendigkeit einer Überprüfung der Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht hingewiesen worden sei. Der Versicherte sei über die Einzelheiten der gesetzlichen Regelungen insoweit nicht im Bilde. Auch sei die These, dass eine nicht den Voraussetzungen des § 2 GOÄ entsprechende Honorarvereinbarung insgesamt nicht wirksam sei, in dieser Absolutheit nicht zutreffend. Durch das enge Zeitfenster der Behandlung habe auch eine unaufschiebbare Leistung vorgelegen. Alternativen seien von der Beklagten nicht genannt worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Kassel vom 1. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 zu verurteilen, ihm die Kosten einer Kopforthesenbehandlung in Höhe von 1.819,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend hat sie eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses (UA Methodenbewertung) vom 16. Juli 2010 bezüglich der Kopforthesenbehandlung vorgelegt. Der Senat hat im Rahmen eines Erörterungstermins am 24. Februar 2011 Beweis erhoben durch die Anhörung der Mutter des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

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