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Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht vor dem örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2006, mit dem die Beklagte die Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1, 31 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB V einen Anspruch auf eine entsprechende Behandlung.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 und 5 SGB V u.a. die ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arzneimitteln und die Krankenhausbehandlung. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht durch § 34 SGB V (nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel) oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung u.a. auch die teilstationäre Behandlung und nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V sind bei der Krankenhausbehandlung alle Leistungen zu erbringen, die nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind.

Die Klägerin ist Versicherte, da sie bei der Beklagten krankenversichert ist. Sie leidet an einer Krankheit i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da bei ihr eine palmoplantare Hyperhidrose, eine übermäßige Schweißneigung der Handinnenflächen und der Fußsolen, diagnostiziert wurde. Das Vorliegenden der entsprechenden Erkrankung ergibt sich aus den Befundberichten der Deutschen Klinik für Diagnostik, B-Stadt, vom 17. Dezember 2002 und vom 16. November 2007, den Befundberichten von Dr. D-D./Dr. D. vom 2. Juli 2004 und vom 19. November 2007 sowie aus dem Befundbericht von Dr. C. vom 5. November 2007.

Die von der Klägerin beanspruchte teilstationäre Botox-Behandlung unter Anwendung einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung ist auch notwendig, um die bei ihr vorliegende palmoplantare Hyperhidrose zu heilen bzw. die durch diese Erkrankung hervorgerufenen Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet ausweislich der vorliegenden Befundberichte seit vielen Jahren an einem übermäßigen Schweißausbruch an Händen und Füßen, der in ihrem Beruf als Ergotherapeutin sehr hinderlich ist. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Befundbericht der Ärzte Dr. D-D./Dr. D. vom 2. Juli 2004, die darauf hinweisen, dass bei der Klägerin ein stark vermehrtes Schwitzen an Händen und Füßen in höchster Ausprägung vorliege. Darüber hinaus weist auch Dr. G. in seinem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 7. April 2006 auf diesen Umstand hin und betont, dass Schweißhände und Schweißfüße im Einzelfall so extrem sein können, dass sie sich im Berufsleben und bei sozialen Kontakten negativ auswirken können. Dies ist bei der Klägerin in besonderem Maße der Fall. Auch aus den Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wird deutlich, dass sie durch die Auswirkungen ihrer Erkrankungen im Alltag und im Berufsleben stark eingeschränkt ist. Aus den vorliegenden Befundberichten ergibt sich darüber hinaus auch, dass die Klägerin durch die vorrangige Behandlungsmethoden mit Leitungswasser-Iontophorese und Aluminium-Chlorid-Lösung nicht geheilt werden konnte, diese Behandlungen auch ihre Beschwerden nicht gelindert haben und lediglich eine bereits einmal im Jahr 2002 durchgeführte Botox-Behandlung zu einer vorübergehenden Linderung der Beschwerden geführt hat. Da die bei der Klägerin vorliegende palmoplantare Hyperhidrose auch nicht durch eine Operation behandelt werden kann, besteht insgesamt die Notwendigkeit der von der Klägerin beanspruchten Behandlung. Diese Behandlung ist auch nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig. Dies ergibt sich nicht nur aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte, die eine weitere Botox-Behandlung empfehlen, sondern auch aus den Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. In seinem Gutachten vom 15. März 2006 weist Dr. L. darauf hin, dass eine Wirksamkeit von Butulinumtoxin A anhand der bisherigen Untersuchungen mit kleinerer Patientenzahl auch bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose vermutet werden könne. Dr. G. weist in seinem Gutachten vom 7. April 2006 ebenfalls auf diese Studien zu Botulinumtoxin des Typs A in der Behandlung von palmarer Hyperhidrose hin. Diese Studien seien aber limitierter und weniger konsistent als die Studien zur Behandlung von axillärer Hyperhidrose. Gleichwohl dürfe unterstellt werden, dass Botox ebenso bei palmoplantarer Hyperhidrose wirke, da die Pathophysiologie dieser übermäßigen Schweißbildung dieselbe sei wie bei axillärer Hyperhidrose. Es dürfe somit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden. Darüber hinaus habe eine Botox-Therapie im Jahr 2002 bei der Klägerin zum Erfolg geführt, so dass die individuelle Wirksamkeit belegt sei. Diese Ausführungen bestätigen, dass die von der Klägerin beanspruchte und von ihren behandelnden Ärzten empfohlene Botox-Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig ist, weil sowohl von einer generellen Wirksamkeit einer Botox-Behandlung bei einer palmoplantare Hyperhidrose als auch von einer individuellen Wirksamkeit einer entsprechenden Behandlung bei der Klägerin ausgegangen werden kann und alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Darüber hinaus stehen dem Einsatz einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung weder die Regelung des § 34 SGB V oder die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V entgegen, da es sich bei diesem Medikament nicht um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt und dieses Medikament auch nicht durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine teilstationäre Botox-Behandlung unter Einsatz einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung vor.

Dem steht nach Auffassung des Gerichts auch nicht entgegen, dass das Medikament, das für die von der Klägerin beanspruchte "Botox-Behandlung" benötigt wird, eine Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung, arzneimittelrechtlich nur für eine starke fortbestehende primäre Hyperhidrosis axiliaris, die störende Auswirkungen auf die Aktivität des täglichen Lebens hat und mit einer topischen Behandlung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, zugelassen ist, aber bei der Klägerin für eine palmoplantare Hyperhidrose angewendet werden soll. Das Bundessozialgericht geht zwar in seiner neueren Rechtsprechung (Urteil vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R, Rdnr. 26 f., zitiert nach juris, bekräftigt durch Urteil vom 26. Juni 2006, Az.: B 1 KR 1/06 R, Rdnr. 18 ff., zitiert nach juris, zuletzt Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, Rdnr. 14 f., zitiert nach juris) davon aus, dass ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Off-Label-Use) und davon nur ausnahmsweise abgewichen werden kann, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die letzte dieser Voraussetzungen hat das Bundessozialgericht zuletzt dahingehend präzisiert, dass in Fällen, in denen die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist, Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sein müssen und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen sein müsse, und Fällen, in denen keine Erweiterung der Zulassung beantragt worden ist, außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein müssen, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, Rdnr. 15, zitiert nach juris).

Diese Voraussetzungen dürften im Fall der Klägerin vorliegen. Bei der palmoplantarer Hyperhidrose handelt es sich - jedenfalls in der bei der Klägerin vorliegenden starken Ausprägung - um eine schwerwiegenden Erkrankung, da sie die Lebensqualität der Klägerin auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, für die auch keine andere - bei der Klägerin wirksame - Therapie verfügbar ist. Auch die vom Bundessozialgericht aufgestellte Voraussetzung für Fälle, in denen keine Erweiterung der Zulassung beantragt worden ist, dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein müssen, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht, dürften vorliegen, da zumindest Studien mit kleineren Patientenzahlen vorhanden sind, nach denen vermutet werden kann, dass Butulinumtoxin A auch bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose wirkt. Dazu ist auf die Ausführungen der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu verweisen. Sowohl das Gutachten von Dr. L. vom 15. März 2006 als auch das Gutachten von Dr. G. vom 7. April 2006 geben entsprechende Hinweise. Dr. G. führt zwar in seinem Gutachten vom 7. April 2006 an, dass seiner Meinung die vorliegenden Studien keine "zuverlässige Aussagen" im Sinne der Anforderungen des Bundessozialgerichts zum Nutzen (nicht nur zur bloßen Wirksamkeit) einer Botox-Behandlung bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose zuließen. Soweit jedoch damit Aussagen verlangt werden, die einen über die bloße Wirksamkeit des Medikaments hinausgehenden weitergehender Nutzen belegen, dürften diese Anforderungen die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Anforderungen überschreiten.

Im Übrigen ist zweifelhaft, ob die vom Bundessozialgericht unter Heranziehung der Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 2 SGB V vorgenommene Auslegung der einfachgesetzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V), nach der ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt, überzeugend sind (zur grundsätzlichen Kritik siehe beispielsweise Becker, Off-Label-Use: Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei Todesgefahr?, SGb 2003, 594, 597 ff.) und mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist (siehe dazu beispielsweise GL., Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, 291, 293 ff.). Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 im Zusammenhang mit einer verfassungsrechtlichen Prüfung, ob eine bestimmte neue Behandlungsmethode von den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragenden Leistungen ausgeschlossen werden kann, vielmehr darauf hin, dass die gesetzliche Krankenversicherung für bestimmte Personengruppen einen Zwang zur Eigenvorsorge vorsehe, der einen vollen Krankenversicherungsschutz ermöglichen solle, und dass es daher einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip bedürfe, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit (und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung) durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten würden (Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az.: 1 BvR 347/98, Rdnr. 54, zitiert nach juris). Auch wenn dem Bundesverfassungsgericht der Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vorlag, hat es seine Aussagen über den Ausschluss von Leistungen für die Behandlung von Krankheiten generell getroffen und weist lediglich darauf hin, dass diese Aussagen insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gälten, da das Leben einen Höchstwert in der grundgesetzlichen Ordnung darstelle (BVerfG, a.a.O, Rdnr. 57). Hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Behandlungsmethode, die für eine Kostenübernahme erforderlich ist, verweist das Bundesverfassungsgericht lediglich darauf, dass die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen muss. (BVerfG, a.a.O, Rdnr. 65). Diese Voraussetzungen sind bei der von der Klägerin begehrten teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose aufgrund der vorliegenden Studien zur Wirksamkeit der Behandlung in diesem Bereich vor. Ein Anspruch der Klägerin auf die ihr begehrte Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose ist daher auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gegeben.

Damit war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und stützt sich darauf, dass die Klägerin mit ihrer Klage vollständig obsiegt hat.

Die Möglichkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.

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