Sozialgericht Wiesbaden, S 2 KR 206/06

  • Aktenzeichen: S 2 KR 206/06
  • Spruchkörper: 2. Kammer  
  • Gericht: Sozialgericht Wiesbaden
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 24.05.2007
  • Normen: GG Art. 2 Abs. 1, SGB V § 27 Abs. 1, SGB V § 28 Abs. 1, SGB V § 31 Abs. 1, SGB V § 39 Abs. 1

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose.

In einem Vermerk vom 16. Februar 2006 über ein Gespräch mit der Klägerin hielt die Beklagte fest, dass die Klägerin Probleme mit einem übermäßigen Schweißausbruch an den Handflächen habe und dies bei ihrem Beruf als Ergotherapeutin sehr hinderlich sei. Im Jahr 2002 sei bereits einmal erfolgreich eine Botox-Behandlung durchgeführt worden, deren Kosten von der Betriebskrankenkasse C übernommen worden seien.

Zur Prüfung eines Anspruchs der Klägerin auf Kostenübernahme für eine entsprechende Botox-Behandlung zog die Beklagte verschiedene medizinische Unterlagen heran:

Der Bericht der Deutschen Klinik für Diagnostik, B-Stadt, vom 17. Dezember 2002 gab bei der Klägerin als Diagnose "Hyperhidrosis focalis (ICD 10 R 61.0)” an und wies auf eine übermäßige Schweißneigung der Handinnenflächen und der Fußsolen bei der Klägerin hin. Es seien regelmäßig Ovulationshemmer eingenommen worden und dann sei in der Klinik für Diagnostik eine Butolinum-Behandlung unter Vollnarkose erfolgt.

In einem Befundbericht vom 2. Juli 2004 wiesen die Ärzte Dr. D-D. und Dr. D. darauf hin, dass die Klägerin unter stark vermehrtem Schwitzen an Händen und Füßen in höchster Ausprägung leide. Die Anwendungen von Salben und Anithydotika hätte bisher versagt. Lediglich die einmalige Applikation von Botox unter Vollnarkose in der Deutschen Klinik für Diagnostik, B-Stadt, habe eine ausgezeichnete Wirkung erbracht. Diese sei jedoch bekanntlich in der Dauer begrenzt.

Auf der Basis dieser medizinischen Unterlagen holte die Beklagte zur Frage der Kostenübernahme für eine Botox-Behandlung bei Hyperhidrosis der Hände und Füße ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein. In seinem Gutachten vom 15. März 2006 wies Dr. D darauf hin, dass das vorgelegte Präparat sozialmedizinisch nicht zu empfehlen sei, weil die vom Bundessozialgericht formulierten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt seien. Es liege nach den Kriterien des Bundessozialgerichts zwar eine schwerwiegende Erkrankung vor. Diese sei zwar nicht lebensbedrohlich. Es handele sich aber um eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung. Die Frage, ob andere Therapien zur Behandlung dieser Krankheit vorlägen, müsse aber verneint werden, weil eine Iontophorese-Behandlung und eine Behandlung mit Aluminium-Chlorid-Lösung in Betracht käme. Hinsichtlich der Frage, ob eine begründete Aussicht bestehe, dass mit der Behandlung ein Behandlungserfolg zu erzielen sei, sei darauf hinzuweisen, dass eine Erweiterung der Zulassung des Medikaments nicht beantragt sei. Hinsichtlich der dann erforderlichen, außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse sei darauf zu verweisen, dass eine Wirksamkeit von Butulinumtoxin A anhand der bisherigen Untersuchungen mit kleinerer Patientenzahl auch bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose vermutet werden könne. Die Evidenz für die Wirksamkeit sei jedoch bei axiliärer Hyperhidrosis größer, so dass hier inzwischen auch die arzneimittelrechtliche Zulassung erfolgt sei. Entsprechende, kontrollierte Studien der Phase III mit Wirksamkeitsnachweis lägen für die palmo bzw. plantare Hyperhidrosis nicht vor.

Mit Bescheid vom 16. März 2006 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung unter Vollnarkose ab. Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass die Kriterien des Bundessozialgerichts für eine Kostenübernahme bei einem Off-Label-Use nicht erfüllt seien, da als vertragliche Alternativen die Behandlung mit Iontophorese oder mit Aluminium-Chlorid-Lösung zur Verfügung stände. Mit Schreiben vom 31. März 2006 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und wies darauf hin, dass beide von der Beklagten genannten Alternativ-Therapien bei ihr erfolglos durchgeführt worden seien. Die Iontophorese sei in den Jahren 1997 und 1999 und die Behandlung mit Aluminium-Chlorid-Lösung im Jahr 2004 erfolglos durchgeführt worden. Außerdem habe sie monatelang ebenfalls erfolglos Salbei eingenommen. Nur eine Botox-Behandlung im Jahr 2002 sei erfolgreich gewesen. Ihres Wissens existierten zahlreiche Studien, die die Effektivität einer Botox-Behandlung einer palmoplantaren Hyperhidrose nachwiesen. Außerdem habe ihr der Originalhersteller Allergan mitgeteilt, dass eine Zulassung aus Kostengründen in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht beantragt werde.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung erneut ein Gutachten zur Kostenübernahme für die beantragte Botox-Behandlung ein. In seinem Gutachten vom 7. April 2006 wies Dr. G. darauf hin, dass die Klägerin an übermäßiger Schweißbildung an Händen und Füßen leide und dies nach ihren Angaben bei der Berufstätigkeit sehr hinderlich sei. Dabei machte der den Hinweis, dass Schweißhände und Schweißfüße im Einzelfall so extrem sein könnten, dass sie sich im Berufsleben und bei sozialen Kontakten negativ auswirkten. Zum dem Präparat, dessen Kostenübernahme zu prüfen sei, wies Dr. G. darauf hin, dass es sich um eine Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung handele. Diese habe als Anwendungsbereich eine starke fortbestehende primäre Hyperhidrosis axiliaris, die störende Auswirkungen auf die Aktivität des täglichen Lebens habe und mit einer topischen Behandlung nicht ausreichend kontrolliert werden könne. Die Studien zu Botulinumtoxin des Typs A in der Behandlung von palmarer Hyperhidrose seien limitierter und weniger konsistent als die Studien zur Behandlung von axillärer Hyperhidrose. Im Einzelnen führte Dr. G. drei Studien mit 8, 19 bzw. 24 Patienten an. Außerdem gab er einen Auszug aus dem "Arzneimittel-Telegramm 10/2003" wieder, nach dem Botulinumtoxin für die Anwendung gegen starkes Schwitzen der Hände nicht zugelassen sei. Zum Nutzen dieser Indikation seien bisher nur zwei kleinere randomisierte Studien mit Rechts-Links-Vergleich veröffentlicht worden, in denen jeweils eines der Präparate Botox oder Dysport geprüft worden sei. Die Behandlung wirke zwar bei den meisten Patienten. Die Handmuskeln würden jedoch in einem hohen Prozentsatz zumindest subklinisch geschwächt. Abschließend kam Dr. G. in seinem Gutachten zu folgender Beurteilung: Die Zulassung von Botox bestehe nur für axilläre Hyperhidrose. Um einen Off-Label-Use handelt es sich, da sich die Zulassung nur auf axilläre Hyperhidrose beschränke und diese nicht automatisch auch für die palmoplantare Hyperhidrose gelte. Gleichwohl dürfe unterstellt werden, dass Botox ebenso bei palmoplantarer Hyperhidrose wirke, da die Pathophysiologie dieser übermäßigen Schweißbildung dieselbe sei wie bei axillärer Hyperhidrose. Es dürfe somit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden. Darüber hinaus habe eine Botox-Therapie im Jahr 2002 bei der Klägerin zum Erfolg geführt, so dass die individuelle Wirksamkeit belegt sei. Die Botox-Therapie komme nur bei Ausschöpfung lokaler Maßnahmen und der - vor allem auch ungefährlichen - jedoch oft sehr gut wirksamer Leitungswasser-Iontophorese in Betracht. Das Bundessozialgericht stelle an einen Off-Label-Use die Anforderung, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen müsse, dass mit dem betreffenden Präparat ein Erfolg erzielt werden könne. Wenn eine Erweiterung der Zulassung nicht beantragt sei, müssten außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein, die über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in den neuen Anwendungsfällen zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen. Es lägen jedoch weder Phase-III-Studien zur Behandlung der palmaren oder plantaren Hyperhidrose vor, noch bestünden nach seiner Bewertung der Datenlage "zuverlässige Aussagen" im Sinne der Anforderungen des Bundessozialgerichts zum Nutzen (nicht nur zur bloßen Wirksamkeit) bei dieser Indikation vor. Somit seien die Voraussetzungen des Bundessozialgerichts zur Kostenübernahme seines Erachtens nicht erfüllt. Im Übrigen verwies Dr. G. auf die Schädigungsmöglichkeit durch die Behandlung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies die Beklagte darauf, dass die Kriterien des Bundessozialgerichts zum Off-Label-Use nicht erfüllt seien, da keine "zuverlässigen Aussagen" zum Nutzen des Medikaments bei der vorliegenden Indikation vorlägen. Auch unter Heranziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 sei keine andere Entscheidung zu treffen, da nicht von einer lebensbedrohlichen oder sogar tödlichen Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auszugehen sei.

Dagegen richtet sich die am 17. Juli 2006 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte wäre zur beantragten Kostenübernahme verpflichtet.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte zur Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält ihren ablehnenden Bescheid für rechtmäßig.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhaltes hat das Gericht bei den behandelnden Ärzten und Kliniken Befundberichte eingeholt.

In seinem speziell zur Erkrankung der Klägerin erstellten Befundbericht vom 5. November 2007 weist Dr. C. darauf hin, dass die Klägerin ihm aus der regelmäßigen hausärztlichen Betreuung bekannt sei. Die üblichen Verfahren der Behandlung mit Leitungswasser-Iontophorese und Aluminium-Chlorid-Lösung seien erfolgt und ein operatives Verfahren sei prinzipiell denkbar. Auch die Anwendung von Dysport sei theoretisch möglich. Jedoch besteht keine entsprechende Zulassung des Medikaments. In seinem Befundbericht vom 19. November 2007 weist Dr. D. darauf hin, eine 3 bis 4wöchige Leitungswasser-Iontophorese ohne merkbaren Erfolg geblieben sei und auch die Verordnung von Aluminium-Chlorid in seiner Praxis stattgefunden habe. In ihrem Befundbericht vom 16. November 2007 stellt die Deutschen Klinik für Diagnostik, B-Stadt, die Diagnose "Hyperhidrosis focalis" auf und beantwortet die entsprechenden Fragen des Gerichts dahingehend, dass bis zum 24. Oktober 2002 keine Leitungswasser-Iontophorese durchgeführt worden sei, eine operative Behandlung einer Hyperhidrosis an Händen und Füßen nicht möglich sei und die Wirksubstanz der beiden Präparaten Botox und Dysport gleich seien, so dass ein Austausch nicht sinnvoll sei, durchaus aber eine Erhöhung der Dosierung von Botox. Da die Wirkung der Behandlung vom 24. Oktober 2002 nicht zufriedenstellend gewesen sei, sei eine Erhöhung der Dosis diskutiert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht vor dem örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht erhoben.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2006, mit dem die Beklagte die Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose abgelehnt hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1, 31 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB V einen Anspruch auf eine entsprechende Behandlung.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 3 und 5 SGB V u.a. die ärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arzneimitteln und die Krankenhausbehandlung. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist ärztliche Behandlung die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Nach § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht durch § 34 SGB V (nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel) oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfasst die Krankenhausbehandlung u.a. auch die teilstationäre Behandlung und nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V sind bei der Krankenhausbehandlung alle Leistungen zu erbringen, die nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung des Versicherten im Krankenhaus notwendig sind.

Die Klägerin ist Versicherte, da sie bei der Beklagten krankenversichert ist. Sie leidet an einer Krankheit i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, da bei ihr eine palmoplantare Hyperhidrose, eine übermäßige Schweißneigung der Handinnenflächen und der Fußsolen, diagnostiziert wurde. Das Vorliegenden der entsprechenden Erkrankung ergibt sich aus den Befundberichten der Deutschen Klinik für Diagnostik, B-Stadt, vom 17. Dezember 2002 und vom 16. November 2007, den Befundberichten von Dr. D-D./Dr. D. vom 2. Juli 2004 und vom 19. November 2007 sowie aus dem Befundbericht von Dr. C. vom 5. November 2007.

Die von der Klägerin beanspruchte teilstationäre Botox-Behandlung unter Anwendung einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung ist auch notwendig, um die bei ihr vorliegende palmoplantare Hyperhidrose zu heilen bzw. die durch diese Erkrankung hervorgerufenen Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet ausweislich der vorliegenden Befundberichte seit vielen Jahren an einem übermäßigen Schweißausbruch an Händen und Füßen, der in ihrem Beruf als Ergotherapeutin sehr hinderlich ist. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Befundbericht der Ärzte Dr. D-D./Dr. D. vom 2. Juli 2004, die darauf hinweisen, dass bei der Klägerin ein stark vermehrtes Schwitzen an Händen und Füßen in höchster Ausprägung vorliege. Darüber hinaus weist auch Dr. G. in seinem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vom 7. April 2006 auf diesen Umstand hin und betont, dass Schweißhände und Schweißfüße im Einzelfall so extrem sein können, dass sie sich im Berufsleben und bei sozialen Kontakten negativ auswirken können. Dies ist bei der Klägerin in besonderem Maße der Fall. Auch aus den Schilderungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung wird deutlich, dass sie durch die Auswirkungen ihrer Erkrankungen im Alltag und im Berufsleben stark eingeschränkt ist. Aus den vorliegenden Befundberichten ergibt sich darüber hinaus auch, dass die Klägerin durch die vorrangige Behandlungsmethoden mit Leitungswasser-Iontophorese und Aluminium-Chlorid-Lösung nicht geheilt werden konnte, diese Behandlungen auch ihre Beschwerden nicht gelindert haben und lediglich eine bereits einmal im Jahr 2002 durchgeführte Botox-Behandlung zu einer vorübergehenden Linderung der Beschwerden geführt hat. Da die bei der Klägerin vorliegende palmoplantare Hyperhidrose auch nicht durch eine Operation behandelt werden kann, besteht insgesamt die Notwendigkeit der von der Klägerin beanspruchten Behandlung. Diese Behandlung ist auch nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig. Dies ergibt sich nicht nur aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte, die eine weitere Botox-Behandlung empfehlen, sondern auch aus den Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. In seinem Gutachten vom 15. März 2006 weist Dr. L. darauf hin, dass eine Wirksamkeit von Butulinumtoxin A anhand der bisherigen Untersuchungen mit kleinerer Patientenzahl auch bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose vermutet werden könne. Dr. G. weist in seinem Gutachten vom 7. April 2006 ebenfalls auf diese Studien zu Botulinumtoxin des Typs A in der Behandlung von palmarer Hyperhidrose hin. Diese Studien seien aber limitierter und weniger konsistent als die Studien zur Behandlung von axillärer Hyperhidrose. Gleichwohl dürfe unterstellt werden, dass Botox ebenso bei palmoplantarer Hyperhidrose wirke, da die Pathophysiologie dieser übermäßigen Schweißbildung dieselbe sei wie bei axillärer Hyperhidrose. Es dürfe somit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden. Darüber hinaus habe eine Botox-Therapie im Jahr 2002 bei der Klägerin zum Erfolg geführt, so dass die individuelle Wirksamkeit belegt sei. Diese Ausführungen bestätigen, dass die von der Klägerin beanspruchte und von ihren behandelnden Ärzten empfohlene Botox-Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig ist, weil sowohl von einer generellen Wirksamkeit einer Botox-Behandlung bei einer palmoplantare Hyperhidrose als auch von einer individuellen Wirksamkeit einer entsprechenden Behandlung bei der Klägerin ausgegangen werden kann und alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Darüber hinaus stehen dem Einsatz einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung weder die Regelung des § 34 SGB V oder die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V entgegen, da es sich bei diesem Medikament nicht um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt und dieses Medikament auch nicht durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist. Damit liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine teilstationäre Botox-Behandlung unter Einsatz einer Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung vor.

Dem steht nach Auffassung des Gerichts auch nicht entgegen, dass das Medikament, das für die von der Klägerin beanspruchte "Botox-Behandlung" benötigt wird, eine Botox-Trockensubstanz zur Herstellung eine Indikationslösung, arzneimittelrechtlich nur für eine starke fortbestehende primäre Hyperhidrosis axiliaris, die störende Auswirkungen auf die Aktivität des täglichen Lebens hat und mit einer topischen Behandlung nicht ausreichend kontrolliert werden kann, zugelassen ist, aber bei der Klägerin für eine palmoplantare Hyperhidrose angewendet werden soll. Das Bundessozialgericht geht zwar in seiner neueren Rechtsprechung (Urteil vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R, Rdnr. 26 f., zitiert nach juris, bekräftigt durch Urteil vom 26. Juni 2006, Az.: B 1 KR 1/06 R, Rdnr. 18 ff., zitiert nach juris, zuletzt Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, Rdnr. 14 f., zitiert nach juris) davon aus, dass ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (Off-Label-Use) und davon nur ausnahmsweise abgewichen werden kann, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Die letzte dieser Voraussetzungen hat das Bundessozialgericht zuletzt dahingehend präzisiert, dass in Fällen, in denen die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist, Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht worden sein müssen und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen sein müsse, und Fällen, in denen keine Erweiterung der Zulassung beantragt worden ist, außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein müssen, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (Urteil vom 27. März 2007, Az.: B 1 KR 17/06 R, Rdnr. 15, zitiert nach juris).

Diese Voraussetzungen dürften im Fall der Klägerin vorliegen. Bei der palmoplantarer Hyperhidrose handelt es sich - jedenfalls in der bei der Klägerin vorliegenden starken Ausprägung - um eine schwerwiegenden Erkrankung, da sie die Lebensqualität der Klägerin auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt, für die auch keine andere - bei der Klägerin wirksame - Therapie verfügbar ist. Auch die vom Bundessozialgericht aufgestellte Voraussetzung für Fälle, in denen keine Erweiterung der Zulassung beantragt worden ist, dass außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sein müssen, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht, dürften vorliegen, da zumindest Studien mit kleineren Patientenzahlen vorhanden sind, nach denen vermutet werden kann, dass Butulinumtoxin A auch bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose wirkt. Dazu ist auf die Ausführungen der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu verweisen. Sowohl das Gutachten von Dr. L. vom 15. März 2006 als auch das Gutachten von Dr. G. vom 7. April 2006 geben entsprechende Hinweise. Dr. G. führt zwar in seinem Gutachten vom 7. April 2006 an, dass seiner Meinung die vorliegenden Studien keine "zuverlässige Aussagen" im Sinne der Anforderungen des Bundessozialgerichts zum Nutzen (nicht nur zur bloßen Wirksamkeit) einer Botox-Behandlung bei palmarer bzw. plantarer Hyperhidrose zuließen. Soweit jedoch damit Aussagen verlangt werden, die einen über die bloße Wirksamkeit des Medikaments hinausgehenden weitergehender Nutzen belegen, dürften diese Anforderungen die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Anforderungen überschreiten.

Im Übrigen ist zweifelhaft, ob die vom Bundessozialgericht unter Heranziehung der Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 2 SGB V vorgenommene Auslegung der einfachgesetzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V), nach der ein zugelassenes Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Anwendungsgebiet verordnet werden kann, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt, überzeugend sind (zur grundsätzlichen Kritik siehe beispielsweise Becker, Off-Label-Use: Arzneimittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung nur bei Todesgefahr?, SGb 2003, 594, 597 ff.) und mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist (siehe dazu beispielsweise GL., Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Leistungspflicht der Krankenkassen beim Off-Label-Use von Arzneimitteln, NZS 2006, 291, 293 ff.). Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2005 im Zusammenhang mit einer verfassungsrechtlichen Prüfung, ob eine bestimmte neue Behandlungsmethode von den von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragenden Leistungen ausgeschlossen werden kann, vielmehr darauf hin, dass die gesetzliche Krankenversicherung für bestimmte Personengruppen einen Zwang zur Eigenvorsorge vorsehe, der einen vollen Krankenversicherungsschutz ermöglichen solle, und dass es daher einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip bedürfe, wenn dem Versicherten Leistungen für die Behandlung einer Krankheit (und insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung) durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten würden (Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az.: 1 BvR 347/98, Rdnr. 54, zitiert nach juris). Auch wenn dem Bundesverfassungsgericht der Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung vorlag, hat es seine Aussagen über den Ausschluss von Leistungen für die Behandlung von Krankheiten generell getroffen und weist lediglich darauf hin, dass diese Aussagen insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gälten, da das Leben einen Höchstwert in der grundgesetzlichen Ordnung darstelle (BVerfG, a.a.O, Rdnr. 57). Hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Behandlungsmethode, die für eine Kostenübernahme erforderlich ist, verweist das Bundesverfassungsgericht lediglich darauf, dass die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen muss. (BVerfG, a.a.O, Rdnr. 65). Diese Voraussetzungen sind bei der von der Klägerin begehrten teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose aufgrund der vorliegenden Studien zur Wirksamkeit der Behandlung in diesem Bereich vor. Ein Anspruch der Klägerin auf die ihr begehrte Kostenübernahme für eine teilstationäre Botox-Behandlung gegen palmoplantare Hyperhidrose ist daher auch aus verfassungsrechtlichen Gründen gegeben.

Damit war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und stützt sich darauf, dass die Klägerin mit ihrer Klage vollständig obsiegt hat.

Die Möglichkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

Weitere Artikel zum Thema:

Rentenversicherung

Rentenversicherung

Gesetzliche Rentenversicherung

Krankenversicherung

Krankenversicherung

Gesetzliche Krankenversicherung

Pflegeversicherung

Pflegeversicherung

Gesetzliche Pflegeversicherung

Unfallversicherung

Unfallversicherung

Gesetzliche Unfallversicherung