Landessozialgericht Hessen 24.05.2007, L 8/14 KR 26/04

  • Aktenzeichen: L 8/14 KR 26/04
  • Spruchkörper: 8. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 20 KR 1741/02
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 24.05.2007
  • Normen: SGB V § 69, SGB V § 11 Abs. 1, SGB V § 15 Abs. 1, BPflV § 16 Abs. 2, BGB § 291, BGB § 288 Abs. 2

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Abrechnung einer Krankenhausbehandlung.

Das beklagte Universitätsklinikum behandelte in der Zeit vom 15. Februar bis 14. März 2001 den bei der Klägerin versicherten Patienten MM. (M.), geboren 1963, stationär. Bei M. war im August 2000 eine akute myeloische Leukämie (bösartige Erkrankung der weißen Blutkörperchen) mit Hochrisikoprofil festgestellt worden. Nach mehreren Chemotherapien am Universitätsklinikum GH. erfolgte die Überweisung an die Beklagte zur Durchführung einer allogenen (von einem Spender stammenden) Blutstammzelltransplantation. Zur Vorbereitung einer solchen Stammzelltransplantation wird zunächst mittels einer hoch dosierten Chemotherapie neben den Tumorzellen auch das körpereigene Knochenmark zerstört, welches sich in den Hohlräumen der Knochen befindet und aus der Mutterzelle der Blutzellen und heranreifenden Blut- und Immunzellen besteht (sog. Myeloablation). Diese sog. Konditionierung erfolgte bei dem Patienten M. ab dem 17. Februar 2001 mit den Präparaten Busulfan in einer Dosierung von 4 x 1 mg/kg Körpergewicht am Tag sechs und fünf vor der Transplantation, Fludarabin (5 x 30 mg/m²) an den Tagen sechs bis zwei und CsA (2 x 2 mg/kg Körpergewicht ab Tag eins). Am 23. Februar 2001 erfolgte sodann die allogenverwandte Stammzelltransplantation durch Transfusion von blutbildenden Stammzellen des Bruders des Patienten M.

Am 14. März 2001 wurde der Patient M. entlassen. Die Entlassungsanzeige der Beklagten führte den ICD-10-Diagnoseschlüssel C92.1 (akute myeloische Leukämie) und den Operationsschlüssel 5-411.1 (allogene Knochenmarktransplantation) auf. Hierfür berechnete die Beklagte der Klägerin am 19. April 2001 einen Gesamtbetrag von 249.153,92 DM (127.460,76 €), wovon auf die – hier streitige – Fallpauschale 11.02 ein Betrag von 247.869,60 DM (126.733,71 €) entfielen. Die Klägerin beglich diese Rechnung am 25. April 2001 unter dem Vorbehalt einer Nachprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).

Am 29. Mai 2001 forderte die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung des Rechnungsbetrages unter Hinweis auf ein Gutachten des MDK vom 15. Mai 2001, wonach die in der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) definierten inhaltlichen Voraussetzungen zur Abrechnung der Fallpauschale 11.02 nicht vorlägen. Die Beklagte lehnte eine Rückzahlung ab.

Die Klägerin hat am 22. Mai 2002 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, mit der sie zunächst die Verurteilung der Beklagten zu Zahlung von 126.733,71 € (Vergütung der Fallpauschale 11.02) begehrt hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin notwendige Behandlungskosten des Klinikaufenthalts auf der Grundlage tagesgleicher Pflegesätze in Höhe von 9.607,69 € anerkannt und ihre Klageforderung auf 117.126,02 € reduziert. Unter Bezugnahme auf mehrere Gutachten des Kompetenz Centrum Onkologie des MDK N.-Stadt (Prof. Dr. HL.) hat die Klägerin ausgeführt, die Fallpauschale 11.02 sei nur abrechenbar bei einer myeloablativen Therapie, bei der im Rahmen der Konditionierungsphase versucht werde, durch die chemotherapeutische Behandlung die erkrankten blut- und lymphzellbildenden Zellen möglichst komplett zu zerstören. Diese Prozedur beinhalte eine weitgehende Zerstörung der Knochenmarksfunktion mit der Folge, dass die anschließende Durchführung einer Stammzelltransplantation zwingend notwendig sei, um das Überleben des Patienten zu sichern. Demgegenüber habe die Beklagte eine nicht-myeloablative Konditionierung vorgenommen, indem sie die Dosis von Busulfan auf die Hälfte reduziert habe. Hierbei handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, die darauf setze, dass durch eine Schwächung der erkrankten Zellen verbunden mit der Transplantation gesunder Stammzellen unter Ausnutzung immunologischer Prozesse im Ergebnis ein vollständiger Wechsel von der Spender- zur Empfängerhämatopoese stattfinde. Damit werde der Begriff „myeloablativ“ in der Fallpauschale 11.02 aber systemwidrig vom Ergebnis her definiert. Der Begriff „myeloablativ“ sei in der medizinischen Fachwelt immer auf das Konditionierungsprogramm bezogen worden und berücksichtige die mit der myeloablativen Konditionierung einhergehenden kostenintensiven schweren Komplikationen. Komplikationen und entsprechende Kosten seien bei der nicht-myeloablativen Behandlung wesentlich geringer.

Mit Urteil vom 14. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen der Fallpauschale 11.02 seien erfüllt. Sowohl die vom beklagten Klinikum gewählte Operationsprozedur 5-411.1 als auch die Diagnoseziffer C92.0 unterfalle den Vorgaben der Fallpauschale. Aber auch die Textdefinition der Fallpauschale sei erfüllt, weil die von der Beklagten eingesetzte modifizierte Form der Konditionierung eine „myeloablative Therapie“ darstelle. Zwar werde eine dosisreduzierte Konditionierung durchgeführt, jedoch stelle die Fallpauschalendefinition nicht auf eine bestimmte Art und Weise der Konditionierung bzw. auf die Dosis ab. Soweit in Richtlinien oder in der Literatur die myeloablative Chemotherapie mit einer dosisintensiven Chemotherapie gleichgesetzt werde, spiegelt dies den seinerzeitigen wissenschaftlichen Diskussionsstand wieder, ohne dass bei der nach der Rechtsprechung gebotenen strikten Wortlautauslegung der

Fallpauschalendefinition dieser einer entsprechende Festlegung entnommen werden könne.

Gegen das ihr am 5. Februar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. März 2004 Berufung eingelegt.

Sie führt – unter Berufung auf ein weiteres Gutachten des Kompetenz Centrum Onkologie des MDK N.-Stadt vom 16. Februar 2004 – aus, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts beziehe sich das Wort „myeloablativ“ in der Textdefinition der Fallpauschale 11.02 auf die Art der Vorbehandlung. Das ergebe sich aus einem 1995 vom Bundesministerium für Gesundheit zur Kalkulation von Fallpauschalen und Sonderentgelten für die BPflV 1995 in Auftrag gegebenen Gutachten, denn hier sei der Begriff „myeloablativ“ eingeführt worden, um diese Art der Transplantationsbehandlungen von „nicht-myeloablativen“ Transplantationsverfahren abzugrenzen. Das entspreche auch der Definition, wie sie von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation 1997 veröffentlicht worden sei. Nicht-myeloablative Therapien hätten sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Fallpauschalen noch in klinischer Prüfung befunden und seien deshalb nicht in die Fallpauschalenregelung aufgenommen worden. Es gebe zahlreiche, inhaltlich absolut übereinstimmende Definitionen des Begriffs „myeloablative Therapie“ von Experten und Institutionen, die belegten, dass es sich um einen feststehenden Begriff der medizinischen Wissenschaft handele. Diese Rechtsauffassung werde durch ein Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. Juni 2006 (L 1 KR 142/04) bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 117.126,02 € nebst Zinsen von 8 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das sozialgerichtliche Urteil. Auf die Textdefinition der Fallpauschale komme es schon gar nicht an, weil nach Ziffer 2 der Abrechnungsbestimmungen für die Zuordnung eines Patienten zu einer Fallpauschale der Operations- und Diagnoseschlüssel vorrangig sei, die beide unstreitig erfüllt seien. Entgegen der Auffassung der Klägerin gebe es keine gesicherte Begriffsbildung hinsichtlich des Wortes „myeloablativ“. Dieser sei vielmehr in der medizinischen Wissenschaft sehr umstritten. Insbesondere werde bestritten, dass aus dem Ergänzungsbericht VI zu entnehmen sei, dass die dosisreduzierte Konditionierung aus dem Anwendungsbereich der Fallpauschalendefinition herausfalle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg. Das Sozialgericht hat die gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Leistungsklage der Klägerin zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin den geltend gemachten Betrag in Höhe von 117.126,02 € nebst Zinsen zu zahlen.

Der Anspruch der Klägerin findet seinen Rechtsgrund im allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, wonach Leistungen, die auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, der Rückforderung unterliegen (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 28. September 2006, B 3 KR 20/05 R m.w.N.). Die vertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind mit der Änderung des § 69 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I, 2626) seit dem 1. Januar 2000 ausdrücklich dem öffentlichen Recht zugeordnet.

Die Klägerin hat, als sie der Beklagten die geltend gemachten Kosten der Fallpauschale 11.02 – unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Nachprüfung und damit ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – überwies, eine Leistung ohne Rechtsgrund erbracht, denn die Voraussetzungen für eine Vergütung der Fallpauschale 11.02 waren nicht gegeben.

Der Vergütungsanspruch der Beklagten richtet sich nach den auf der Grundlage des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) und der BPflV getroffenen vertraglichen Vereinbarungen (vgl. hierzu BSG SozR 4-5565 § 14 Nr. 2). § 11 Abs. 1 BPflV – in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung – bestimmt, dass mit den Fallpauschalen die allgemeinen Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet werden, für den ein Entgelt in den Entgeltkatalogen nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 oder § 16 Abs. 2 bestimmt ist. Der als Anlage zur BPflV bekannt gemachte „Bundesweite Fallpauschalenkatalog“ für Krankenhäuser in der hier maßgeblichen Fassung der 5. Änderungsverordnung zur BPflV vom 9. Dezember 1997 (BGBl. I, S. 2874) enthält zu der hier streitigen Fallpauschale 11.02 folgende Beschreibung:

OPS 301: 5-411.1, 8-805.1, 8-805.3; ICD 10-SGB-V: C92 (u.a.); Fallpauschalendefinition: Lympho- und myeloproliferative Erkrankungen, sonstige schwerwiegende Defekte des lympho-hämatopoetischen Systems, maligne Neoplasien von Knochen oder Weichteilen; Myeloablative Therapie mit Transplantation allogen-verwandter, HLA-identischer hämatopoetischer Stammzellen ab Konditionierungsphase (einschließlich Organbeschaffung), Erwachsene.

Nach Nr. 2 der Abrechnungsbestimmungen zum Fallpauschalen-Katalog ist maßgeblich für die Zuordnung eines Patienten zu einer Fallpauschale und damit für deren Abrechenbarkeit die im Entgeltkatalog ausgewiesene Leistung i.V.m. der genannten Hauptdiagnose für den Krankenhausaufenthalt oder einer entsprechenden Diagnose. Dabei gilt folgende Rangfolge der Definitionen:

a) der Operationenschlüssel nach dem OPS-301 (Spalte 4);
b) der Diagnosenschlüssel nach der ICD (Spalte 3); dieser grenzt die Fallpauschalen ergänzend zu Spalte 4 näher ab; die Fallpauschale ist auch bei „entsprechenden“ Diagnosen abzurechnen, wenn die erbrachte Leistung nach Art und Aufwand der Leistung entspricht, die der Fallpauschalendefinition zugrunde liegt;
c) die Textdefinition (Spalte 2); sie ist maßgeblich, soweit eine nähere Definition der Fallpauschalen mit den Schlüsseln nach Spalte 3 und 4 nicht dargestellt werden kann und somit nur aus der Textfassung hervorgeht.

Vorliegend muss für die Zuordnung des Patienten M. zur Fallpauschale 11.02 auf die Textdefinition zurückgegriffen werden. Denn der OPS-301 mit der Nr 5-411.1 (Knochenmarktransplantation, allogen, HLA-identisch) entspricht zwar der Leistungsbeschreibung, der OPS 5-411.1 findet sich jedoch auch in der Fallpauschale 11.05 und erlaubt daher allein keine Zuordnung zu einer bestimmten Fallpauschale. Die ergänzende Heranziehung der maßgeblichen Diagnose mit der ICD-10-Nr. C92.0 (akute myeloische Leukämie) führt nicht weiter, weil diese Diagnose ebenfalls bei der Fallpauschale 11.05 auftaucht.

Über diesen formalen Aspekt hinaus ist bei den Fallpauschalen der Gruppe 11 die Textdefinition für die Zuordnung zu einer Fallpauschale aber auch deshalb unverzichtbar, weil die eigentliche Leistung im Sinne von Nr. 2 c) der Abrechungsbestimmungen nur aus der Textfassung hervorgeht. Denn weder durch die Definition des OPS 5-411.1 noch durch die Diagnose C92.0 wird das komplexe Geschehen, welches für die Abrechnung der Fallpauschale vorausgesetzt wird, hinreichend abgebildet. Die Textbeschreibung setzt nämlich nicht nur voraus, dass es sich (im Unterschied zu den Fallpauschalen 11.04 bis 11.06) um die Behandlung eines Erwachsenen handelt, sondern enthält mit den Definitionsteilen „myeloablative Therapie“ und „ab Konditionierungsphase (einschließlich Organbeschaffung“) weitere, aus dem OPS und der Diagnose nicht herzuleitende inhaltliche Anforderungen.

Die Voraussetzungen der Textdefinition sind nicht erfüllt. Bei dem Versicherten fand keine „myeloablative Therapie“ im Sinne der Fallpauschale 11.02 statt.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind die Vergütungsregelungen des Fallpauschalen-Katalogs streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben. Denn eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung zahlreicher Behandlungsfälle vorgesehen ist, kann nur so ihren Zweck erfüllen. Insbesondere bei Fallpauschalen kommt es auf den Wortlaut, ergänzend auch auf den systematischen Zusammenhang an, Bewertungen und Bewertungsrelationen haben dabei außer Betracht zu bleiben. Stellt sich heraus, dass es bei Anwendung der Fallpauschalen zu Bewertungsunstimmigkeiten oder sonstigen Ungereimtheiten kommt, ist es Aufgabe der Vertragspartner, die nunmehr dafür zuständig sind, dies durch Weiterentwicklung der Fallpauschalen- und Sonderentgeltkataloge und der Abrechnungsbestimmungen zu beheben (BSG SozR 4-5565 § 14 Nr. 2 m.w.N.).

Die von der Beklagten durchgeführte Konditionierung war keine myeloablative Therapie im Sinne der Fallpauschale 11.02. Eine myeloablative Wirkung im klassischen Verständnis einer Vorbehandlung, bei der der Patient ohne anschließende Blutstammzelltransplantation voraussichtlich sterben würde, wurde damit zur Überzeugung des Senats nicht angestrebt. Denn die Konditionierung mit Busulfan erfolgte statt mit der in der klinischen Praxis üblichen Dosierung von 16 mg/kg mit einer auf 8 mg/kg herabgesetzten Dosis, mit der eine weitestgehende Zerstörung des blutbildenden Systems in der Regel nicht erreicht wird. Das wird außer durch die Ausführungen von Prof. Dr. HL. in seinen MDK-Gutachten u.a. vom 18. Februar 2002 auch durch die Ausführungen von Slavin (Blood, Volume 91/1998, No. 3, 756-763) deutlich, der die Behandlung mit der so reduzierten Dosis ausdrücklich als „non-myeloablative“ bezeichnet hat. Das zusätzlich eingesetzte Medikament Fludarabin hatte lediglich eine das Immunsystem unterdrückende Wirkung.

Die dosisreduzierte Vorbehandlung mit der anschließenden Stammzelltransplantation stellt entgegen der Auffassung der Beklagten keine myeloablative Therapie im Sinne der Fallpauschalendefinition dar. Ihrer Auffassung, unter den Begriff der Myeloablation könne auch eine Vorgehensweise gefasst werden, bei der (erst) das Endziel der Behandlung ein vollständiger Wechsel der Blutbildung weg von der körpereigenen Hämatopoese hin zu dem Spendertransplantat sei, folgt der Senat nicht (ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. Juni 2006, L 1 KR 142/04).

Unter einer myeloablativen Therapie ist im Anschluss an die „Richtlinien zur Transplantation peripherer Blutstammzellen“ der Bundesärztekammer, Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 23, 6. Juni 1997, A 1584, A 1591, eine Zytostatika- und/oder Strahlentherapie zu verstehen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine irreversible Zerstörung der Blutbildung zur Folge hat, die der Patient ohne Transfusion hämatopoetischer Stammzellen nicht überleben würde. Dieses Begriffsverständnis liegt der Fallpauschale 11.02 zugrunde, wie sich aus dem Ergänzungsbericht VI „Fallpauschalen für Leistungen der Transplantationsmedizin einschließlich der Ableitung von Sonderentgelten gemäß 3. Änderungsverordnung“ vom November 1995 ergibt. Denn aus diesem im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erstellten Bericht erschließt sich, dass bei Transplantationen zwischen einer „myeloablativen Vorbehandlung“ und einer Vorbehandlung mit Hochdosis, also einer nicht-myeloablativen Therapie, zu unterscheiden ist. Zur Hochdosistherapie wird in dem Ergänzungsbericht nämlich ausgeführt, dass diese „zwar zunächst in die Erhebungen einbezogen und kalkuliert, jedoch bei der Ableitung von Empfehlungen wegen vorgebrachter Bedenken zum Stand dieses Verfahrens zunächst ausgeklammert“ wurden. Diesem Bericht ist für die Auslegung der Fallpauschalen erhebliche Bedeutung zuzumessen, weil die dort vorgenommene Klassifikation und Beschreibung der Fallpauschalen (Anlage 1) mit dem anschließend erlassenen bundesweiten Fallpauschalenkatalog wortgleich ist.

Dem Einwand der Beklagten, aus dieser Publikation lasse sich nur herleiten, dass die Hochdosistherapie mit Transplantation autologer Stammzellen ausgeklammert wurde, wohingegen die allogene Transplantation fremder Zellen nicht näher diskutiert worden sei, weil eben jede allogene Transplantation myeloablativ sei, ist nicht zu folgen. Die Beklagte unterstellt damit, dass ihre Auslegung des Begriffs myeloablativ auch dem Ergänzungsbericht zugrunde liegt. Der Ergänzungsbericht unterscheidet aber ausdrücklich zwischen der myeloablativen Vorbehandlung (bei den allogenen und autologen Transplantationen) einerseits und der Hochdosisbehandlung (bei der autologen Transplantation) andererseits, was überflüssig gewesen wäre, wenn bei der Abfassung des Ergänzungsberichts auch eine Hochdosisbehandlung als myeloablative Behandlung angesehen worden wäre. Der Begriff der myeloablativen Therapie kann sich auch deshalb nur auf die von einer Stammzelltransplantation gefolgte myeloablative Chemo- und Radiotherapie beziehen, weil bei Redaktion des Fallpauschalenkatalogs nur diese Behandlungsmethode in der klinischen Praxis verbreitet war. Die Stammzelltransplantation nach dosisreduzierter Konditionierung stellt demgegenüber eine neue Behandlungsmethode dar, die erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Eingang in klinische Studien gefunden und sich aufgrund der Forschungen und Veröffentlichungen von Slavin (a.a.O.) verbreitet hat. Davon zu unterscheiden ist der in den medizinischen Fachkreisen bei Abfassung der Fallpauschale 11.02 gebräuchliche Wortsinn des Begriffs myeloablativ, wie er sich insbesondere aus der bereits angesprochenen Richtlinie des wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ergibt; denn diese Richtlinien, die unter Mitwirkung eines kompetenten Gremiums von Onko- und Hämatologen aus verschiedenen medizinischen Einrichtungen und unter Auswertung von Fachliteratur aus den Jahren 1994 bis 1996 zu Stande gekommen sind, geben (unabhängig von ihrem konkreten Veröffentlichungsdatum) den Stand der Praxis bei Verabschiedung der Fallpauschale wieder (hierzu ausführlich SG Dresden, Urteil vom 5. August 2004, S 18 KR 468/01, veröffentlicht in juris).

Soweit die Beklagte dagegen weiter einwendet, dass es Diagnosen gebe, die unstreitig von den Fallpauschalen der Gruppe 11 erfasst würden, obwohl hier von vorneherein keine myeloablative Konditionierung durchgeführt werden könne, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es handelt sich hierbei um Ausnahmefälle, bei denen schwere Einschränkungen der Hämatopoese und/oder des Immunsystems vorliegen. Auch in diesen Fällen ist aber als Voraussetzung für die Fallpauschalenvergütung grundsätzlich eine myeloablative Behandlung zufordern, allerdings mit dem Unterschied, dass hier wegen der schweren Einschränkung der Hämatopoese und/oder des Immunsystems erheblich niedrigere Medikamentendosen verabreicht werden können (vgl. die „Empfehlungen des Kompetenz Centrums Onkologie und der Arbeitsgruppe Onkologie zur Sozialmedizinischen Begutachtung bei Anwendung der Fallpauschalen für Hochdosischemotherapie und Stammzelltransplantation“, S. 13).

Angesichts des ursprünglichen Bedeutungsgehalts des Begriffs der myeloablativen Therapie ist es ohne Belang, ob sich durch das Aufkommen der von der Beklagten angewandten Behandlungsmethode der Sprachgebrauch im Lauf der Zeit verändert und nunmehr in den medizinischen Fachkreisen auch dosisreduzierte Behandlungsmethoden als myeloablativ bezeichnet werden. Heranzuziehen ist im Rahmen der historisch-genetischen Auslegung von Tarif- und Regelwerken grundsätzlich die ursprüngliche Bedeutung, um den vom Wortlaut eines Tatbestands umfassten Regelungsgehalt zu bestimmen. Bei späteren Änderungen des Sprachgebrauchs darf der Regelung kein neuer Wortsinn untergeschoben und so der Regelungsgegenstand ausgewechselt werden. Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach Normen stets in dem Sinne anzuwenden sind, der ihrem Wortlaut im Zeitpunkt der Normanwendung zukommt, sondern maßgeblich ist, ob bei einem geänderten Wortsinn dieser noch dem Gesetzeszweck entspricht (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl., S. 330, 332). Es ist deshalb im Einzelfall zu prüfen, ob eine Regelung einen offenen Rechtsbegriff enthält, der nach dem Willen des Normgebers auch spätere Entwicklungen tatbestandlich erfassen soll, ob er also die spätere Entwicklung, wenn sie vorhersehbar gewesen wäre, mit in den Regelungsgehalt einbezogen hätte. Dies setzt in der Regel voraus, dass der Normgeber bereits bei Erlass der Vorschrift die begriffliche Breite des Tatbestands gekannt hat und sich der Unterschiedlichkeit der hiervon erfassten Sachverhalte bewusst war (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Juli 1969, III ZR 235/65 = BGHZ 52, 259, 262).

Eine offene Bedeutung im o.g. Sinne kommt der Textdefinition der Fallpauschale nicht zu. Mit der Definition einer Fallpauschale wird deren Wortlaut zum Rechtsbegriff. Dessen normative Bedeutung bleibt durch spätere Änderungen des Wortgebrauchs grundsätzlich unberührt und lässt lediglich Raum für die Prüfung, ob spätere tatsächliche Entwicklungen in der klinischen Praxis von dem der Fallpauschale zu Grunde gelegten Begriff in den Grenzen seines Wortsinnes mit umfasst sein sollen. Schon wegen des Zwecks der Fallpauschalendefinition, in vereinfachter Form die Krankenhausbehandlungen zu beschreiben, auf welche die der Pauschale zugeordnete Bewertungsrelation anzuwenden ist und die deshalb auch in die Kalkulation der Fallpauschalen eingeflossen sind, ist die Leistungsbeschreibung hinsichtlich der darin unter Bezug genommenen Behandlungen immer als statisch aufzufassen. Ändern sich im Laufe der Zeit die Modalitäten einer durch die Fallpauschale definierten Behandlung, so dass die ursprünglich zu Grunde gelegten Bewertungsrelationen nicht mehr als angemessen erscheinen, so können sie von den Vertragspartnern gegebenenfalls im Verfahren nach § 15 BPflV angepasst werden. Es ist dagegen nicht statthaft, andere, neue Behandlungsmethoden in den Anwendungsbereich einer Fallpauschale einzubeziehen, die allenfalls semantisch dem Wortlaut der Fallpauschalendefinition zugeschrieben werden können (vgl. zum ganzen SG Dresden, a.a.O.)

Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 61 Satz 2 SGB V i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil vom 23. März 2006, B 3 KR 6/05 R = SGb 2006, 753) besteht jedenfalls in den Verfahren nach § 197 a SGG – also insbesondere in den sog. Leistungserbringerstreitigkeiten – ein Anspruch auf Prozesszinsen ab dem Tag der Rechtshängigkeit, die im sozialgerichtlichen Verfahren mit dem Tag des Klageeingangs beginnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Die von der Klägerin erstinstanzlich erklärte teilweise Klagerücknahme ist im Verhältnis zum Gesamtstreitwert zu vernachlässigen und rechtfertigt keine Quotelung.

Die Streitwertfestsetzung folgt der bezifferten Hauptforderung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich nicht um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

 

Die Veröffentlichung des Urteils erfolgt nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main. Eine Nutzung dieses Urteils von Sozialversicherung-kompetent.de zur gewerblichen Nutzung ist untersagt.

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