Landessozialgericht Hessen 17.12.2007, L 1 KR 62/04
- Aktenzeichen: L 1 KR 62/04
- Spruchkörper: 1. Senat
- Instanzenaktenzeichen: S 4 KR 1114/99
- Instanzgericht: Sozialgericht Wiesbaden
- Gericht: Hessisches Landessozialgericht
- Entscheidungstyp: Urteil
- Entscheidungsdatum: 17.12.2007
- Erfassungsdatum: 12.03.2008
- Normen: SGG § 70; SGB V § 108 Nr. 3; SGB V § 109 Abs. 3; SGB V § 107 Abs. 1; HKHG § 17
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die beklagten Verbände der Krankenkassen verpflichtet sind bzw. verpflichtet gewesen sind, mit der Klägerin einen Versorgungsvertrag zu schließen.
Die Klägerin betrieb in der Zeit vom 23. November 1998 bis zum 21. Juli 2002 in D. eine Fachklinik für onkologische Akutbehandlungen. Das Konzept der Klinik sah eine umfassende Diagnostik und einen ganzheitlichen Behandlungsansatz vor, in dem sowohl konventionelle onkologische Therapieverfahren vorgesehen waren als auch komplementär-onkologische Therapieverfahren, unter anderem sämtliche Verfahren der klassischen Naturheilkunde, biologische Krebstherapien, Misteltherapie, Hyperthermieverfahren (Überwärmungstherapie), Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie nach von Ardenne, psychoonkologische Verfahren.
Das Regierungspräsidium Darmstadt hatte der Klägerin mit Bescheid vom 23. März 1999 die Gewerbeerlaubnis zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt erteilt. Die Klägerin rechnete mit ihren Patienten indes nicht privat ab, sondern übersandte Kostenübernahmeanträge an die Mitglieder der Beklagten. Die Kosten wurden von den Krankenkassen - abgesehen von Einzelfällen - nicht übernommen, da die Klägerin zur Versorgung von Kassenpatienten nicht zugelassen war. Wegen Beitrags- und Steuerrückständen stellten die AOK Hessen, die Beklagte zu 1., und das Finanzamt A-Stadt in der Folgezeit einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin. Dieser Antrag wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Friedberg vom 23. Januar 2002 (Az 65 IN 94/01) mangels Masse abgewiesen, die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde durch Beschluss des Landgerichts Gießen vom 11. November 2002 zurückgewiesen (Az 7 T 147/02) und die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 10. April 2003 (Az IX ZB 586/02) als unzulässig verworfen. Die Auflösung der Klägerin mit Rechtskraft des Beschlusses des Insolvenzgerichtes (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG) wurde mit Datum vom 16. Juni 2003 ins Handelsregister eingetragen (Handelsregisterauszug des Amtsgerichts F. Nr. xxxxx).
Die Klägerin befindet sich seitdem im Stadium der Liquidation. Den Betrieb hatte sie schon ein Jahr vor der Auflösung eingestellt. Im März 1999 hatte die Klägerin einen Antrag bei dem zuständigen Hessischen Sozialministerium, der Beigeladenen, auf Aufnahme in den Krankenhausplan des Landes Hessen gestellt. Der Antrag war zunächst auf eine Kapazität von 100 Betten internistischer Onkologie und 60 Betten pädiatrischer Onkologie sowie 20 tagesklinischen Plätzen ausgerichtet und wurde von der Klägerin später auf 60 internistisch-onkologische Betten und 15 tagesklinische onkologische Plätze als Modellprojekt reduziert.
Der Beigeladene lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Juni 2002 mit der Begründung ab, zum einen bestünden wegen der Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin. Zum anderen bestünden Zweifel an ihrer medizinischen Leistungsfähigkeit, da ein Teil der beabsichtigten Therapieformen (z. B. die Hyperthermie) nicht zu den leistungsrechtlich anerkannten Therapieformen gehöre. Schließlich bestehe auch kein Bedarf für die Zulassung der Klägerin, da die derzeitigen Kapazitäten für die Versorgung von onkologisch erkrankten Erwachsenen in Hessen ausreichend seien.
Die gegen den Bescheid erhobene Klage vor dem Verwaltungsgericht Gießen nahm die Klägerin in einem Erörterungstermin am 5. November 2004 zurück. Zeitgleich mit ihrem Antrag auf Aufnahme in den Krankenhausplan begehrte die Klägerin den Abschluss eines Versorgungsvertrages mit den Beklagten. Diese lehnten den entsprechenden Antrag der Klägerin vom 25. Februar 1999 nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen Hessen (MDK) mit Bescheid vom 1. Juni 1999 ab; die Ablehnung wurde von dem Beigeladenen mit Schreiben vom 13. Juli 1999 genehmigt. Den Widerspruch der Klägerin wiesen die Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1999 mit der Begründung zurück, die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen für den Abschluss eines Versorgungsvertrages gemäß § 108 Nr. 3 in Verbindung mit § 109 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V, da sie nicht die Gewähr für eine leistungsfähige Krankenhausbehandlung biete und eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung auch ohne sie sichergestellt sei.
Das Konzept der stationären Behandlung von Tumorpatienten widerspreche der aktuellen Entwicklung in der modernen Onkologie, die die vorrangige Verlagerung in die ambulante Behandlung und Betreuung u. a. durch onkologische Schwerpunktpraxen für sinnvoll erachte. Insbesondere bestehe kein Bedarf an stationären Einrichtungen zur Durchführung von Standarddiagnostik. Die Wirksamkeit der im Konzept der Klinik dargestellten komplementär-onkologischen Therapieverfahren als alternative Behandlungsmethoden sei zudem nach klinisch-wissenschaftlichen Kriterien nicht belegt. Speziell die im Konzept angegebene "Sauerstoffmehrschritttherapie nach von Ardenne" sei von den zuständigen Gremien nicht als wirksam anerkannt. Hyperthermiebehandlungen sollten nach Expertenmeinung und dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Literatur ausschließlich im Rahmen von klinischen Studien durchgeführt werden; für diese Behandlung bestehe daher keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse. Darüber hinaus sei das Angebot der Klägerin nicht bedarfsgerecht im Sinne des § 109 SGB V, da der Bedarf an stationären onkologischen Einrichtungen in Hessen nach der dem MDK vorliegenden Information ausreichend sei und nicht zu Versorgungsmängeln geführt habe. Die Klägerin liege maximal 40 Minuten Fahrzeit von den Städten D., E., F., G., H. und I. entfernt. In den genannten Städten seien bereits spezialisierte onkologische Zentren an Universitäts- und anderen Kliniken sowie ein Netz von Schwerpunktpraxen und Tageskliniken seit längerer Zeit etabliert. Sollte dennoch eine Versorgungslücke vorliegen, sei der von der Klägerin bereits an die zuständige Planungsbehörde des Landes Hessen gestellte Antrag auf Aufnahme in den Krankenhausplan als vorrangig zu beurteilen, denn der Vertragsabschluss gemäß § 109 SGB V sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich als subsidiär einzustufen.
Die Klägerin hat am 11. November 1999 Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben und geltend gemacht, die Sachverhaltsermittlung der Beklagten sei hinsichtlich der Feststellung des Bedarfs onkologischer Kliniken in Hessen unzureichend. Ihren Antrag hat sie dabei während des Klageverfahrens auf eine Kapazität von 50 Betten Innere Medizin/Onkologie beschränkt. Das Sozialgericht hat das Land Hessen, vertreten durch das Hessische Sozialministerium, zum Verfahren beigeladen. Die Beklagten haben im Klageverfahren Ergebnisniederschriften über Sitzungen des Landeskrankenhausausschusses vom 13. Juni 1995 (Sachstandsbericht Onkologie) sowie vom 25. Oktober 1999 mit einer Liste von niedergelassenen onkologisch verantwortlichen Ärzten vorgelegt sowie einer Liste der ihr in Hessen und bundesweit bekannten Kliniken, die komplementäre Verfahren anbieten.
Während des Klageverfahrens ist ein Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 23. November 2001 rechtskräftig abgelehnt worden. Ein außergerichtlich durchgeführtes Mediationsverfahren ist gescheitert.
Das Sozialgericht Wiesbaden hat die Klage der Klägerin mit Urteil vom 13. November 2003 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die von der Klägerin begehrte Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss eines Versorgungsvertrages sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Da die Auflösung der Klägerin an die Rechtskraft der gerichtlichen Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse geknüpft sei, hätten die Gesellschafter nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht die Befugnis, die aufgelöste Gesellschaft ohne Neugründung in eine werbende Gesellschaft umzuwandeln. Die Klägerin, die sich im Stadium der Liquidation befinde, habe somit kein berechtigtes Interesse auf Abschluss eines Versorgungsvertrages.
Der Hilfsantrag der Klägerin auf Feststellung, dass die Ablehnung eines Versorgungsvertrages durch die Beklagte in der Vergangenheit rechtswidrig gewesen sei, sei unbegründet. Die Klägerin sei für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung der Versicherten nicht erforderlich. Es sei von einem Vorrang zugelassener Plankrankenhäuser und Universitätskliniken auszugehen. Grundsätzlich erfolge die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung im Wege des Landeskrankenhausplans. Die vom Land im Krankenhausplan festgelegten Ziele dürften nicht durch den Abschluss von Versorgungsverträgen unterlaufen werden.
Gegen das ihr am 19. März 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. April 2004 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und vorgetragen, der Hauptantrag, der auf Abschluss eines Versorgungsvertrages gerichtet sei, sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichts zulässig. U. a. das legitime Interesse der Gläubiger an der Sanierung der Gesellschaft, um mit den Forderungen nicht auszufallen, spreche dafür, sie weiterhin als werbende Gesellschaft zuzulassen. Im Übrigen habe das Sozialgericht die Erforderlichkeit der Klägerin für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung unzutreffend beurteilt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seien die Sozialgerichte verpflichtet, den Bedarf an Krankenhäusern eigenständig zu ermitteln. Die für den hier maßgeblichen Zeitraum ab Aufnahme des Klinikbetriebes zum 23. November 1998 geltenden Planungen des Landes Hessen seien somit daraufhin zu überprüfen, welcher Bedarf dort für die Bereiche Onkologie und komplementäre Medizin angenommen worden sei und welche Einrichtungen in Hessen nach Klinik- und Bettenzahl diesen Bedarf bereits abgedeckt hätten bzw. abdecken würden, so dass die Klinik der Klägerin gegenüber diesen Planbetten nachrangig sei bzw. in der Vergangenheit gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 13. November 2003 aufzuheben und
- 1. die Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juni 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1999 zu verpflichten, mit der Klägerin einen Versorgungsvertrag gemäß den §§ 108 , 109 SGB V abzuschließen,
- hilfsweise, die Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin vom 25. Februar 1999 nach Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
- 2. festzustellen, dass die Ablehnung des Abschlusses eines Versorgungsvertrages für die Zeit ab dem 23. November 1998 durch Bescheid vom 1. Juni 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1999 rechtswidrig gewesen ist,
- 3. hilfsweise, Beweis zu erheben über den Bedarf an Betten für eine stationäre onkologische Akutbehandlung in der Zeit ab dem 25. Februar 1999.
Die Beklagten beantragen,
- die Berufung zurückzuweisen.
Sie tragen vor, die erstinstanzliche Entscheidung sei zutreffend ergangen. Weitere Ermittlungen zur Bedarfslage seien nicht erforderlich. Der Abschluss eines Versorgungsvertrages sei nachrangig gegenüber der Aufnahme eines Krankenhauses in den Krankenhausplan.
Da vorliegend die Aufnahme in den Krankenhausplan wegen Nichtbestehens eines Bedarfs von den zuständigen Stellen abgelehnt worden sei, sei die Klägerin nunmehr zur Darlegung darüber verpflichtet, dass dennoch ein solcher Bedarf für ihre Klinik bestehe beziehungsweise bestanden habe. Im Übrigen habe ein Versorgungsvertrag mit der Klägerin auch deswegen nicht geschlossen werden können, weil die Klägerin nicht leistungsfähig gewesen sei. Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (Band I, II, III), auf die Gerichtsakten des VG Gießen (8 E 2522/02; 8 E 2520/02), auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die von dem Beigeladenen vorgelegten Vorgänge (Leistungsreport der hessischen Plankrankenhäuser 1990 - 2003; Leistungsdaten der Plankrankenhäuser im Versorgungsgebiet Frankfurt - Offenbach - Meldungen zur Krankenhausstatistik in den Jahren 1990 bis 2005; Hämatologie und internistische Onkologie - Meldungen zur Krankenhausstatistik in den Jahren 2003 bis 2006; Überprüfung der Dritten Fortschreibung des Hessischen Krankenhausplans) Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden sind.