Der Wegeunfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung

Als Versicherungsfälle der Gesetzlichen Unfallversicherung gelten der Arbeitsunfall und die Berufskrankheit. Eine besondere Art des Arbeitsunfalls ist der Wegeunfall. Die Rechtsgrundlage des Wegeunfalls ist § 8 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Damit wird nicht nur die eigentliche berufliche Tätigkeit vom Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung erfasst, sondern auch die Wege zur Arbeitsstätte und zurück.

Durch die Gesetzliche Unfallversicherung ist nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit versichert.

Da die gesetzlichen Vorschriften selbst viele Fallkonstellationen, welche in der Praxis vorkommen, nicht regeln, wurden viele Fragen im Zusammenhang mit den Wegeunfällen durch die Rechtsprechung beantwortet.

Beginn und Ende des Arbeitsweges

Ein Unfallversicherungsschutz nach dem SGB VII kann nur für die Wege bestehen, auf denen sich der Unfallversicherte entweder zum Ort der versicherten Tätigkeit oder vom Ort der versicherten Tätigkeit fortbewegt. Die gesetzliche Vorschrift beschreibt als End- bzw. Startpunkt lediglich „den Ort der Tätigkeit“. An welchem Ort der Arbeitsweg beginnt (bei Wegen zum Ort der Tätigkeit) bzw. endet (bei Wegen vom Ort der Tätigkeit) wird gesetzlich nicht geregelt.

Gewöhnlich wird der Arbeitsweg bei der Wohnung des Unfallversicherten beginnen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts akzeptiert auch den Weg von bzw. zu einem anderen Ort. Die ist dann der Fall, wenn dieser Weg wesentlich vom Vorhaben des Unfallversicherten dahin geprägt ist, von diesem den Ort der Tätigkeit aufzusuchen oder zu ihm zurückzukehren. Sind rein persönliche Gründe für einen anderen Ausgangs- bzw. Zielpunkt bestimmend, scheidet dieser aus. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Ort für Freizeitbeschäftigungen aufgesucht wird.

Ein weiterer/dritter Ort für den Anfangs- und Endpunkt des Arbeitsweges kann sein, wenn dieser Ort in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Entscheidend sind allerdings immer die Motive für die Wahl des Anfangs- bzw. Endpunktes.

Der Arbeitsweg beginnt nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29.02.1968 (USK 6842) mit dem Durchschreiten der Außenhaustüre des Gebäudes, welches der Unfallversicherte bewohnt bzw. das als Anfang- und Endpunkt des Arbeitsweges anerkannt wird. Bei einem Mehrfamilienhaus, bei dem zwar die Wohnungstüre, aber noch nicht die Außenhaustüre durchschritten wurde, besteht damit noch kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz (s. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.10.1976, USK 76146). Der häusliche Bereich ist auch dann nicht unfallversichert, wenn ein Beschäftigter bereits den Arbeitsweg begonnen – also die Außenhaustüre durchschritten – hat und aufgrund dienstlicher Gründe (weil z. B. betriebliche Dokumente vergessen wurden) nochmals in den häuslichen Bereich zurückkehrt. Auch in diesem Fall ist der häusliche Bereich nicht unfallversichert, wie das Bundessozialgericht mit Urteil vom 02.11.2000 (Az. B 2 U 39/99 R) feststellte.

Durchschreitet der Unfallversicherte die Außenhaustüre und begibt sich auf den Weg zur Garage, ist dieser Weg bereits unfallversichert (Urteil Bundessozialgericht vom 27.10.1976, USK 76189). Dies gilt auch dann, wenn die Garage in baulicher Hinsicht mit dem Wohngebäude verbunden ist, aber über keinen direkten Zugang vom Wohngebäude verfügt. Eine Besonderheit gilt allerdings, wenn die Garage mit dem Wohngebäude über eine Verbindungstür verbunden ist. Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 31.05.1988 (USK 8891) ist in diesem Fall die Garage noch ein gesetzlich nicht versicherter Bereich und der Unfallversicherungsschutz beginnt erst mit dem Verlassen der Garage.

Unfallversicherter Weg

Grundsätzlich wird nur der direkte Weg zum und vom Ort der versicherten Tätigkeit vom Unfallversicherungsschutz erfasst. Ohne Bedeutung für den Unfallversicherungsschutz ist die Wahl des Verkehrsmittels. Es kann also ein öffentliches Verkehrsmittel, ein Taxi, das eigene Kraftfahrzeug (Auto, Motorrad), das Fahrrad genutzt oder der Arbeitsweg zu Fuß zurückgelegt werden oder es kann eine Fahrgemeinschaft mit anderen Verkehrsteilnehmern gebildet werden.

Wird der direkte Weg entweder in räumlicher oder in zeitlicher Hinsicht verlassen, kann dies entweder zu einer vorübergehenden Unterbrechung oder zum vollständigen Entfall des Unfallversicherungsschutzes führen. Hinsichtlich der Unterbrechung muss auch noch unterschieden werden, ob die Unterbrechung vorwiegend aufgrund privater oder betrieblicher Interessen erfolgte.

Ein Unfallversicherungsschutz besteht nicht nur für einen Hin- und einen Rückweg zur bzw. von der Arbeitsstätte. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14.11.1984 (USK 84242) können auch täglich zwei Wege nach und vom Ort der Tätigkeit unfallversichert sein. Dies ist beispielsweise bei einer geteilten Arbeitszeit der Fall oder wenn eine Arbeitszeitregelung besteht, die eine mehrstündige Arbeitsunterbrechung erfordert.

Vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz werden nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.06.1988 (USK 88112) auch vorbereitende Handlungen – wie beispielsweise das morgendliche Schneeräumen – erfasst, sofern der Weg zu oder von der Arbeitsstätte ohne die Ausübung dieser Tätigkeit entweder nicht angetreten oder nicht fortgesetzt werden kann (s. hierzu auch: UV-Schutz auf Weg zurück zum Hoftor, Urteil Hessisches Landessozialgericht vom 02.02.2019, Az. L 3 U 108/15).

Unterbrechung des Versicherungsschutzes

Wird der direkte Arbeitsweg unterbrochen, weil private Besorgungen gemacht werden, besteht während der Unterbrechung kein Unfallversicherungsschutz. Dieser besteht erst wieder dann, wenn der ursprüngliche Arbeitsweg wieder erreicht/fortgesetzt wird. Wird der Arbeitsweg jedoch verlassen, um beispielsweise Besorgungen im betrieblichen Interesse zu erledigen (z. B. Kauf von Materialien für den Arbeitgeber), besteht der Unfallversicherungsschutz durchgehend und wird nicht unterbrochen.

Von einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes für den Arbeitsweg kann ausgegangen werden, wenn die Unterbrechung aufgrund der privaten Gründe zwei Stunden nicht überschreitet. Bei Fortsetzung des Arbeitsweges lebt der Unfallversicherungsschutz wieder auf (vgl. Urteil Bundessozialgericht vom 20.08.1987, USK 87118).

Bereits der Parkplatz eines Supermarktes zählt zum unversicherten Bereich. Mit Urteil vom 02.12.2008 hat das Bundessozialgericht (Az. B 2 U 17/07 R) entschieden, dass die Unterbrechung eines Arbeitsweges zum Einkauf von Äpfeln nicht unfallversichert ist; dies gilt auch dann, wenn die Äpfel während der Arbeitszeit gegessen werden sollen und damit dem Erhalt der Arbeitskraft dienen (s. hierzu: Apfeleinkauf nicht unfallversichert).

Wird der Arbeitsweg aufgrund eines Tankvorgangs unterbrochen, muss im Einzelfall geprüft werden, ob dieser gesetzlich unfallversichert ist. Wenn während des Arbeitsweges das Tanken unvorhergesehen erforderlich wird, damit das restliche Wegstück zurückgelegt werden kann, besteht ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Dies ist dann der Fall, wenn der Reservetank während der Fahrt beansprucht werden muss. In allen anderen Fällen besteht der Unfallversicherungsschutz während des Tankvorgangs nicht (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.08.1998, Az. B 2 U 29/97 R).

Von dieser ständen Rechtsprechung, dass der Tankvorgang ausnahmsweise gesetzlich unfallversichert ist, wenn der Endpunkt des Arbeitsweges nicht mehr erreicht werden kann, hält das Bundessozialgericht nicht mehr länger fest, wie in einem Urteil aus dem Jahr 2020 festgehalten wird. Mit Urteil vom 30.01.2020, Az. B 2 U 9/18 R wird ausgeführt, dass das Tanken örtlich und zeitlich nicht festgelegt ist und der Zeitpunkt des Tankens dem Versicherten überlassen ist. Damit gehört das verbrauchsbedingte Auftanken des Kraftfahrzeugs zur rein eigenwirtschaftlichen Risikosphäre des Versicherten, weshalb kein Unfallversicherungsschutz gegeben ist.

Entfall des Versicherungsschutzes

Wird der Arbeitsweg, der aufgrund einer privaten Verrichtung unterbrochen wird (z. B. für einen Einkauf, Besuch eines Fitnessstudios, Besuch einer Gaststätte) erst mit einer starken zeitlichen Verzögerung fortgesetzt, ist der Unfallversicherungsschutz vollständig entfallen. In diesem Fall fehlt es am inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Die zeitliche Verzögerung, welche zum Entfall des Unfallversicherungsschutzes führt, liegt vor, wenn der Arbeitsweg mehr als zwei Stunden unterbrochen wird.

Umwege

Der Unfallversicherungsschutz besteht nur für den direkten Weg zur und von der Arbeitsstätte. Dennoch können auch andere Wege als die kürzesten bzw. direktesten vom Unfallversicherungsschutz erfasst werden, wenn hierfür entsprechende Gründe vorliegen, dass diese gewählt/genommen werden.

Wird beispielsweise aufgrund der Verkehrsverhältnisse ein weiterer Weg gewählt, der jedoch zeitwirtschaftlicher oder auch qualitativer ist, ist auch dieser gesetzlich unfallversichert. Gleiches gilt, wenn der kürzeste bzw. direkte Weg nicht genommen wird, weil eine Fahrgemeinschaft gebildet wird oder weil auf dem Arbeitsweg auch das Kind in den Kindergarten/die Schule gefahren bzw. dort abgeholt wird.

Voraussetzung, dass für einen Umweg, welcher durch die Bildung einer Fahrgemeinschaft genommen werden muss, ein Unfallversicherungsschutz besteht ist, dass auch die mitfahrenden Personen gesetzlich unfallversichert sind.

Ein Umweg ist also dann gesetzlich unfallversichert, wenn dieser in Richtung der Arbeitsstätte führt, den direkten Weg nicht ganz erheblich verlängert und dieser aus eigenwirtschaftlichen Gründen gewählt wird.

Sofern kein Grund für einen Umweg vorliegt bzw. dieser ganz erheblich den direkten bzw. kürzesten Weg verlängert, besteht kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Der Unfallversicherungsschutz endet in diesen Fällen mit dem Beginn des Umweges und beginnt erst dann wieder, wenn der direkte Weg wieder erreicht wird.

Bei einem Umweg wird die allgemeine Richtung zum Ziel eingehalten. Dies gilt auch dann, wenn mit dem Umweg eine Verlängerung des Weges verbunden ist.

Abwege

Neben den Umwegen gibt es noch Abwege, welche für die Beurteilung eines Wegeunfalls maßgebend sind. Um einen Abweg handelt es sich, wenn der direkte bzw. kürzeste Weg zur/von der Arbeitsstätte aus eigenwirtschaftlichen Gründen verlassen wird.

Ein Abweg liegt auch dann vor, wenn ein Beschäftigter mit öffentlichen Verkehrsmitteln fährt und die Haltestelle, an der er aussteigen muss, aus persönlichen Gründen verpasst. Ab der Haltestelle bzw. dem Bahnhof, der hätte genommen werden müssen, liegt ein Abweg und damit kein Unfallversicherungsschutz vor. Diesbezüglich hat das Thüringer Landessozialgericht am 08.01.2018 (Az. L 1 U 900/17) ein Urteil gesprochen.

Bei einem Abweg wird die allgemeine Richtung zum Ziel verlassen.

Kein Entfall des Unfallversicherungsschutzes

Verkehrswidriges Verhalten

Verhält sich ein Beschäftigter auf dem Arbeitsweg, der grundsätzlich gesetzlich unfallversichert ist, verkehrswidrig, wird dadurch der Unfallversicherungsschutz nicht ausgeschlossen. In einem Klagefall erkannte das Landessozialgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 21.04.2008 (Az. L 8 U 110/06) einen Unfall als Wegeunfall im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB VII an, der sich aufgrund eines verkehrswidrigen Verhaltens des Unfallversicherten ereignete. Dieser hatte ein Überholmanöver gestartet und dabei einen tödlichen Unfall verursacht.

Einfluss von Alkohol/berauschenden Medikamenten

Ist der Einfluss von Alkohol die rechtlich wesentliche Ursache für einen Unfall, der sich auf dem Arbeitsweg ereignet, wird hierdurch der gesetzliche Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen. Durch die Rechtsprechung wurden Promillegrenzen entwickelt, wann bei welchem Fahrmittel von einer relativen und wann von einer absoluten Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden kann.

Bei einer relativen Fahruntüchtigkeit liegt die Beweislast beim Unfallversicherungsträger, sofern dieser der Auffassung ist, dass der Alkoholeinfluss die rechtlich wesentliche Ursache für den Wegeunfall war. Bei einer absoluten Fahruntüchtigkeit wird unterstellt, dass der Alkoholeinfluss die rechtlich wesentliche Ursache für den Wegeunfall war, da ab der festgelegten Promillegrenze das Fahrzeug nicht mehr sicher im Straßenverkehr bewegt werden kann.

Bei folgenden Verkehrsmitteln wird eine absolute Fahruntüchtigkeit angenommen:

  • Kraftfahrzeug: 1,1 Promille
  • Motorisierte Zweiräder: 1,1 Promille
  • Fahrrad: 1,6 Promille

Eine Promillegrenze für Fußgänger wurde bislang nicht festgelegt.

Näheres zu diesem Thema unter: Unfallversicherungsschutz und Rauschmittelgenuss

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.11.1985 (USK 85180) sind auch bei der Einnahme von berauschenden Medikamenten die vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätze für fahruntüchtige Kraftfahrer heranzuziehen.

Wegeunfall führt zum Leistungsausschluss bei GKV/GPV

Durch § 11 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) besteht auf Leistungen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls – der auch die Wegeunfälle beinhaltet – im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind. Der Leistungsausschluss gilt unabhängig davon, ob der Erkrankte bzw. Unfallverletzte als Mitglied oder im Rahmen der Familienversicherung nach § 10 SGB V krankenversichert ist.

Der Leistungsausschluss gilt auch für die Leistungen aus der Gesetzlichen bzw. Sozialen Pflegeversicherung. Sind von der Gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen aufgrund eines Wegeunfalls zu erbringen, haben diese Leistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Nr. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) Vorrang.

Leistungen bei Vorliegen eines Wegeunfalls

Ereignet sich ein Wegeunfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung, übernimmt der zuständige Unfallversicherungsträger die erforderlichen Leistungen entsprechend des Leistungskatalogs des SGB VII. Diese Leistungen reichen von der Kostenübernahme der Heilbehandlung über die Gewährung von Hilfsmitteln, Verletztengeld, Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zur Gewährung von Verletztenrenten/Unfallrenten. Sollte der Unfallversicherte aufgrund des Wegeunfalls versterben, können die Hinterbliebenen Sterbegeld, Überführungskosten und Hinterbliebenenrenten (sofern hierfür die Voraussetzungen vorliegen) erhalten.

Sachschäden, die aufgrund des Wegeunfalls entstehen, werden von der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht übernommen.

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