Gesetzlicher Unfallversicherungsschutz während Hilfeleistung bei Unglücksfall

Personen haben einen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz, wenn diese bei Unglücksfällen oder gemeiner Not oder Gefahr Hilfe leisten. Der Versicherungsschutz besteht auch, wenn bei Unglücksfällen ein anderer aus einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für seine Gesundheit gerettet wird. Rechtsgrundlage hierfür ist § 2 Abs. 1 Nr. 13a Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (kurz: SGB VII).

Das Bundesverfassungsgericht musste sich am 15.06.2010 mit einem Fall befassen, in dem einem Hilfeleistenden seitens des zuständigen Unfallversicherungsträgers das Vorliegen eines Arbeitsunfalls – eines Unfalls im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung – nicht anerkannt wurde. Die Entscheidung traf das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil, welches unter dem Aktenzeichen: B 2 U 12/09 R gesprochen und veröffentlicht wurde.

Der Unfallhergang

Der Unfall, über den das Bundessozialgericht entscheiden musste, ereignete sich bereits am 05.09.2004. An diesem Tag war ein sechsjähriges Mädchen mit seiner Mutter auf einem Spielplatz. Der Spielplatz grenzt an das Betriebsgelände eines Energieversorgungsunternehmens. Das Gelände des Energieversorgers ist komplett eingezäunt. An dem Unfalltag gelang das Mädchen hinter den Zaun und befand sich daher auf dem Gelände des Energieversorgers. Von dort konnte sich das Mädchen nicht mehr befreien. Auch die verbalen Anweisungen der Mutter blieben ohne Erfolg.

Ein damals vierzehnjähriger Junge, der sich ebenfalls auf dem Spielplatz befand, bot der Mutter an, über den Zaun zu klettern und das Mädchen zu befreien. Damit war die Mutter einverstanden. Der Junge kletterte daraufhin über den Zaun und brachte das Mädchen zurück zur Mutter auf den Spielplatz. Anschließend kletterte er selbst nochmals über den 1,70 Meter hohen Zaun um wieder auf den Spielplatz zurück zu gelangen. Dabei blieb er mit dem Mittelfinger an den Metallstäben des Zauns hängen und trennte sich diesen teilweise ab. Später musste der Finger im Krankenhaus amputiert werden.

Die zuständige Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII ab. Als Begründung wurde seitens des Unfallversicherungsträgers angeführt, dass – obwohl der Junge Hilfe leistete – keine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für das Kind bestanden habe. Gegen diese Entscheidung klagte der Verletzte und bekam sowohl in der ersten als auch in der zweiten sozialgerichtlichen Instanz Recht. Gegen die Entscheidung des zuständigen Landessozialgerichts – der zweiten sozialgerichtlichen Instanz – ging die Unfallkasse in Revision, sodass das Bundessozialgericht über den Fall zu entscheiden hatte.

Urteil Bundessozialgericht

Mit Urteil vom 15.06.2010 entschied das Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 2 U 12/09 R, dass der damals vierzehnjährige Junge einen Arbeitsunfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hatte und damit unfallversichert war. Die relevante Rechtsgrundlage hierfür ist § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII. Damit wurde das Entscheidungsergebnis der Vorinstanzen bestätigt und die Revision der beklagten Unfallkasse zurückgewiesen.

Da sich am Unfalltag das Mädchen trotz der Anleitung der Mutter nicht selbst befreien konnte, stieg der Junge über den Zaun um das Mädchen zu holen. Ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht diesbezüglich nicht nur dann, wenn eine gemeine Not, eine gemeine Gefahr oder für eine andere Person für deren Leib oder Leben eine erhebliche Gefahr vorliegt. Der Versicherungsschutz durch die Gesetzliche Unfallversicherung besteht bereits dann, wenn für ein anderes wichtiges Individualrechtsgut eine erhebliche Gefahr oder ein Schaden droht. In dem vorliegenden Fall war die zivil- und strafrechtlich und grundrechtlich geschützte Bewegungsfreiheit des Mädchens aufgehoben. Hätte sich der Junge nicht angeboten, über den Zaun zu klettern und das Mädchen zu befreien, hätte alternativ die Feuerwehr, Polizei oder eine ähnliche Organisation geholt werden müssen, um das sechsjährige Mädchen zu befreien. Diesbezüglich ist irrelevant, wie das Mädchen auf das Betriebsgelände gelangt war. Als Eintritt des Unglücks gilt der Zeitpunkt, an dem die Mutter ihre Tochter trotz verbaler Anleitung nicht befreien konnte. Zudem war die Hilfeleistung zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht beendet. Der Versicherungsschutz endete nicht mit Übergabe des Mädchens an die Mutter, sondern erst dann, als er seine Ausgangsposition – seine Privatsphäre – wieder erreicht hatte. Auch das Klettern zurück auf den Spielplatz gehörte zu der Hilfeleistung, die der Junge damals leistete.

Da auch alle weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen eines gesetzlichen Arbeitsunfalls vorlagen, wurde der Unfall vom 05.09.2004 eines damals vierzehnjährigen Jungen als Unfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt. Rechtsgrundlage ist § 2 Abs. 1 Nr. 13a SGB VII.

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