Pflegetätigkeit nicht umfassend unfallversichert

Mit Urteil vom 03.09.2010 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen unter dem Aktenzeichen L 4 U 87/09 entschieden, dass eine Pflegetätigkeit nicht umfassend unfallversichert ist. Wird eine Pflegetätigkeit unterbrochen, um im Haushalt anderweitige Hilfen zu leisten, welche nicht vom Pflegeversicherungsgesetz erfasst werden, besteht hierfür kein Versicherungsschutz durch die Gesetzliche Unfallversicherung.

Grundsätzlich sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VII – Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) gesetzlich unfallversichert. Vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz werden die Pflegetätigkeiten erfasst, welche dem Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität zuzuordnen sind. Darüber hinaus werden die hauswirtschaftlichen Pflegetätigkeiten, die überwiegend dem Pflegebedürftigen zugute kommen. Dies sind Pflegetätigkeiten aus dem Bereich der Mobilität und der Ernährung sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung.

Klage einer Pflegeperson

Geklagt hatte ein Produktionsarbeiter, der im Haushalt seiner Mutter am 31.08.2007 einen Unfall erlitten hat, als er ein lockeres Rollo wieder befestigten wollte. Die Mutter ist pflegebedürftig im Sinne der Sozialen Unfallversicherung und wurde unmittelbar vor dem Unfall von ihrem Sohn zum Einkaufen und in die Apotheke begleitet. Im Haushalt der Mutter hatte der Kläger zunächst die eingekauften Lebensmittel im Schrank verwahrt. Währenddessen wollte seine Mutter das Fenster verdunkeln. Dabei löste sich das Rollo. Daher unterbrach der das Einräumen der Lebensmittel, holte die Leiter und versuchte das gelockerte Rollo wieder zu befestigen. Dabei fiel er von der Leiter und zog sich rechts eine Schienbeinkopf-Trümmerimpressionsfraktur zu, welche einen stationären Krankenhausaufenthalt bis 17.09.2007 erforderlich machte.

Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte es ab, den Unfall vom 31.08.2007 als Unfall im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen, da sich dieser nicht während einer Pflegetätigkeit ereignete. Gegen diese Entscheidung klagte der Verletzte, da er die Auffassung vertrat, dass sich der Unfall während einer Pflegetätigkeit ereignete. In der Sozialen Pflegeversicherung werden im Bereich der Mobilität auch Hilfestellungen für die pflegerische Tätigkeit „Zu-Bett-Gehen“ anerkannt. Das Anbringen des Rollos war mit dieser Pflegetätigkeit verbunden, weshalb sich nach Auffassung des Klägers der Unfall während einer versicherten Pflegetätigkeit ereignet hatte und damit als Arbeitsunfall anerkannt werden muss.

In der ersten sozialgerichtlichen Instanz wurde die Klage vom Sozialgericht Duisburg abgewiesen. Das Sozialgericht entschied, dass das Befestigen des Rollos mit keiner gesetzlich definierten Pflegetätigkeit im Zusammenhang steht. Die Tätigkeit am Küchenschrank, welche der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzurechnen ist, wurde durch die Tätigkeit im Schlafzimmer nicht unwesentlich unterbrochen. Ebenfalls konnte das Reparieren des Rollos nicht „im Vorbeigehen“ erledigt werden. Schließlich handelt es sich um einen drei Meter breiten Fenster-Rollo, dessen Rollen-Mechanik bzw. Aufhängung seitens des Klägers repariert werden sollte.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts ging der Kläger in Berufung. Daher musste über die Anerkennung des Unfalls vom 31.08.2007 als Arbeitsunfall das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entscheiden.

Kein allumfassender Unfallversicherungsschutz

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen wies mit Urteil vom 03.09.2010 unter dem Aktenzeichen L 4 U 87/09 die Berufung ebenfalls zurück und erkannte keinen Arbeitsunfall an.

Die Rechtsvorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII bezieht sich ausdrücklich auf § 14 Abs. 4 SGB XI. Das bedeutet, dass nur die gesetzlich definierten Pflegetätigkeiten dem Unfallversicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung unterworfen sind. Bei den in § 14 Abs. 4 SGB XI abschließend aufgezählten Verrichtungen des täglichen Lebens, welche gewöhnlich sind und regelmäßig wiederkehren, handelt es sich um die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. Die Grundpflege beinhaltet die Mobilität, die Körperpflege und die Ernährung. Das Reparieren des Rollos könnte lediglich der hauswirtschaftlichen Versorgung zugeordnet werden. Zu der hauswirtschaftlichen Versorgung gehören lediglich das Einkaufen, das Waschen und Wechseln der Wäsche und Bekleidung, die Reinigung der Wohnung, das Kochen und das Spülen und das Beheizen.

Die Pflegeversicherung stellt bewusst keine Vollversorgung im Falle der Pflegebedürftigkeit dar. Die Leistungen sind so konzipiert, dass diese bei einer häuslichen und teilstationären Pflege nur eine ergänzende Funktion haben. Daher wird im Rahmen der Pflegetätigkeit auch kein allumfassender Unfallversicherungsschutz gewährt. Sofern auf anderen als den in § 14 Abs. 4 SGB XI definierten Bereich ein Hilfebedarf besteht, wird dieser nicht von der Sozialen Pflegeversicherung erfasst. Damit kann auch kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz besteht. Als Beispiele nannten die Richter Leistungen zur Kommunikation, Freizeitgestaltung und Bildung. Ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz kann daher nur in den in § 14 SGB XI enumerativ aufgezählten Pflegetätigkeiten bestehen.

Das Reparieren des Rollos ist nicht der hauswirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen. Diese wurde mit dem Einräumen des Einkaufs zum Zwecke der Rollo-Reparatur unterbrochen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine geringfügige Unterbrechung.

Auch dem Bereich der Mobilität konnte die Reparatur des Rollos nicht zugeordnet werden. Zwar gehört zur Mobilität die Verrichtung „Zu-Bett-Gehen“. Allerdings muss es sich hier um eine Tätigkeit im Zusammenhang mit einem körperlichen Bewegungsvorgang handeln. Maßnahmen, die darüber hinausgehen und der Gewährleistung des Schlafens und der Ruhe dienen, werden davon nicht erfasst. Hierzu gehört auch das Reparieren des Rollos.

Ergänzend merkten die Richter des Landessozialgerichts noch an, dass der Unfall einer Tätigkeit im Rahmen der familiären Betreuung zugeordnet werden muss. Für eine familiäre Betreuung sieht der Gesetzgeber im Rahmen der Sozialen Pflegeversicherung und Gesetzlichen Unfallversicherung keinen Versicherungsschutz vor.

Fazit

Die Pflegetätigkeit einer Pflegeperson wird vom Unfallversicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung erfasst. Wird eine Hilfeleistung, die einer Pflegetätigkeit nach § 14 Abs. 4 SGB XI zugeordnet wird, nicht nur geringfügig unterbrochen, besteht hierfür kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz. Zu einer nicht nur geringfügigen Unterbrechung gehört unter anderem das Reparieren eines Rollos im Schlafzimmer des Pflegebedürftigen.

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