Arbeitsunfall wurde durch Beweisnotstand des UV-Trägers anerkannt

Ein Verkehrsunfall ist auch dann als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn nach richterlicher Überzeugung bei einem Beweisnotstand schon wenige Anhaltspunkte für einen Versicherungsfall nach dem SGB VII sprechen. Mit dieser Aussage entschied das Bayerische Landessozialgericht ein Klageverfahren und verurteilte damit mit Urteil vom 26.02.2008 (Az. L 17 U 43/07), einen Unfall entsprechend zu entschädigen.

Keine genaue Kenntnis über Unfallgeschehen

Am 25.11.2003 verursachte ein Kurierfahrer aus Unterfranken auf einer Fahrt nach Frankreich einen Unfall. Der Unfall selbst ereignete sich in Frankreich in einer Sackgasse, die mehrere hundert Meter von der Stadtautobahn entfernt liegt. Der Kurierfahrer selbst erlitt aufgrund des Unfalls eine commotio cerebri (Gehirnerschütterung) mit Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen. Daher konnte von dem Unfallverursacher im Nachhinein auch der konkrete Unfallhergang nicht mehr geschildert werden bzw. eine Auskunft darüber gegeben werden, weshalb er in die Sackgasse fuhr.

Dem Polizeibericht der französischen Polizei ist zu entnehmen, dass der Kurierfahrer in die Sackgasse „überstürzt“ einfuhr, sich das Fahrzeug nach einem Aufprall auf die rechte Seite legte und mit einem parkenden Auto kollidierte. Die Verletzungen des Kurierfahrers machten eine Krankenhausbehandlung erforderlich. Das Krankenhaus hat in einem Bericht geschildert, dass der Patient wegen einer Unwohlseinsattacke behandelt und aufgenommen wurde. Anlass für die Attacke könnte ein bestehender insulinpflichtiger Diabetes mellitus sein.

Unfallversicherungsträger lehnte Arbeitsunfall ab

Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte es ab, den Unfall vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall im Sinne des Siebten Buches Sozialgesetzbuch anzuerkennen. Dem Unfallversicherungsträger fehlte der „Vollbeweis“ dafür, dass der Verkehrsunfall einen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit hat.

Daher strebte der Kurierfahrer ein sozialgerichtliches Klageverfahren an. Das Sozialgericht Würzburg ermittelte in dem Sachverhalt zusätzlich und vernahm den Taxiunternehmer, bei dem der Kurierfahrer angestellt ist.

Mit Urteil vom 13.12.2006 (Az. S 11 U 305/05) verurteilte das Sozialgericht Würzburg den Unfallversicherungsträger, das Unfallereignis vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen und diesen entsprechend zu entschädigen. Nach Ansicht des Sozialgerichts Würzburg ist das Unfallereignis hinreichend nachgewiesen. Zusätzlich ist es irrelevant, weshalb der Kurierfahrer die Autobahn verlassen hatte. Selbst wenn er diese wegen einer Pause, die er einlegen wollte, verlassen hatte, stand der Weg zum Pausenort unter Unfallversicherungsschutz. Zum privaten Bereich zählt nur die Pause selbst.

Da der Unfallversicherungsträger der Auffassung war, dass es keinen betrieblichen Anhaltspunkt für das Verlassen der Autobahn gab, legte dieser Berufung zum Landessozialgericht ein.

Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts

Die Richter des Bayerischen Landessozialgerichts bestätigten mit Urteil vom 26.02.2008 (Az. L 17 U 43/07) ebenfalls, dass der Kurierfahrer am 25.11.2003 einen Arbeitsunfall erlitten hatte. Weil der Grund nicht hinreichend bekannt ist, weshalb der Verletzte die Autobahn verlassen hatte, wiesen die Richter aus München auf die Grundsätze zum Beweisnotstand hin. Hiernach kann eine Beweiserleichterung dahingehend gewährt werden, dass weniger hohe Anforderungen an die Bildung der richterlichen Überzeugung gestellt werden (BSG vom 12.06.1990, Az. 2 RU 58/89). Das heißt, dass schon wenige tatsächliche Anhaltspunkte reichen, hierauf die richterliche Überzeugung zu stützen.

Die Richter führten einige Punkte auf, die darauf hindeuten, dass das Verlassen der Stadtautobahn aus betrieblichen Gründen erfolgt sein könnte.

Als ersten Punkt bemerkte das Bayerische LSG, dass sich der Kurierfahrer auf dem direkten Weg zu seinem Fahrziel in Frankreich befand. Nachdem er bereits eine Strecke von ca. 620 Kilometern beziehungsweise eine Fahrzeit von ca. sieben Stunden zurückgelegt hatte, liegt es nahe, dass die Autobahnfahrt aus betrieblichen Gründen unterbrochen wurde, etwa um das Fahrzeug zu betanken oder eine Pause einzulegen. In beiden Fällen sind die Wege – entweder zur Tankstelle oder zum Pausenort – gesetzlich unfallversichert. Ebenfalls ist es möglich, dass der Kurierfahrer zu einer Übernachtungsmöglichkeit unterwegs war. Auch in diesem Fall würde für den Weg zur Aufnahme der Nachtruhe ein Versicherungsschutz bestehen. Da ein eigenwirtschaftlicher Grund für die Richter nicht erkennbar war, der für das Verlassen der Autobahn vorliegen könnte, wurde der Unfall vom 25.11.2003 als Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII anerkannt.

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