Die Geschichte der Sozialversicherung
Antike
Aus der Antike sind keine Einrichtungen bekannt, die der heutigen Form der Sozialversicherung entsprechen. Die Menschen waren aber nicht schutzlos:
In Griechenland gab es staatliche Armenfürsorge (so unterstützte z. B. der Staat erwerbslose und mittellose Bürger mit Geld, Nahrung und Kleidung); in einigen Vereinen (z. B. Handwerksgilden) halfen sich Mitglieder selbst.
In Rom ist etwa der gleiche Zustand zu finden.
Seit Beginn der Zeitrechnung sind hier Krankenkassen- und Sterbekassenvereine bekannt – die ersten versicherungsähnlichen Einrichtungen. Sie bedurften damals schon staatlicher Genehmigung und standen unter staatlicher Aufsicht. Von Bedeutung war noch die Fürsorge der christlichen Kirche. Später wurden durch den Staat auch Krankenhäuser, Waisenhäuser und Speisehäuser für Kranke und Invaliden errichtet.
Bei den germanischen Stämmen fehlten staatliche Einrichtungen. Hilfeleistungen in Notfällen war hier Sache der Familie und Sippe.
Mittelalter
Das Mittelalter ist hauptsächlich durch die Fürsorge der Kirche, insbesondere durch die Fürsorge der Klöster (Caritas) gekennzeichnet. Die Krankenpflege erfolgte zu dieser Zeit im Regelfall durch einen erfahrenen Mönch. Oft wurde im Kloster auch ein Krankenhaus errichtet. Die Klöster nahmen auch arbeitsunfähige und alte Leute auf. Mitte des 15. Jahrhunderts ging die klösterliche Fürsorgetätigkeit jedoch durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und beginnende Reformation zurück.
Bedeutsam aus dieser Zeit ist auch die Fürsorge der Ritterorden, die nach ihrem Gelübde verpflichtet waren, für die kranken und verlassenen Glaubensbrüder zu sorgen. Die Orden (besonders der „Johanniterorden“ und der „Deutsche Orden“) gründeten und betrieben Hospitäler. Die Spitalorden lösten im Krakenhauswesen die Ritterorden ab. Später begannen auch größere Städte damit, Hospitäler zu bauen.
Der 30-jährige Krieg (1618 – 1648) zerstörte die Fürsorgeeinrichtungen der Kirchen und der Städte. An ihre Stelle trat jetzt die Selbsthilfe auf gemeinschaftlicher Grundlage. Die wichtigsten Einrichtungen waren die Selbsthilfe im Bergbau und im Handwerk.
Im Bergbau fanden sich wegen der besonderen Berufsgefahr schon frühzeitig Selbsthilfeeinrichtungen, wenn auch in sehr einfacher Form. Die Bruderschaft der Bergleute – die Knappschaft – half dem Betroffenen, auch verrichtete sie seine Arbeit mit, so dass kein Verdienstausfall eintrat. Später stellte man an Lohntagen Büchsen auf, in die jeder Knappe nach seinem Belieben Geld einwarf. Aus der freiwilligen Spende wurde dann die Verpflichtung zur Entrichtung des „Büchsenpfennigs“ und aus der Spende waren feste Beiträge geworden. Die Büchsenkassen entwickelten sich zu Knappschaftskassen, aus denen Bergleuten und ihren Familien Krankheitskosten, Arzneien oder Sterbegeld ersetzt wurden. Die Büchsenkasse verwaltete ein sogenannter Knappschaftsältester.
Bei den Handwerkern finden sich Zusammenschlüsse, die als Zünfte oder Innungen bekannt sind. Wie bei den Bergleuten standen sich auch hier die Mitglieder einer Zunft in Notlagen bei. Man bildete Zunftbüchsen und Zunftvermögen, in die jeder Meister einen bestimmten Beitrag zu zahlen hatte. Die Gesellen schlossen sich zu Gesellenbruderschaften zusammen.
Noch heute besteht Streit darüber, ob die Einrichtungen im Bergbau oder die im Handwerk die frühesten Vorläufer der heutigen Sozialversicherung sind.
Neuzeit
Zünfte und Gilden verloren ihre Bedeutung für die Soziale Sicherung und die Bindung unter den Zunftmitgliedern lockerte sich. Zu dieser Zeit begann die Industrialisierung. Wer aus dem Arbeitsleben wegen Krankheit, Invalidität oder Alter ausscheiden musste, konnte nicht mehr die Hilfe der Zunftgenossen erwarten, er war dem Elend preisgegeben. Die Folge war eine tiefgreifende soziale Umwälzung, die ein Eingreifen des Staates notwendig machte.
Durch den Beginn der Industrialisierung entwickelten sich viele soziale und politische Spannungen und Auseinandersetzungen. Landflucht, Arbeitslosigkeit, allgemeine wirtschaftliche Not und eine zunehmende Abkehr von der Großfamilie erforderten eine neue, bisher nicht gekannte Form der solidarischen Hilfe für die von Elend, Armut und Krankheit bedrohten und betroffenen Menschen. Es kam schließlich zu Arbeitskämpfen in den Fabriken und politischen Unruhen in den Städten und die Forderung nach mehr sozialer Sicherheit wurde zum wichtigsten Programmbestandteil der neugegründeten Gewerkschaften und Parteien. Nichts war so wichtig wie eine soziale Reform! Die Solidarisierung nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ trug endlich Früchte.
Als erster wurde der preußische Staat aktiv. Im Preußischen „Allgemeinen Landrecht“ vom 05.02.1794 finden sich schon Bestimmungen über die staatliche Armenpflege. Hier heißt es z. B., dass es dem Staat zukommt, für die Ernährung und Verpflegung für die Bürger zu sorgen, die sich ihren Unterhalt nicht selbst verschaffen und ihn auch von anderen Privatpersonen, die nach besonderen Gesetzen dazu verpflichtet sind, nicht erhalten können. Die Entwicklung blieb aber nicht bei der staatlichen Fürsorge stehen. Es folgten Zeiten, in denen Einrichtungen (Versicherungen) entstanden, an die Beiträge gezahlt wurden, um später Leistungen zu erhalten, die vor wirtschaftlichem Schaden bewahren.
Das Gesetz über die Vereinigung der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter in Knappschaften vom 10.04.1854 war die erste landesgesetzliche, öffentlich-rechtliche Arbeiterversicherung. Mit diesem Gesetz wurden die Knappschaftskassen einheitlich organisiert und der Zwang zu ihrer Bildung eingeführt. Die Bergarbeiter wurden zur Beitragszahlung verpflichtet und die Mindestleistungen der Kassen festgelegt. Doch diese und auch andere landesgesetzliche Regelungen waren zur Lösung der sozialen Frage noch unzureichend, weil sie nur einen Teil der Bevölkerung betrafen. Die sozialen Missstände der anderen Berufsgruppen verlangten auch eine Lösung.
Die Kaiserliche Botschaft
Durch die „Kaiserliche Botschaft“ Wilhelms I., welche am 17.11.1881 im Weißen Saale des Königlichen Schlosses zu Berlin verlesen wurde, wurde der Aufbau der Arbeiterversicherung eingeleitet. Diese Botschaft, die auf eine Anregung des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck zurückgeht, wird allgemein als die „Magna Charta“ oder die „Geburtsurkunde der deutschen Sozialversicherung“ bezeichnet und ist als solche auch bekannt.
Grundinhalt der Kaiserlichen Botschaft war, dass die Arbeiter – vor allem die Industriearbeiter - für den Fall von Krankheit, Unfall, Invalidität und materielle Not im Alter versichert werden sollten, einen Rechtsanspruch auf die Leistungen haben, und die Versicherung auf der Grundlage der Selbstverwaltung durchgeführt werden soll. Mit der Kaiserlichen Botschaft sollte auch das Ziel verfolgt werden, der anwachsenden politischen Bedrohung des inneren Friedens entgegenzuwirken, die sich durch die Proteste der Arbeiter aufgrund der sehr schnell voranschreitenden wirtschaftlichen und technischen Entwicklung bemerkbar machte.
Gleichzeitig wurde mit der Kaiserlichen Botschaft auch die bis heute vorhandene Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger eingeführt.
Mit der „Kaiserlichen Botschaft“ wurde also der Grundstein unserer heutigen Sozialversicherung, die sich in die Gesetzliche Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung sowie der Arbeitsförderung gliedert, gelegt.
Bildnachweis: © zwehren - stock.adobe.com