Ältestes Krankenversicherungs-Unternehmen 1843 in Nürnberg gegründet

Viel haben der Humanist Alexander von Humboldt, der römische Dichter Vergil und der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau nicht miteinander zu tun. Im Grunde sind es jedoch die geistigen Väter unserer heutigen privaten Krankenversicherung.

Nürnberger Tabakfabriken

In den Nürnberger Tabakfabriken war die Arbeit eine äußerst monotone Tätigkeit. Doch sie hatte einen Vorteil – im Gegensatz zur metallverarbeitenden Industrie – verursachte sie keinen Lärm. Und so lag es auf der Hand, dass man sich die Werke der Humanisten, Dichter und Philosophen gegenseitig vorlas. Dadurch wurde die Arbeit kurzweiliger und die Kollegen übernahmen dafür die Arbeit des Vorlesenden. Ohne dass die Arbeit darunter litt, konnten die Fabrikarbeiter miteinander diskutieren, was dazu führte, dass dieser Arbeiterstand neben den Buchdruckern zu der gebildetsten Schicht gehörte. So lag es auch nahe, dass sich die Arbeiter auch mit sozialpolitischen Problemen befassten.

Bedingt durch das mittelalterliche Zunftwesen war in Nürnberg der Gedanke an sozialer Vorsorge sowieso schon lange verwurzelt. Doch gerade jene Fabrikarbeiter hatten – anders als heute jeder Arbeitnehmer – keinerlei soziale Absicherung. Sie hatten weder einen Krankenversicherungsschutz noch eine soziale Absicherung in Form von Lohnfortzahlung oder einer Zahlung von Krankengeld im Krankheitsfall.

Georg Heine gründete Unterstützungsverein

Der Tabakarbeiter Georg Heine war es, der am 05.03.1843 den „Unterstützungsverein für Tabakfabrikarbeiter“ gründete. Die Genehmigung hierzu erhielt er vom Nürnberger Stadtmagistrat mit der Auflage, den Verein im Falle der Eröffnung des neuen städtischen Krankenhauses wieder aufzulösen.

Der Verein leistete zunächst lediglich ein Krankentagegeld. Weitere Leistungen im Krankheitsfalle, wie z. B. Behandlungs- und Heilmittelkosten, wurden nicht gewährt. Die Satzung des Vereins erhielt jedoch schon damals viele Grundsätze, die auch noch heute zum selbstverständlichen Gedankengut des modernen Versicherungswesens gehören. Bereits damals wurde Wert darauf gelegt, ein möglichst geringes Versicherungsrisiko zu erlangen. Ähnlich wie heute wurde bei einer Aufnahme in den Verein in einem „Aufnahme-Gesuch“ nach Vorversicherungen, nach den behandelnden Ärzten und nach chronischen Krankheiten gefragt. Derjenige, der dem Verein beitreten wollte, musste persönlich vorsprechen. Ebenfalls sahen die Statuen des Vereins eine Wartefrist von einem Vierteljahr vor.

In den Unterstützungsverein konnten damals ausschließlich Männer im Alter von 18 bis 48 Jahren aufgenommen werden. Frauen blieb der Verein verschlossen. Diejenigen, die den Verein beitreten wollten, konnten zwischen drei relativ einfachen und unkomplizierten Beitrags- und Leistungsklassen wählen. Die „Herren Gesuchssteller“, wie sie der Aufnahmeantrag nannte, mussten strenge Voraussetzungen erfüllen, um überhaupt in den Genuss einer Leistung zu kommen. So reichte es nicht aus, lediglich ein ärztliches Attest zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Der Erkrankte wurde zusätzlich noch persönlich vom Vorstand des Vereins zu Hause besucht, der sich von der Erkrankung selbst ein Bild machte. Die Erkrankung selbst musste mindestens eine Woche andauern, damit überhaupt eine Unterstützung geleistet wurde.

Großer Anklang

Der Unterstützungsverein fand großen Anklang in der Öffentlichkeit. Trotz der strengen Bestimmungen wollten auch Arbeiter anderer Industriezweige dem Verein beitreten, weshalb dieser dann im Jahre 1845 zum allgemeinen „Krankenunterstützungsverein für Fabrikarbeiter“ erweitert wurde.

Obwohl auch im Jahre 1845 die städtische Klinik eröffnet wurde, war die Existenz des Vereins nicht bedroht. Die Stadt Nürnberg hatte zwar gleichzeitig einen Sicherungsverband für Fabrikarbeiter, Handwerker und Lehrlinge gegründet. Dieser Sicherungsverband hatte jedoch eine andere Zielsetzung als der Unterstützungsverein. Durch den Verband sollten die Behandlungs- und Pflegekosten in dem neuen städtischen Klinikum gedeckt werden; der Unterstützungsverein hingegen beschränkte sich weiterhin auf die Leistung des Krankentagegeldes.

Sozialgesetzgebung durch Bismarck

Eine grundlegende Veränderung erfuhr der Unterstützungsverein im Jahr 1883. Durch den Reichstag wurde am 29.05.1883 das Gesetz zur Krankenversicherung der Arbeiter verabschiedet, welches dann am 15.06.1883 durch Otto von Bismarck verkündet wurde. Dieses Gesetz sah neben der Kostenübernahme für freie ärztliche Behandlung und Heilmitteln auch ein Krankengeld in Höhe von 50 Prozent des Lohnes ab dem dritten Krankheitstag vor. Ebenfalls sah das Gesetz ein Sterbegeld in Höhe des 20fachen Lohnes und eine Wöchnerinnen-Unterstützung für vier Wochen nach der Niederkunft vor.

Erst mit Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung unterscheidet man zwischen der Individual- und der Sozialversicherung. Neu war durch die bismarcksche Gesetzgebung auch, dass sich die Arbeitgeber an den Sozialversicherungsbeiträgen beteiligten.

Obwohl für viele kleine berufsständische Krankenversicherungen die allgemeine Sozialversicherungspflicht das Aus bedeutete, konnte der von Georg Heine gegründete Unterstützungsverein weiter bestehen. Da die Handwerker, Kleingewerbetreibenden und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht von der Sozialversicherung erfasst wurden, fand der Nürnberger allgemeine Krankenversicherungs-Verein – wie er später genannt wurde – stets genügend neue Mitglieder. Erst 1923 schloss sich das Krankenversicherungsunternehmen mit der Allgemeinen Volkskrankenkasse Nürnberg zusammen.

Mit der Universa Krankenversicherung a. G. besteht der im Jahr 1843 gegründete Unterstützungsverein für Tabakarbeiter – das in Nürnberg gegründete älteste Krankenversicherungsunternehmen in Deutschland – noch heute fort.

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