Ermessensleistungen im Sinne § 39 SGB I

Mit § 39 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) werden die Ermessensleistungen definiert. Diese Rechtsvorschrift befindet sich im ersten Abschnitt, zweiter Titel – in dem die Grundsätze des Leistungsrechts geregelt werden – im SGB I.

Nach § 39 Abs. 1 SGB I haben die Leistungsträger ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben, wenn sie bei der Entscheidung über Sozialleistungen ermächtigt sind, nach ihrem Ermessen zu handeln. Das Ermessen muss entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt werden und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

Leistungsträger müssen Ermessen ausüben

Die Ausübung des Ermessens durch die Leistungserbringer hat der Gesetzgeber deshalb ermöglicht, dass die besonderen Gegebenheiten bestimmter Einzelfälle an die konkrete Rechtsgestaltung möglichst gerecht und zweckmäßig angepasst werden können.

Erkennbar sind die Ermessensleistungen, dass diese mit „kann“ oder „soll“ definiert werden.

Die Ermessensleistungen sind Geld-, Sach- oder Dienstleistungen, welche mit „kann“ oder „soll“ definiert sind. Abzugrenzen von den Ermessensleistungen ist das Handlungsermessen, welches den Sozialleistungsträgern ein mögliches Tätigwerden bzw. Nicht-Tätigwerden ermöglicht. Ein Handlungsermessen liegt beispielsweise bei den Sachverhalten des § 46 SGB X (Widerruf eines rechtmäßigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes) vor, was durch die Formulierung „Ein rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, …“  erkennbar ist.

Bei den Ermessensleistungen wird es der Verwaltung überlassen, dass diese bestimmen kann, ob ein gesetzlicher Tatbestand vorliegt und die festgelegte Rechtsfolge eintritt oder auch nicht eintritt (vgl. Kasseler Kommentar zu § 39 SGB I).

Definition des Ermessens

Das Ermessen wird wie folgt definiert:

 „Gerichtlich beschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum auf der Rechtsfolgeseite.“

Die Ausübung des Ermessens

Der Sozialleistungsträger bzw. die Behörde muss bei den Ermessensleistungen nach § 39 SGB I auch das Ermessen ausüben. Durch die gesetzliche Möglichkeit, ein Ermessen auszuüben, erfolgt keine Befreiung davon, das Recht nicht zu beachten. Mit § 39 Abs. 1 SGB I sind die Leistungsträger verpflichtet, das Ermessen auszuüben. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Bei der Ausübung des Ermessens muss der zuständige Leistungsträger Ermessensfehler vermeiden. Das heißt, es müssen die gesetzlichen Grenzen eingehalten werden und es darf nicht zu einer Ermessensunterschreitung oder einer Ermessensüberschreitung kommen und es darf auch kein Ermessensmissbrauch bestehen.

Bei einer Ermessensausübung muss der Sozialleistungsträger – nachdem das Ermessen ausgeübt wurde – die Gründe angeben. Nur durch die Angabe der Gründe, weshalb es nach Ausübung des Ermessens der Sozialleistungsträger zu der festgestellten Rechtsfolge kommt, besteht die Möglichkeit, den Entscheidungsvorgang – wenn ggf. auch nur bedingt – überprüfbar zu machen. Ebenfalls ist erkennbar, ob bei der Entscheidung des Einzelfalles alle maßgebenden Umstände in die Entscheidungsfindung mit einbezogen wurden (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 27.06.1967, USK 6731).

Ermessensunterschreitung

Eine Ermessensunterschreitung – bzw. ein sogenannter Ermessensmangel – liegt vor, wenn der Sozialleistungsträger das Ermessen, wo dies gesetzlich vorgeschrieben ist, überhaupt nicht ausübt.

Auch bei einer unzureichenden Ausübung des Ermessens liegt eine Ermessensunterschreitung vor.

Auf was der Ermessensfehler der Ermessensunterschreitung zurückzuführen ist, ist für das Vorliegen des Ermessensfehler ohne Bedeutung. Als Gründe einer Ermessensunterschreitung kommen in Frage, dass der Sozialleistungsträger annimmt, bei der Entscheidung über die Sozialleistung gebunden zu sein oder auch dass dieser übersieht, dass vom Gesetzgeber überhaupt ein Ermessen eingeräumt wurde.

Ermessensüberschreitung

Bei einer Ermessensüberschreitung wird vom Sozialleistungsträger das gesetzlich eingeräumte Ermessen überschritten, wenn dieser eine Rechtsfolge feststellt, welche nicht zu den gesetzlich aufgeführten Entscheidungsmöglichkeiten gehört.

Als Beispiele einer Ermessensüberschreitung sind zu nennen, wenn der Sozialleistungsträger zu einer Rechtsfolge kommt, welche nicht zu den gesetzlich vorgegebenen Optionen gehört oder wenn ein Ermessen ausgeübt wird, obwohl die gesetzlichen Vorschriften dieses ermessen gar nicht vorsehen.

Ermessensmissbrauch

Missachtet ein Sozialleistungsträger absichtlich oder irrtümlich die eingeräumten Grenzen der Ermessensausübung, liegt ein Ermessensmissbrauch vor. Das heißt, dass bei einem Ermessensmissbrauch das Ermessen in der Art und Weise ausgeübt wird, welche nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht bzw. nicht mit dem gesetzlich eingeräumten Ermessen im Einklang steht. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet wurde.

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