Die Anrechnungszeiten im gesetzlichen Rentenrecht

Die Anrechnungszeiten im Rentenrecht der Gesetzlichen Rentenversicherung sind besondere rentenrechtliche Zeiten, mit denen der Gesetzgeber einen sozialen Ausgleich dafür schafft, dass ein Versicherter aus persönlichen Gründen keine Beitragszahlungen leisten konnte. Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Tatbeständen, wann Zeiten als Anrechnungszeiten anerkannt werden können. Die grundlegende Vorschrift für die Anerkennung von Anrechnungszeiten ist § 58 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI – und wird durch einige Sonderregelungen, die in den §§ 252 und 252a SGB VI beschrieben sind, ergänzt.

Voraussetzungen für die Anerkennung einer Anrechnungszeit

Eine Anrechnungszeit liegt u. a. dann vor, wenn eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen wurde. Dies gilt auch, wenn ein versicherter Wehr- oder Zivildienst unterbrochen wurde. Als Unterbrechungstatbestände gelten nach § 58 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XI Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Zeiten, in denen Leistungen zur Rehabilitation beansprucht wurden. Ebenfalls zählen Zeiten der Schwangerschaft oder Mutterschaft während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG), Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug und Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug mangels Bedürftigkeit zu den Anrechnungszeiten. Des Weiteren regelt § 252 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI, dass Zeiten des Schlechtwettergeldbezugs bis 31.12.1978 und § 252a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und Zeiten der Schwangerschaft oder Mutterschaft im Beitrittsgebiet, wenn während der jeweiligen Schutzfristen eine versicherungspflichte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausgeübt wurde, als Anrechnungszeiten gelten. Nach § 252a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI gelten bei den Zeiten der Arbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet vor dem 01.03.1990 die Vorschriften über die Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit.

Bei den Zeiten nach § 252 Abs. 2 SGB VI, also bei den Zeiten des Leistungsbezugs nach dem Arbeitsförderungsgesetz, kurz: AFG, für die Zeit vom 01.01.1983 bis 31.12.1997 und bei den Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder Rehabilitation mit Leistungsbezug in der Zeit vom 01.01.1992 bis 31.12.1997, für die die Bundesanstalt für Arbeit oder ein anderer Leistungsträger Pflichtbeiträge oder Beiträge für Anrechnungszeiten geleistet hat, gilt eine Ausnahme. Diese Zeiten gelten in den genannten Fällen nicht als Anrechnungszeit.

Ausschluss und Ausnahmen

§ 58 Abs. 1 Satz 3 SGB VI beschreibt die Ausnahme, dass keine Anrechnungszeit vorliegt, wenn ein Versicherter wegen Bezugs von Sozialleistungen versicherungspflichtig war. Dieser Ausschluss betrifft allerdings nicht die Anrechnungszeiten wegen Entgeltersatzleistungsbezug, wenn die Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegt. In diesem Fall gelten die Zeiten sowohl als Pflichtbeitragszeiten als auch als Anrechnungszeiten, also als beitragsgeminderte Zeiten. Damit kommen beispielsweise folgende Zeiten (§ 247 Abs. 2 SGB VI) in Betracht:

  • Zeiten des Krankengeldbezugs ab dem 13 Kalendermonat, Zeiten des Übergangsgeldbezugs für einen vollen Kalendermonat und Zeiten des Versorgungskrankengeldbezugs ab dem zweiten Kalendermonat vom 01.10.1974 bis 31.12.1983
  • Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug vom 01.07.1978 bis 31.12.1982
  • Zeiten des Bezugs von Sozialleistungen ab 01.01.1998 (§ 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bzw. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Des Weiteren liegen in folgenden Fällen keine Anrechnungszeiten vor:

  • Zeiten, in denen der Versicherte eine Rente wegen Alters bezogen hat (§ 58 Abs. 5 SGB VI)
  • Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung/Tätigkeit, wenn diese im Vergleich zum Zeitaufwand der Beschäftigung/Tätigkeit nicht überwiegt (§ 58 Abs. 4a SGB VI in der Fassung des 4. Euro-Einführungs-Gesetzes, in Kraft ab 01.01.1997)
  • Zeiten des Fernstudiums oder Abendunterrichts vor dem 01.07.1990 im Beitrittsgebiet, wenn diese neben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit erfolgt sind (vgl. § 252 Abs. 1 Satz 3 SGB VI)

Unterbrechung

Damit in den genannten Fällen eine Anrechnungszeit anerkannt werden kann, ist gefordert, dass eine versicherte Beschäftigung, selbstständige Tätigkeit oder der versicherte Wehr- oder Zivildienst unterbrochen wurde. Daher ist folgend dargestellt, was als versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit überhaupt gilt. Dies sind folgende Beitragszeiten:

  • Pflichtbeiträge von Beschäftigten nach § 1 SGB VI
  • Pflichtbeiträge von selbstständig Tätigen nach § 2 SGB VI
  • Zeiten, in denen Beiträge aufgrund einer Nachversicherung nach § 8 SGB VI geleistet wurden
  • Pflichtbeiträge aufgrund einer Antragspflichtversicherung nach § 4 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI
  • Zeiten, für die die Bundesagentur für Arbeit in der Zeit vom 01.07.1978 bis 31.12.1982 oder ein anderer Leistungsträger in der Zeit vom 01.10.1974 bis 31.12.1983 wegen des Bezugs von Sozialleistungen Pflichtbeiträge gezahlt hat (vgl. § 247 Abs. 2 SGB VI)
  • Zeiten, die den Pflichtbeitragszeiten gleichgestellt sind (nach über- bzw. zwischenstaatlichem Recht oder nach dem FRG).

Die folgenden Pflichtbeitragszeiten stellten hingegen keine Zeiten einer versicherten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI dar:

  • Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezugs von Sozialleistungen nach § 3 Satz 1 Nr. 3, § 4 Abs. 3, § 247 Abs. 1 Satz 2 SGB VI
  • Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung nach § 3 Abs. 1, § 56, § 249 und § 249a SGB VI
  • Pflichtbeitragszeiten wegen des Bezugs von Vorruhestandsgeld nach § 3 Satz 1 Nr. 4 SGB VI

Eine Unterbrechung liegt im Sinne der Anrechnungszeiten dann vor, wenn vor und nach dem Anrechnungszeittatbestand eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit ausgeübt wurde. Dies gilt analog auch für Versicherte, die einen Wehr- oder Zivildienst abgeleistet haben. Wurde nach dem Anrechnungszeittatbestand eine Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit nicht wieder aufgenommen, liegt eine Unterbrechung auch dann vor, wenn aufgrund des Gesundheitszustandes und des Leistungsvermögens des Versicherten die grundsätzliche Möglichkeit hierzu bestanden hat. Daher ist diese Möglichkeit stets zu bejahen, wenn der Versicherte weder erwerbsunfähig noch voll erwerbsgemindert war.

Es ist nicht erforderlich, dass der Unterbrechungszeittatbestand nahtlos an die versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit anschließt. Ausreichend in diesem Zusammenhang ist, wenn der Anrechnungszeittatbestand bis zum Ablauf des Kalendermonats beginnt, der dem Kalendermonat der Aufgabe der Beschäftigung/selbstständigen Tätigkeit folgt. Es darf also nur eine Lücke vorliegen, die kleiner als einen Kalendermonat ist.

Beispiel 1:

Versicherungspflichtige Beschäftigung bis 15.03.1965. Arbeitslos mit Bezug von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit vom 25.04.1965 bis 15.06.1965.

Konsequenz:

Eine Unterbrechung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI liegt vor.

Beispiel 2:

Bis zum 18.03.1965 wurde eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Ein Bezug von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aufgrund Arbeitslosigkeit erfolgte vom 02.05.1965 bis 28.06.1965.

Konsequenz:

Hier liegt keine Unterbrechung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI vor, da die Folgemonatsfrist nicht eingehalten wurde.

Beispiel 3:

Eine versicherungspflichtige Beschäftigung wurde bis zum 15.03.1965 ausgeübt. Vom 02.04.1965 bis 12.04.1965 sind Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung anerkannt. Arbeitslosigkeit mit Bezug von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit lag vom 01.05.1965 bis 28.06.1965 vor.

Konsequenz:

Hier liegt eine Unterbrechung im Sinne des § 58 Abs. 2 SGB VI vor, da durch die Überbrückung (Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung) die Monatsfrist eingehalten wird.

Unterbrechung nicht erforderlich

Eine Unterbrechung wird seit dem 01.01.2002 nicht mehr gefordert, wenn eine Arbeitsunfähigkeit und Leistungen zur Teilhabe, Schwangerschaft oder Mutterschaft während der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz oder Schwangerschaft oder Mutterschaft im Beitrittsgebiet (wenn während der jeweiligen Schutzfristen eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausgeübt wird) vorliegt und diese Zeiten zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr zurückgelegt wurden. Dies gilt auch für Zeiten während des genannten Lebensalters, wenn eine Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug oder eine Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug mangels Bedürftigkeit oder eine Ausbildungssuche vorliegt.

Die Anrechnungszeiten können auch dann anerkannt werden, wenn keine beitragsrechtlichen Zeiten zuvor vorliegen, der Versicherte also vor den Anrechnungszeiten noch keine Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Damit können die Zeiten zwischen dem 17. und dem 25. Lebensjahr auch dann angerechnet werden, wenn es sich um die erste rentenrechtliche Zeit im Versicherungsleben handelt. Allerdings ist erforderlich, dass danach – im Laufe des Versicherungslebens – von dem Versicherten einmal ein Beitrag zur Gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wird.

Mindestdauer

Die gesetzlichen Vorschriften sehen keine Mindestdauer der Anrechnungszeiten vor, damit diese als solche anerkannt werden können. Jedoch ist nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, § 252 Abs. 7 und § 252a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI ein voller Kalendermonat in folgenden Fällen (bei folgenden Zeiten) erforderlich:

  • Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder des Bezugs von Leistungen zur Rehabilitation vor dem 01.01.1984
  • Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug vor dem 01.07.1978
  • Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vor dem 01.01.1992
  • Zeiten einer Krankheit zwischen dem vollendeten 17. und vor Vollendung des 25. Lebensjahres bei Rentenbeginn ab dem Jahr 2002. In diesem Fall ist auch keine Zusammenrechnung mit anderen Anrechnungszeiten möglich, um auf einen vollen Kalendermonat zu kommen
  • Zeiten des Schlechtwettergeldbezugs vor dem 01.01.1979
  • Zeiten der Arbeitslosigkeit im Beitrittsgebiet vor dem 01.03.1990

Auch die Krankheitszeiten, welche zwischen Vollendung des 17. Lebensjahres und vor Vollendung des 25. Lebensjahres als Anrechnungszeiten anerkannt werden können, müssen mindestens einen vollen Kalendermonat dauern. Ansonsten liegt keine Anrechnungszeit vor.

Als voller Kalendermonat ist die Zeit vom ersten bis zum letzten Tag eines Kalendermonats zu verstehen. Das bedeutet, dass bei den genannten Anrechnungszeittatbeständen, die einen vollen Kalendermonat erfordern, der Anrechnungszeittatbestand vom ersten bis zum letzten Tag des Kalendermonats angedauert haben muss. Dauerte zum Beispiel ein Anrechnungstatbestand vom 15.03. bis zum 22.04., liegt kein voller Kalendermonat vor. Dauerte der Anrechnungstatbestand hingegen vom 15.03. bis zum 05.05. liegt mit dem April mindestens ein voller Kalendermonat vor und die Zeit ist als Anrechnungszeit zu werten. Randtage, die am Anfang und /oder am Ende eines Monats liegen (Samstag, Sonntag, gesetzlicher Feiertag) sind zu berücksichtigen.

Seniorenstudium keine Anrechnungszeit

Ein Seniorenstudium ist keine Anrechnungszeit im Sinne des gesetzlichen Rentenrechts. Mit Urteil vom 17.02.2012, Az. L 4 R 2791/11 entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg, dass nicht alle Studien als Studium bzw. Besuch einer Fachschule/Hochschule im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI anerkannt werden können. Hier ist zu beachten, welches Ziel das Studium hat.

Ein Studium, welches die Anerkennung einer Anrechnungszeit auslöst, hat zum Ziel, die für einen späteren Beruf erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln und eine bestimmte berufliche Qualifikation zu erwerben. Bei einem Seniorenstudium fehlt es an diesen Voraussetzungen.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg musste über einen Streitfall entscheiden, in dem einer Versicherten die Zeit des Besuchs einer Hochschule nicht als Anrechnungszeit anerkannt wurde. Der Besuch der Hochschule erfolgte, als die Versicherte 57 Jahre alt war, für die Dauer von drei Jahren. Nach Ende dieser Hochschulzeit hatte sie das Zusatzstudium „Journalistische Bildung“ abgeschlossen. Die Rentenkasse hat die Zeit des Hochschulbesuchs zu Recht abgelehnt, so das LSG. Denn mit dem Studium wurde die Versicherte nicht für einen bestimmten Beruf (Beruf des Journalisten) ausgebildet und kann – wie bereits in der Vergangenheit – mit und ohne dem Seniorenstudium weiterhin journalistisch tätig sein.

Näheres kann unter: Seniorenstudium keine Anrechnungszeit nachgelesen werden.

Prüfung Rentenbescheide und Rentenberechnungen

Die oben genannten Ausführungen stellen nur einen Überblick dar, in welchen Fällen im gesetzlichen Rentenrecht Anrechnungszeiten berücksichtigt bzw. nicht berücksichtigt werden. Damit Rentner die Gewissheit haben, dass sämtliche rentenrechtlichen Zeiten berücksichtigt bzw. auch korrekt bewertet wurden, sollte ein Rentenbescheid immer von einem registrierten Rentenberater überprüft werden. Dadurch haben die Rentner die Gewissheit, dass die Rentenberechnung korrekt erfolgt ist und keine finanziellen Nachteile entstehen. Sollte der Rentenbescheid dennoch Lücken oder eine falsche Rentenberechnung aufweisen, können die registrierten Rentenberater diese in einem Widerspruchsverfahren korrigieren lassen (s. auch: Jeder dritte Rentenbescheid ist falsch).

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