Rehabilitationsantrag gilt als Rentenantrag | § 116 SGB VI
Mit § 116 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird geregelt, dass ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben in bestimmten Fallkonstellationen als Antrag auf Rente gilt. In diesem Zusammenhang spricht man von der sogenannten Rentenantragsfiktion.
Mit der Rentenantragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI werden erwerbsgeminderte Versicherte vor den Folgen einer verspäteten Rentenantragstellen geschützt, sofern diese zunächst eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben und nicht sofort auch eine Rente beantragen. Diese gesetzliche Regelung verfolgt auch das Ziel, dass Versicherte mit einer entsprechenden Rehabilitationsbereitschaft keine Nachteile in Kauf nehmen müssen, wenn nicht sofort ein Rentenantrag gestellt wird. Diesbezüglich wird mit dieser Regelung auch dem Grundsatz „Reha vor Rente“ bzw. „Leistungen zur Teilhabe vor Rente“ entsprechend § 8 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Rechnung getragen.
Inhaltsverzeichnis
Die Rechtsvorschrift § 116 Abs. 2 SGB VI
Nach § 116 Abs. 2 SGB VI gilt ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben als Antrag auf Rente, wenn der Versicherte vermindert erwerbsfähig ist und eine der beiden folgenden Varianten vorliegen.
Ein Erfolg von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ist nicht zu erwarten
Die Rentenantragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI greift unabhängig davon, ob vom Versicherten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Leistung erfüllt werden oder nicht. Hinsichtlich der Rentenantragsfiktion ist alleinig maßgebend, dass es aufgrund der mangelnden Erfolgsaussicht nicht zur Durchführung der beantragten Maßnahmen kommt.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben waren nicht erfolgreich, weil sie die verminderte Erwerbsfähigkeit nicht verhindert haben.
Auch dann, wenn Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben durchgeführt wurden und nach Abschluss der Maßnahme die teilweise bzw. volle Erwerbsminderung (ggf. unter Beachtung der Berufsunfähigkeit) nicht verhindert werden konnte, wird der Antrag entsprechend § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag umgewandelt.
Ausschluss der Rentenantragsfiktion
Sofern der Versicherte einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zurücknimmt, kommt die Rentenantragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI nicht mehr zum Tragen. Gleiches gilt, wenn auf die beantragte Leistung verzichtet wird.
Die Rentenantragsfiktion kommt auch dann nicht zum Tragen, wenn der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben entweder weitergeleitet oder abgelehnt wurde, weil:
- eine Altersrente in Höhe von mindestens zwei Drittel der Vollrente bezogen wird,
- eine Altersrente beantragt wurde oder
- der Versicherte eine Leistung erhält, welche regelmäßig bis zum Beginn der Altersrente geleistet wird.
In diesen Fällen ist die Frage, ob durch die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben eine verminderte Erwerbsfähigkeit verhindert, verbessert oder beseitigt wird, ohne Bedeutung. Daher kommt die Rentenantragsfiktion in diesen Fällen auch dann nicht zum Tragen, wenn die Krankenkasse nach § 51 Abs. 1 SGB V zur Antragstellung aufgefordert hat.
Fallkonstellationen
Folgende Fallkonstellationen können im Zusammenhang mit der Rentenantragsfiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI eintreten.
Rentenversicherungsträger lehnt beantragte Leistung ab
Die beantragten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben werden vom Rentenversicherungsträger abgelehnt. In diesem Zusammenhang kann der Rentenversicherungsträger als erstangegangener oder auch als zweitangegangener Leistungsträger in Frage kommen. Die Ablehnung erfolgt, weil die beantragten Leistungen voraussichtlich erfolglos sein werden bzw. kein genereller Rehabilitationsbedarf besteht.
Rentenversicherungsträger leitet den Antrag an Krankenkasse weiter
Der Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wird vom Rentenversicherungsträger an die zuständige Krankenkasse weitergeleitet, da im Sinne der Gesetzlichen Rentenversicherung kein Rehabilitationsbedarf gesehen wird.
Sofern die zuständige Krankenkasse die Leistungen bewilligt und nach Durchführung der Maßnahme den Entlassungsbericht an den Rentenversicherungsträger weiterleitet, prüft dieser, ob der Antrag in einen Rentenantrag umgedeutet werden muss.
Rentenversicherungsträger ist einem anderen Leistungsträger erstattungspflichtig
Die beantragten Leistungen wurden von einem anderen Leistungsträger übernommen, obwohl der Rentenversicherungsträger der zuständige Leistungsträger ist. In diesem Fall ist der Rentenversicherungsträger erstattungspflichtig.
Die Rentenantragsfiktion nach § 116 Abs. 2 SGB VI kommt in diesem Fall zum Tragen.
Handelt es sich hingegen um eine reine Weiterleitung des Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben, greift die Rentenantragsfiktion nach § 116 Abs. 2 SGB VI nicht. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Rentenkasse den Antrag an die Gesetzliche Unfallversicherung ohne Prüfung des Rehabilitationsbedarfs weiterleitet, da die Leistung aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erforderlich wird.
Rentenversicherungsträger hat medizinische Prüfung zur Klärung der Zuständigkeit vorgenommen
Der Rentenversicherungsträger steigt als erstangegangener Leistungsträger in die medizinische Prüfung zur Klärung der Zuständigkeit ein. Da die Entscheidung allerdings nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist erfolgen kann, da ggf. noch medizinische Unterlagen fehlen bzw. angefordert werden müssen, wird der Antrag an die zuständige Krankenkasse weitergeleitet. Die Krankenkasse erbringt als zweitangegangene Leistungsträgerin die Kosten. Nachdem durch die Krankenkasse der Entlassungsbericht dem Rentenversicherungsträger zur Verfügung gestellt wird, prüft dieser eine Umdeutung entsprechend § 116 Abs. 2 SGB VI.
Rentenversicherung erbringt Leistung, welche erfolglos ist
Seitens des Rentenversicherungsträgers werden die beantragten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Nach Abschluss der Maßnahme stellt sich heraus, dass diese erfolglos blieben.
Das maßgebende Antragsdatum
Das maßgebende Antragsdatum ist, wenn ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend § 116 Abs. 2 SGB VI umgewandelt wird, das Datum der erstmaligen Entgegennahme einer Willenserklärung des Versicherten mit der diese Leistungen begehrt werden. Der Antrag kann bei jeder der in § 16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten Stelle – auch formlos und mündlich – gestellt werden.
Wurde der Antrag gestellt, da hierzu die Krankenkasse nach § 51 SGB V aufgefordert hat – s. hierzu auch Krankengeld | Aufforderungsrechte der Krankenkasse – gilt als Antragsdatum das Datum der erstmaligen Willenserklärung nach Aufforderung zur Antragstellung.
Die reine Anforderung und Aushändigung von Antragsformularen auf eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben gilt hingegen nicht als Antragstellung.
Eine Besonderheit gilt bei einem Antrag im Nahtlosigkeitsverfahren nach § 145 SGB III. Wird von einem Versicherten innerhalb von einem Monat nach Aufforderung durch die Agentur für Arbeit ein Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt, gilt als Rentenantragsdatum das Datum des Antrags auf Arbeitslosengeld. Dies gilt allerdings nur in diesen Fällen, in denen das Leistungsvermögen bereits zum Zeitpunkt des Antrags auf Arbeitslosengeld auf unter drei Stunden täglich gesunken ist. Nur in diesen Fällen kann von Anfang an von einem Nahtlosigkeitsfall ausgegangen werden.
Einschränkung des Dispositionsrechts
Für die Versicherten besteht grundsätzlich das Recht, dass einer Umdeutung des Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Rentenantrag widersprochen wird. Ebenfalls kann im Falle einer Bewilligung einer Rente der (umgedeutete) Antrag zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist solange möglich, solange der Rentenbescheid noch nicht rechtskräftig ist. Die Rechtskraft erlangt der Rentenbescheid mit Ablauf der Widerspruchsfrist (im Regelfall einen Monat nach Zugang des Bescheides), wenn kein Rechtsmittel eingelegt wurde.
In der Praxis wird die zuständige Krankenkasse das Dispositionsrecht des Versicherten einschränken, wenn eine Aufforderung zur Antragstellung nach § 51 Abs. 1 SGB V erfolgte. Im Falle des eingeschränkten Dispositionsrechts kann der Umdeutung des Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben in einen Rentenantrag damit ohne Zustimmung der Krankenkasse nicht widersprochen werden.
Hat ein Versicherter bereits ohne Aufforderung durch die Krankenkasse einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt, ist das Dispositionsrecht hierdurch nicht eingeschränkt. In diesen Fällen besteht für die Krankenkassen die Möglichkeit, dass das Dispositionsrecht nachträglich eingeschränkt wird; in diesem Fällen spricht man von der sogenannten „nachgeschobenen Aufforderung“ zur Stellung eines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Wird ein Versicherter von der Agentur für Arbeit nach § 145 SGB III aufgefordert, einen entsprechenden Antrag zu stellen, ist das Dispositionsrecht ebenfalls eingeschränkt.
Praktische Umsetzung
Kommt es entsprechend § 116 Abs. 2 SGB VI zu einer Antragsumdeutung, wird der Versicherte von seitens des Rentenversicherungsträgers von der Umdeutung informiert. Zudem muss seitens des Versicherten noch ein formularmäßiger Rentenantrag ausgefüllt und dem Rentenversicherungsträger zur Verfügung gestellt werden. Hierfür wird eine Frist von sechs Wochen gesetzt. Der formularmäßige Rentenantrag ist erforderlich, da die hierin abgefragten Daten zur Beurteilung und Entscheidung des Rentenanspruchs benötigt werden.