Bessere Honorierung von Kindererziehung

Das RV-Leistungsverbesserungsgesetz (Gesetz über Leistungsverbesserungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung) vom 23.06.2014 ist am 01.07.2014 in Kraft getreten. Ein Kernelement der Leistungsverbesserungen war die Einführung einer sogenannten „Mütterrente“. Bei der Mütterrente handelt es sich, anders als die Bezeichnung vermuten lässt, um keine eigene Rentenart. Es handelt sich hierbei „lediglich“ um eine höhere Rentenleistung, mit der Mütter bzw. auch Väter für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder eine höhere Rente erhalten.

Aufgrund der Neuregelungen erwartet der Gesetzgeber für die Mütterrente im Jahr 2014 Mehrausgaben von etwa 3,3 Milliarden Euro. Im Jahr 2015 werden Mehrausgaben von etwa 6,7 Milliarden Euro erwartet. Bis zum Jahr 2030 wird die Mütterrente mit insgesamt geschätzten mehr als 100 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Diese Kosten sind überwiegend – da es nur eine geringe Steuerfinanzierung der Mütterrente gibt – hauptsächlich von den Beitragszahlern aufzubringen, auch wenn die Mütterrente eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Bisheriges Recht – Recht bis 30.06.2014

Die Kindererziehung wurde erstmals für Versicherte ab dem Geburtsjahrgang 1921 rentenrechtlich honoriert. Dies erfolgte im Rahmen des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (kurz: HEZG), welches zum 01.01.1986 in Kraft getreten ist. In diesem Rentenrecht wurde eine Kindererziehungszeit von einem Jahr anerkannt.

Mit dem Rentenreformgesetz 1992 (kurz: RRG 1992), im Rahmen dessen das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Kraft getreten ist, wurde eine Kindererziehungszeit für nach dem 31.12.1991 geborene Kinder auf drei Jahre ausgedehnt. Für Geburten vor dem 01.01.1992 blieb es bei der bisherigen Anerkennung einer Kindererziehungszeit im Umfang von einem Jahr. Jedes Jahr der Kindererziehung wird mit einem Entgeltpunkt bewertet, was einem Brutto-Rentenbetrag von (Werte ab Juli 2019) 33,05 Euro in den alten Bundesländern und 31,89 Euro in den neuen Bundesländern entspricht.

Nach § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI werden die Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten zu den Anwartschaften aus Beitragszahlungen bis zur Beitragsbemessungsgrenze hinzugerechnet; hier handelt es sich um die sogenannte additive Anrechnung.

Die Kindererziehungszeit wird dem Elternteil zugeordnet, der das Kind erzogen hat. Durch eine übereinstimmende Erklärung können die Elternteile bestimmen, wem die Erziehungszeit zugeordnet werden soll, wenn beide Eltern das Kind gemeinsam erzogen haben.

Neues Recht – Recht ab 01.07.2014

Ab dem 01.07.2014 wird die Ungleichbehandlung von Müttern, deren Kinder vor dem 01.01.1992 geboren wurden, im Vergleich zu den Müttern, deren Kinder nach dem 31.12.1992 geboren wurden, minimiert. Für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder wird die Kindererziehungszeit um ein weiteres Jahr ausgedehnt, sodass je Kind nun zwei Jahre Kindererziehungszeit anerkannt werden, was einen um 32,03 Euro bzw. 30,69 (Wert gültig ab Juli 2018) Euro höheren Rentenbetrag zur Folge hat.

In der Praxis wird die Kindererziehungszeit in den weit überwiegenden Fällen der Mutter zugeordnet, weshalb im Zusammenhang mit der nun erweiterten Anerkennung der Kindererziehungszeit von „Mütterrente“ die Rede ist. Auf diese sogenannte „Mütterrente“ bzw. die erweitere Berücksichtigung der Kindererziehungszeit haben allerdings auch Väter einen Anspruch, wenn diesen die Kindererziehungszeit zugeordnet wird.

Auf die zusätzlichen Rentenbeträge im Rahmen der Mütterrente haben nicht nur alle „Neu-Rentner“ ab 01.07.2014, sondern auch alle Bestandsrentner einen Anspruch. Bei der Umsetzung der Mütterrente wird bei Bestandsrentnern und Neu-Rentnern (ab 01.07.2014) unterschiedlich verfahren.

Bestandsrentner am 30.06.2014

Bei Bestandsrentnern, die am 30.06.2014 bereits im Rentenbezug stehen und in deren Rente eine Kindererziehungszeit berücksichtigt ist, werden die Neuregelungen des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes über eine sogenannte Zuschlagslösung umgesetzt. Dies bedeutet, dass mit Wirkung ab 01.07.2014 die Rente um einen Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes bzw. persönlichen Entgeltpunktes (Ost) erhöht wird. Diese Regelung wird auch bei allen Hinterbliebenenrentnern umgesetzt, sofern im Rentenkonto des/der Verstorbenen eine Kindererziehungszeit für vor 01.01.1992 geborene Kinder enthalten ist.

Für den Anspruch auf den Zuschlag nach § 307d SGB VI ist maßgebend, ob im 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes eine Kindererziehungszeit im Rentenversicherungskonto gespeichert ist. Damit wird der Zuschlag aufgrund der Pauschalierung auch dann zugesprochen, wenn das Kind im zweiten Lebensjahr von einer anderen Person erzogen wurde oder sogar gestorben ist. Der Zuschlag wird dann um die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge vermindert. Ggf. reduziert sich der Zuschlag dann noch um die vom Rentner zu zahlende Steuer.

Durch diese Regelung müssen Bestandsrenten nicht vollständig neu festgestellt werden. Damit ergibt sich vor allem auch kein neuer Rentenbeginn was die Konsequenz hat, dass die bislang anwendbare Regelung zur Rente nach Mindestentgeltpunkten aufgrund der Erhöhung der Rente durch den neuen Leistungsbetrag der Mütterrente nicht mehr zum Tragen kommt.

Grundsätzlich kommt die Mütterrente bei den Berechtigten vollständig an. Allerdings wird auch hier der jeweilige Rentenartfaktor angewandt. Auch beim Zusammentreffen von Einkommen und einer Rente wegen Todes oder einer Leistung aus der Unfallversicherung wird die Mütterrente berücksichtigt.

Als Zugangsfaktor wird bei den Bestandsrentnern immer der Faktor 1,0 angewandt. Dies gilt auch für evtl. Folgerenten. Das bedeutet, dass von der Mütterrente kein Abschlag in Abzug gebracht wird, welcher bei der eigentlichen Rente aufgrund einer vorzeitigen Inanspruchnahme in Kauf genommen werden musste.

Für die Gewährung der Mütterrente müssen die Betroffenen keinen gesonderten Antrag stellen. Die Umsetzung der ab 01.07.2014 neuen Regelungen erfolgt durch die Rentenversicherungsträger von Amts wegen.

Rentenzugänge ab 01.07.2014

Für alle Rentner mit Rentenbeginn ab 01.07.2014 – also ab Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes – wird die Mütterrente nicht mehr über einen Zuschlag zur Auszahlung gebracht. Hier wird die neue Regelung durch die zusätzliche Berücksichtigung von weiteren zwölf Monaten Kindererziehungszeit umgesetzt. Hier gelten dann für die erweitere Berücksichtigung der Kindererziehungszeit die gleichen Regelungen wie für alle anderen Kindererziehungszeiten. Durch diese Verfahrensweise wird auch erreicht, dass es nicht über mehrere Jahre bzw. sogar über Jahrzehnte hinweg zu Sonderregelungen kommt, die Folge der Erweiterung der Kindererziehungszeiten durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz sind.

Durch diese Regelung ist für alle Rentenzugänge ab 01.07.2014 auch relevant, wer im zweiten Kalenderjahr nach Ablauf des Monats der Geburt das Kind tatsächlich erzogen hat. Im Regelfall ist dies dem Rentenversicherungsträger bekannt. Damit wird die zusätzliche Kindererziehungszeit dem zugeordnet, der auch schon die Zeit für das erste Lebensjahr des Kindes erhalten hat.

Auch für die Rentenzugänge ab 01.07.2014 muss von den Betroffenen kein gesonderter Antrag gestellt werden, dass für die vor dem 01.01.1992 geborenen Kinder nun zwei Jahre Kindererziehungszeit anerkannt werden.

Sofern im Rentenkonto bereits vom 13. bis zum 24. Lebensmonat des Kindes eine Kinderberücksichtigungszeit anerkannt ist, wird das Versicherungskonto von Amts wegen aktualisiert und die Versicherten werden hierüber informiert.

Grundsätzlicher Rentenanspruch durch Mütterrente

Die Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten, welche die neue Mütterrente nun vorsieht, kann dazu führen, dass erstmals überhaupt ein Rentenanspruch entstehen kann. Durch ein weiteres Jahr an Kindererziehungszeit pro Kind, das vor dem 01.01.1992 geboren wurde, kann die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren bzw. 60 Kalendermonaten für die Regelaltersrente erreicht werden. Bestand bislang ab Erreichen der Regelaltersgrenze mangels Erfüllung der Wartezeit kein Rentenanspruch, kann dieser ab Juli 2014 unter Umständen realisiert werden. Dies gilt nicht nur für die Regelaltersrente, sondern auch für einen evtl. erstmaligen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente.

Sollte durch die Anerkennung der weiteren Kindererziehungszeiten nun ein Anspruch auf eine Rente entstehen, ist hierfür ein Rentenantrag zu stellen. Der Rentenversicherungsträger zahlt diese – anders als den zusätzlichen Rentenbetrag der Mütterrente – nicht von Amts wegen aus.

Sollte auch durch die zusätzlichen Kindererziehungszeiten die Wartezeit nicht erfüllt werden, kann die Fehlzeit über eine freiwillige Rentenbeitragszahlung erreicht werden. Dies kann für die Betroffenen finanziell attraktiv sein, wenn hierdurch ein Rentenanspruch mit einer laufenden Rentenzahlung erreicht wird.

Auswirkungen der Mütterrente auf einen Versorgungsausgleich

Die neue Mütterrente kann auch auf einen bereits durchgeführten Versorgungsausgleich Auswirkungen haben. Dies deshalb, weil sich hierdurch die während der Ehezeit erworbenen Rentenansprüche nachträglich ändern können. In diesem Fall kann ein Abänderungsverfahren eingeleitet werden, sofern der geschiedene Partner bereits in Rente ist oder der Rentenbeginn in sechs Monaten ansteht. Damit der einmal durchgeführte Versorgungsausgleich abgeändert wird, muss der vom Familiengericht nach der Ehescheidung festgesetzte Ausgleichswert wesentlich vom neuen Ausgleichswert abweichen. Dafür müssen zwei Grenzwerte überschritten werden. Ob die Grenzwerte überschritten werden, prüft das Familiengericht.

Ein Grenzwert ist, dass der neue Ausgleichswert um mindestens fünf Prozent vom bisherigen Ausgleichswert abweichen muss. Der zweite Grenzwert ist davon abhängig, ob der Versorgungsausgleich nach altem oder nach neuem Recht durchgeführt wurde. Sofern das alte Recht angewandt wurde, muss die Wertänderung des Rentenbetrags ein Prozent der am Ende der Ehezeit geltenden monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreiten. Wurde der Versorgungsausgleich nach neuem Recht durchgeführt, beträgt der Grenzwert 120 Prozent der zum Ende der Ehezeit geltenden Bezugsgröße.

Sofern ein Abänderungsverfahren nach altem Recht durchgeführt werden soll, ist zu beachten, dass hierbei vom Amtsgericht auch andere Anrechte beider geschiedener Ehegatten überprüft werden, die in den Versorgungsausgleich einbezogen wurden. Damit kann es durchaus auch vorkommen, dass nicht nur die neue Mütterrente, sondern auch andere Anwartschaften (unter Umständen auch zu Ungunsten des Antragstellers) im Abänderungsverfahren neu bewertet werden.

Beamtinnen und Beamte erhalten keine Mütterrente

Wer während der Erziehungszeit in einem anderen Versorgungssystem annähernd gleichwertige Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund einer Kindererziehung erhalten hat, erhält nach § 56 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI keine Kindererziehungszeit. Damit hat der Gesetzgeber Beamtinnen und Beamte und für Personen, die Versorgungsanrechte nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen haben, von der Mütterrente ausgeschlossen.

Verfassungsbeschwerde war anhängig!

Die unterschiedliche Umsetzung der Mütterrente hat zu erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken geführt. Während Rentner, die am 30.06.2014 im Rentenbezug standen, einen vollen Entgeltpunkt gutgeschrieben bekamen, kommt es bei Rentnern mit Rentenbeginn ab 01.07.2014 zu einer Entgeltpunktbegrenzung entsprechend § 70 Abs. 2 Satz s SGB VI in Verbindung mit Anlage 2b zum SGB VI.

Gegen die unterschiedliche Bewertung hat eine Beschwerdeführerin eine Verfassungsbeschwerde eingelegt, welche unter dem Aktenzeichen 1 BvR 287/14 geführt wurde. Mit Beschluss vom 16.12.2016 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung angenommen, da sie als unzulässig angesehen wurde. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht bereits auf einen am 29.08.2007 ergangenen Nichtannahmebeschluss (Az. 1 BvR 858/03) verwiesen. Hier wurde hinsichtlich § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Beitragsbemessungsgrenze als sachlicher Grund einer Ungleichbehandlung herausgestellt. Die damalige Verfassungsbeschere richtete sich unter anderem gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.12.2002 (Az. B 4 RA 46/01 R).

Bundessozialgericht vom 26.09.2019, B 5 R 6/18 R

Auch das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 26.09.2019 die Regelung zur Mütterrente (Mütterrente I) für verfassungsgemäß erklärt, was die Berücksichtigung von Adoptivkindern betrifft.

Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.09.2019 (Az. B 5 R 6/18 R) verstößt es nicht gegen das Verfassungsrecht, dass pauschal an die Anrechnung einer Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach dem Ablauf des Geburtsmonats des Kindes angeknüpft wird, um die Gewährung des Zuschlags für Kindererziehung zu beurteilen.

In dem sozialgerichtlichen Streitfall, welcher bis zum Bundessozialgericht ging, hatte eine Mutter geklagt, die ihre beiden Töchter adoptiert hatte. Eine Tochter wurde im Februar 1980 in die Adoptivpflege genommen und schließlich im März 1981 adoptiert. Da das Adoptivkind bereits im Juli 1977 geboren wurde, konnte im Rahmen der Rentenberechnung nur die Zeit ab 01.02.1980 als Berücksichtigungszeit für Kindererziehung anerkannt werden. Nach § 307d Abs. 2 SGB VI in der Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes ergab sich für die Klägerin kein höherer Rentenanspruch, da für den Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten die Anrechnung einer Kindererziehungszeit im 12. Kalendermonat nach dem Geburtsmonat des Kindes erforderlich ist. Die Tochter wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht in die häusliche Gemeinschaft mit der Klägerin aufgenommen.

Nach Ausführungen des 5. Senats des Bundessozialgerichts bestand für den Gesetzgeber keine Verpflichtung, Sonderregelungen für Adoptiveltern vorzusehen. Der § 307d SGB VI widerspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

Auch „Mütterrente II“ eingeführt

Union und SPD haben sich Anfang 2018 im Rahmen der Sondierungsgespräche für die Große Koalition auf die sogenannte „Mütterrente II“ geeinigt. Danach erhalten Mütter, deren Kinder vor dem 01.01.1992 geboren wurden, nun insgesamt zweieinhalb Jahre als Erziehungszeit bei der Rentenberechnung anerkannt bekommen. Damit wurde die unterschiedliche Berücksichtigung mit den Eltern minimiert, deren Kinder ab dem 01.01.1992 geboren sind.

Mit der „Mütterrente II“ wurden von der Deutschen Rentenversicherung Bund Mehrausgaben von ca. 3,5 Milliarden Euro errechnet. Die Forderung war, dass die Mehrausgaben der Mütterrente II über Steuermitteln finanziert werden.

Die „Mütterrente II“ wurde zum 01.01.2019 eingeführt.

Bildnachweis: © Robert Kneschke (www.robertkneschke.de)

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