Das Selbstbestimmungsrecht Pflegebedürftiger nach § 2 SGB XI
Nach § 2 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) sollen die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten.
Mit der Rechtsvorschrift des § 2 SGB XI werden grundlegende Aussagen zum Ziel der Sozialen Pflegeversicherung gesetzlich festgeschrieben und das Selbstbestimmungsrecht der Pflegebedürftigen normiert. Die Pflegebedürftigen können und sollen die Leistungen, welche das Elfte Buch Sozialgesetzbuch vorsieht, nach ihren Wünschen in Anspruch nehmen können, damit ein selbstständiges und selbstbestimmte Leben – soweit dies die Pflegebedürftigkeit noch zulässt – möglich ist. Trotz der Einschränkungen, welche die Pflegebedürftigkeit mit sich bringt, können und sollen Pflegebedürftige ihr Leben noch frei gestalten und somit für sich selbst Verantwortung übernehmen.
Aktivierende Pflege
Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB XI sind die Hilfen danach auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen und zu erhalten. An diesem Ziel müssen die Leistungserbringer arbeiten, angefangen von den Pflegepersonen über die Pflegekräfte bis hin zu den Pflegeeinrichtungen.
Mit der aktivierenden Pflege sollen noch vorhandene Fähigkeiten erhalten werden und nach Möglichkeit verlorene Fähigkeiten wiedererlangt bzw. zurückgewonnen werden. Bei der aktivierenden Pflege steht immer im Vordergrund, dass die Tätigkeiten, die ein Pflegebedürftiger noch selbst ausführen kann, auch selbst ausführen soll. In die Pflegetätigkeit soll der Pflegebedürftige auch aktiv einbezogen werden, damit die Pflegebedürftigkeit im Idealfall wieder überwunden wird oder dass zumindest der Pflegezustand verbessert oder einer Verschlimmerung vorgebeugt wird.
Die aktivierende Pflege soll alle körperbezogenen Pflegemaßnahmen und auch pflegerische Betreuungsleistungen einbeziehen. Auch die Organisation des Tagesablaufs und die Hilfen bei der Haushaltsführung müssen bei der aktivierenden Pflege Berücksichtigung finden.
Wahl zwischen Einrichtungen und Diensten
Nach § 2 Abs. 2 SGB XI können die Pflegebedürftigen zwischen Einrichtungen und Diensten der verschiedenen Träger wählen. Soweit angemessen, soll ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden.
Dieses Wahlrecht und Wunschrecht ist bedeutend dafür, dass die Versicherten bei Pflegebedürftigkeit ein menschenwürdiges Leben führen können. Die Pflegekassen dürfen einen Versicherten im Falle der Leistungsgewährung nicht bevormunden. Die Solidargemeinschaft kann jedoch nur angemessenen Wünschen, welche hinsichtlich des Leistungs- und Versorgungsangebotes eingeräumt werden, Rechnung tragen. Letztendlich sind durch das Wirtschaftlichkeitsgebot, das in § 29 SGB XI geregelt ist, diesem Wahl- und Wunschrecht der Pflegebedürftigen auch Grenzen gesetzt; nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot dürfen die Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Im Rahmen der Wahl zwischen den Einrichtungen und Diensten der verschiedenen Träger hat der pflegebedürftige Versicherte in erster Linie die Wahl der Versorgungsform. Es kann darüber entschieden werden, ob die häusliche, teilstationäre oder vollstationäre Pflege beansprucht wird. Bei den ambulanten Pflegeleistungen besteht auch die Wahl, ob die Pflegesachleistung, das Pflegegeld oder die Kombinationsleistung beansprucht wird.
Rücksicht auf religiöse Bedürfnisse
Auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist nach § 2 Abs. 3 SGB XI Rücksicht zu nehmen. Die Pflegebedürftigen sollen auf ihren Wunsch hin Leistungen der stationären Pflege in Einrichtungen erhalten, in der sie durch Geistliche ihres Bekenntnisses betreut werden können.
Als Folge der Grundrechtsbestimmung des Artikel 4 Grundgesetz (GG) wurde § 2 Abs. 3 SGB XI aufgenommen. Insbesondere bei einer Heimunterbringung soll sichergestellt werden, dass die religiösen Bekenntnisse der Pflegebedürftigen geachtet werden und auch eine seelsorgerische Betreuung möglich ist.
Hinweis auf die Rente zur Selbstbestimmung
Nach § 2 Abs. 3 SGB XI sind die Pflegebedürftigen auf die Rechte nach den Absätzen 2 und 3 (des § 2 SGB X) hinzuweisen.
Mit dieser gesetzlichen Regelung sind die Pflegekassen verpflichtet, die Pflegebedürftigen über die Rechte zu informieren. Damit soll gewährleistet werden, dass seitens der Pflegebedürftigen deren Wünsche geäußert werden können und sie auch tatsächlich von ihrem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch machen können.
Die allgemeine Pflicht der Leistungsträger zur Aufklärung, Beratung und Auskunft (§§ 13 bis 15 SGB I) wird damit nochmals für die gesetzlichen Pflegekassen im Hinblick auf deren Selbstbestimmungsrecht geregelt. Die Pflegebedürftigen sollen damit auch tatsächlich in den Stand gesetzt werden, dass diese auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können bzw. Gebrauch machen. Die Pflegekassen haben die Hinweispflicht nach § 2 Abs. 4 SGB XI unabhängig von konkreten Anfragen seitens der Pflegebedürftigen.
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