Die Alternativen zum Hausbesuch durch den Medizinischen Dienst

Stellt ein Versicherter bei der Sozialen Pflegeversicherung einen Antrag auf Einstufung in einen Pflegegrad, werden die Voraussetzungen hierfür durch den Medizinischen Dienst (MD) geprüft. Gleiches gilt, wenn ein Höherstufungsantrag gestellt wird. Ein Höherstufungsantrag wird dann gestellt, wenn ein Versicherter bereits einem Pflegegrad zugeordnet ist, dieser jedoch – beispielsweise aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes – als nicht mehr ausreichend angesehen wird.

Im Rahmen der Begutachtung stellt der MD fest, welcher Hilfebedarf bzw. welche Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit vorliegen, vergibt in den einzelnen Modulen Punkte, welche dann gewichtet zu einer Gesamtpunktzahl addiert werden (s. hierzu auch: Grad der Pflegebedürftigkeit | Pflegegrade). Die Gesamtpunktzahl gibt dann den entsprechenden Pflegegrad wieder.

Für die Gutachtenerstellung gibt es verschiedene Möglichkeiten, welche ab dem 26.09.2024 durch die Möglichkeit der Begutachtung per Videotelefonie erweitert wurden.

Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuchs

Der Regelfall ist, dass die Begutachtung des Versicherten im Wohnbereich durchgeführt wird. Ein Gutachter des Medizinischen Dienstes kommt nach vorheriger Terminmitteilung in den Wohnbereich der antragstellenden Person und nimmt vor Ort – also im häuslichen Bereich – eine umfassende persönliche Befunderhebung vor.

Die Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuchs wird gleichermaßen bei Anträgen auf ambulante Pflegeleistungen (z. B. Pflegegeld, Kombinationsleistung, Pflegesachleistung) und bei vollstationären Pflegeleistungen durchgeführt.

Im Anschluss an die Begutachtung erstellt der Medizinische Dienst ein Gutachten, welches der zuständigen Pflegekasse übermittelt wird und das Grundlage für die Entscheidung ist, welchen Pflegegrad der Versicherte bewilligt bekommt.

Dass die Begutachtung im Wohnbereich der Regelfall ist, wird unter Punkt 6.1.1 der Begutachtungs-Richtlinien (Richtlinien des GKV-Spitzenverbades zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit) geregelt und beschrieben.

Begutachtung nach Aktenlage

Gutachten zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit können bzw. müssen dann nach Aktenlage erstellt werden, wenn die Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuchs nicht möglich oder im Einzelfall nicht zumutbar ist. Eine Begutachtung ist im Rahmen des Hausbesuchs insbesondere dann nicht mehr möglich, wenn der Versicherte verstorben ist.

Zumutbar ist eine Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuchs dann nicht, wenn sich der Versicherte beispielsweise in einer stationären Hospizversorgung befindet oder die ambulante Palliativpflege beansprucht.

Ist die Informationslage beim Medizinischen Dienst eindeutig, kann bei Höherstufungsanträgen, Widerspruchsgutachten, Rückstufungsanträgen und Wiederholungsbegutachtungen ebenfalls auf einen Hausbesuch verzichtet und das Gutachten per Aktenlage erstellt werden. Die Informationslage ist dann eindeutig, wenn dem Gutachter alle erforderlichen Informationen zur Beurteilung und Bewertung der Module 1 bis 6 vorliegen.

Im Gutachten muss, sofern kein Hausbesuch erfolgt, begründet werden, weshalb die Begutachtung nach Aktenlage durchgeführt wurde.

Begutachtung durch strukturiertes Telefoninterview

Mit dem Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) wurden die gesetzlichen Regelungen geschaffen, dass eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst auch im Rahmen eines strukturierten Telefoninterviews erfolgen kann. Voraussetzung für die Durchführung des strukturierten Telefoninterviews ist nach Punkt 3.2.2.4 Begutachtungs-Richtlinien, dass die antragstellende Person hierfür ihre Zustimmung erteilt.

Hat die antragstellende Person den Wunsch, die Begutachtung im Rahmen eines Hausbesuchs zu bekommen, geht dieser Wunsch dem strukturierten Telefoninterview vor. Über das Wahlrecht muss der Medizinische Dienst im Rahmen der Terminabsprache informieren.

Nicht sämtliche Begutachtungen können bzw. dürfen im Rahmen eines strukturierten Telefoninterviews durchgeführt werden. Punkt 6.1.2 Begutachtungs-Richtlinien definiert genau, unter welchen Bedingungen ein strukturiertes Telefoninterview zum Einsatz kommen darf. Dies ist bei Höherstufungsbegutachtungen und bei Wiederholungsbegutachtungen der Fall, sofern der Versicherte das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat.

Eine kritische Überprüfung muss seitens des Medizinischen Dienstes hinsichtlich der Durchführung eines strukturierten Telefoninterviews bei Personen erfolgen, die an einer seltenen chronischen Erkrankung leiden, alleinlebend mit einer diagnostizierten dementiellen Erkrankung oder erheblichen kognitiven Beeinträchtigung sind oder wenn es sich um eine alleinlebende Person mit psychischen Erkrankungen handelt, sofern der Hausbesuch für sie keine untragbare Belastung darstellt.

In bestimmten Fällen kann ein strukturiertes Telefoninterview nur dann durchgeführt werden, wenn eine Unterstützungsperson mit anwesend ist. Dies ist der Fall, wenn es sich bei der antragstellenden Person um einen Jugendlichen zwischen dem 14. und unter dem 18. Lebensjahr handelt, wenn bei der antragstellenden Person psychische Problemlagen oder kognitive und kommunikative Beeinträchtigungen vorliegen oder wenn eine sprachliche Verständigung mit dem Gutachter nicht möglich oder schwierig ist.

Begutachtung per Videotelefonie

Wenn eine Begutachtung im Rahmen eines strukturierten Telefoninterviews in Betracht kommen kann, dann kann die Begutachtung auch per Videotelefonie durchgeführt werden. Diese Möglichkeit wurde durch die am 26.09.2024 in Kraft getretenen Begutachtungs-Richtlinien eröffnet. Die Grundlagen für die Begutachtung per Videotelefonie wurden mit dem „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz) geschaffen.

Der Einsatz der Videotelefonie ermöglicht den Medizinischen Diensten, dass deren Gutachten zielgerichteter und effektiver eingesetzt werden können und auch die für die Begutachtung notwendigen Informationen im sichtbaren Kontakt mit den Beteiligten erheben können. Dadurch kann den steigenden Begutachtungszahlen entgegengekommen werden und sichergestellt werden, dass die Versicherten einen zeitnahen Zugang zu den Pflegeleistungen erhalten.

Ein Vorteil bietet sich bei der Begutachtung per Videotelefonie auch für die Angehörigen. Diese müssen beim Begutachtungstermin nicht im häuslichen Bereich der antragstellenden Person sein.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich bei der Videotelefonie um ein ortsungebundenes Format der Pflegebegutachtung handelt, mit der eine weitere Möglichkeit zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit bzw. zur Feststellung des Pflegegrades geschaffen wurde.

Weitere Artikel zum Thema: