Krankenversicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Arbeiter und Angestellte in der Gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei, wenn das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach den Absätzen 6 oder 7 übersteigt. Bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts bleiben Zuschläge unberücksichtigt, wenn diese mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden (auch wenn diese als Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung gelten).

Die Versicherungspflicht endet nach § 6 Abs. 4 SGB V mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird. Sofern das Entgelt die vom Beginn des nächsten Kalenderjahres geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überschreitet, endet die Versicherungspflicht nicht.

In der Zeit vom 26.03.2007, also ab Inkrafttreten der Änderungen im Rahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG), bis zum 31.12.2010 endete die Versicherungspflicht nur dann, wenn von einem Beschäftigten die Jahresarbeitsentgeltgrenze auch in den drei vorhergehenden Kalenderjahren überschritten wurde. Diese zusätzliche vergangenheitsbezogene Beurteilung wurde ab dem Jahr 2011 wieder aufgehoben.

Prüfung der Krankenversicherungspflicht/-freiheit

Die Prüfung, ob ein Beschäftigter der Krankenversicherungspflicht unterliegt oder aufgrund des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze krankenversicherungsfrei ist, muss immer

  • zu Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses,
  • zum Jahreswechsel und
  • bei jeder Änderung des Arbeitsentgelts

geprüft werden.

Das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt

Bei der Berechnung des Jahresarbeitsentgelts sind grundsätzlich alle Einkünfte des Beschäftigten, die Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) und der Sozialversicherungsentgeltverordnung sind, zu berücksichtigen. Einnahmen, die kein Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV und der Sozialversicherungsentgeltverordnung sind, sind daher bei der Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts nicht zu berücksichtigen.

Zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 SGB V gehört neben dem regelmäßig gewährten laufenden Arbeitsentgelt auch einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, welches mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal jährlich geleistet wird.

Das Bundessozialgericht hat mit zwei Urteilen vom 09.12.1981 (Az. 12 RK 19/81 und 12 RK 20/81) entschieden, dass zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt auch Vergütungen für vertraglich vorgesehenen Bereitschaftsdienst gehören. Sollten Überstunden in Form von festen Pauschalbeträgen regelmäßig abgegolten werden, gehören auch diese zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt. „Normale“ Vergütungen für Überstunden dürfen hingegen nicht zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt gezählt werden, da diese unregelmäßig sind. Vergütungen für einen vertraglich vorgesehenen Bereitschaftsdienst müssen beim regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt Berücksichtigung finden.

Das Arbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wird wie folgt ermittelt:

Summe aller Bezüge aus der Beschäftigung
abzgl. Einkünfte, die kein Arbeitsentgelt sind
= Jahresarbeitsentgelt
abzgl. unregelmäßiges Arbeitsentgelt (beispielsweise Überstundenvergütung)
= regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt
abzgl. Familienzuschläge (beispielsweise Kinderzuschlag)
= regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V

Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts

Das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt wird berechnet, indem das durchschnittliche Monatsentgelt mit 12 multipliziert wird. Das durchschnittliche Monatsentgelt wird bei Stundenlöhnern ermittelt, indem der Stundenlohn mit der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit (ohne Überstunden) mit 13 multipliziert und durch 3 dividiert wird. Zusätzlich wird noch ein regelmäßig gewährtes Arbeitsentgelt addiert.

Sollten schwankende Bezüge vorhanden sein, ist das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt zu schätzen. Diese Schätzung bleibt auch dann bestehen, wenn sich diese im Nachhinein als unzutreffend herausstellt. Eine Korrektur wird dann nur für die Zukunft vorgenommen. Die versicherungsrechtliche Beurteilung wird für die Vergangenheit nicht mehr zurückgenommen.

Bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts sind alle bekannten Entgeltminderungen zu berücksichtigen. Eine bekannte Entgeltminderung liegt beispielsweise bei einer bereits feststehenden Arbeitszeitverkürzung oder einem unbezahlten Urlaub vor. Auch ein Entgeltausfall durch die Mutterschutzfristen bei einer werdenden Mutter ist zu berücksichtigen, wie das Bundessozialgericht mit Urteil vom 07.06.2018 (Az. B 12 KR 7/16 R) entschieden hatte.

Variable Arbeitsentgeltbestandteile

Grundsätzlich gehören variable Arbeitsentgeltbestandteile nicht zum regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt. Irrelevant ist dabei, ob diese Arbeitsentgeltbestandteile individuell-leistungsbezogen oder unternehmenserfolgsbezogen geleistet werden.

Sollte allerdings ein Anspruch auf die variablen Arbeitsentgeltbestandteile in Form eines Mindestbetrags oder garantierten Anteils ergeben, müssen diese bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts eingerechnet werden.

Ebenfalls werden variable Entgeltbestandteile dem regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt zugeordnet, wenn diese individuell-leistungsbezogen geleistet werden und üblicherweise Bestandteil des monatlich zufließenden laufenden Arbeitsentgelts sind. Schwankt die Höhe der variablen Entgeltbestandteile von Monat zu Monat, muss der maßgebende/anzusetzende Betrag im Rahmen einer Prognose bzw. vorausschauenden Schätzung festgesetzt werden.

Präzisierung in den Grundsätzlichen Hinweise vom 20.03.2019

Die Berücksichtigung der variablen Arbeitsentgeltbestandteile wurde zuletzt in den Grundsätzlichen Hinweisen des GKV-Spitzenverbandes zur Versicherungsfreiheit von Arbeitnehmern bei Überschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze vom 20.03.2019 wie folgt konkretisiert:

Variable Arbeitsentgeltbestandteile gehören – unabhängig davon, ob sie individuell-leistungsbezogen oder unternehmenserfolgsbezogen gezahlt werden – grundsätzlich nicht zum regelmäßigen Arbeitsentgelt, da in aller Regel zum Zeitpunkt der Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts ungewiss ist, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe diese Entgeltbestandteile gewährt werden. Besteht hingegen ein Anspruch auf einen Mindestbetrag oder garantierten Anteil an individuell-leistungsbezogenen oder unternehmenserfolgsbezogenen Arbeitsentgeltbestandteilen, sind diese Entgeltbestandteile bei der Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts zu berücksichtigen. Entsprechend dieser Grundsätze sind auch variable Arbeitsentgeltbestandteile, die in Form von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt gewährt werden, angesichts der regelmäßig nicht vorhersehbaren Erfüllung der üblicherweise an sie gestellten Voraussetzungen und mithin der im Vorfeld ungewissen Gewährung von vornherein nicht dem regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt zuzuordnen. Bei ihnen handelt es sich um unregelmäßige Arbeitsentgeltbestandteile, die einer prognostischen Betrachtung bzw. einer Schätzung im Wege einer Durchschnittsbetrachtung nicht zugänglich sind. Hierunter fallen beispielsweise die nachträgliche Zahlung eines (anteiligen) Weihnachtsgeldes in Abhängigkeit vom Geschäftsergebnis des Vorjahres oder die Zahlung einer individuellen Prämie im Rahmen der sogenannten leistungsorientierten Bezahlung. Variable Arbeitsentgeltbestandteile, die individuell-leistungsbezogen gewährt werden, sind allerdings dann dem regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt zuzurechnen, wenn sie üblicherweise Bestandteil des monatlich zufließenden laufenden Arbeitsentgelts sind und dieses insoweit mitprägen. Sofern sich das monatlich zufließende Arbeitsentgelt typischerweise aus einem vertraglich fest vereinbarten Fixum sowie einem erfolgsabhängigen und somit variablen Anteil zusammensetzt, wird das monatliche Arbeitsentgelt auch von dem variablen Anteil dergestalt charakterisiert, dass bei dem variablen Arbeitsentgeltbestandteil gleichermaßen von einem regelmäßigen Arbeitsentgelt auszugehen ist; die Höhe des monatlich zufließenden variablen Arbeitsentgeltbestandteils bzw. dessen Relation zum ggf. vertraglich vereinbarten Fixum ist dabei grundsätzlich nicht von Bedeutung. Bei schwankender Höhe des variablen Arbeitsentgeltbestandteils ist der für die Ermittlung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts maßgebende Betrag im Wege einer Prognose bzw. vorausschauenden Schätzung zu ermitteln.

Damit müssen folgende Fragen zur Beurteilung beantwortet werden:

  • Handelt es sich um eine unternehmenserfolgsbezogene Provision/Tantieme? Wenn ja, dann ist diese unregelmäßig und damit nicht auf das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt anzurechnen.
  • Ist die individuell-leistungsbezogene Provision/Tantieme üblicherweise Bestandteil des monatlich zufließenden laufenden Arbeitsentgelts und prägt sie dieses insoweit? Wenn nein, ist diese unregelmäßig und es erfolgt ebenfalls keine Anrechnung auf das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt.

Sollte die erste Frage (erster Spiegelstrich) mit nein bzw. die zweite Frage (zweiter Spiegelstrich) mit ja beantwortet werden, ist die Provision/Tantieme regelmäßig mit der Konsequenz, dass eine Anrechnung auf das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt erfolgt.

Mehrfachbeschäftigte

Sollte ein Arbeitnehmer mehrere Beschäftigungen ausüben, ist das Arbeitsentgelt aus allen Beschäftigungen zusammenzurechnen. Arbeitsentgelt, welches aus einer versicherungsfreien geringfügig entlohnten Beschäftigung bezogen wird, wird bei der Berechnung des regelmäßigen Jahresarbeitsentgelts nicht berücksichtigt.

Die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze

Im Jahr 2003 wurde wie Jahresarbeitsentgeltgrenze von 40.500 Euro auf 45.900 im Rahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) übermäßig stark angehoben. Sinn und Zweck dieser Anhebung war, dass ein großer Teil der krankenversicherungsfreien Beschäftigten wieder der Versicherungspflicht unterworfen sind. Für Versicherte der privaten Krankenversicherung hätte dies bedeutet, dass sie wieder in die Gesetzliche Krankenversicherung hätten zurückkehren müssen. Daher wurde eine besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze eingeführt, weshalb seit dem Jahr 2003 zwischen der allgemeinen und besonderen Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschieden wird.

Zur Beurteilung der Krankenversicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ist für Beschäftigte die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze maßgebend, wenn diese am 31.12.2002 bereits wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei waren und in einer substitutiven Krankenversicherung – einer privaten Krankheitsvollversicherung – versichert waren. Damit wurde ein Bestandsschutz für die damals Privatversicherten eingeführt, welcher einen Verbleib im privaten Krankenversicherungsunternehmen ermöglichte. Um eine substitutive Krankenversicherung handelt es sich dann, wenn die private Krankenversicherung den Versicherungsschutz der Gesetzlichen Krankenversicherung ganz oder teilweise gewährt. Hierunter fallen alle Vollversicherungen der privaten Krankenversicherung, nicht jedoch Zusatz- oder Ergänzungstarife.

Übersicht der allgemeinen und besonderen Jahresarbeitsentgeltgrenze

Jahr
Allgemeine Grenze
(§ 6 Abs. 6 SGB V)
Besondere Grenze
(§ 6 Abs. 7 SGB V)
2003 45.900 Euro 41.400 Euro
2004 46.350 Euro 41.850 Euro
2005 46.800 Euro 42.300 Euro
2006 47.250 Euro 42.750 Euro
2007 47.700 Euro 42.750 Euro
2008 48.150 Euro 43.200 Euro
2009 48.600 Euro 44.100 Euro
2010 49.950 Euro 45.000 Euro
2011 49.500 Euro 44.550 Euro
2012 50.850 Euro 45.900 Euro
2013 52.200 Euro 47.250 Euro
2014 53.550 Euro 48.600 Euro
2015 54.900 Euro 49.500 Euro
2016 56.250 Euro 50.850 Euro
2017 57.600 Euro 52.200 Euro
2018 59.400 Euro 53.100 Euro
2019 60.750 Euro 54.450 Euro
2020 62.550 Euro 56.250 Euro
2021 64.350 Euro 58.050 Euro
2022 64.350 Euro 58.050 Euro
2023 66.600 Euro 59.850 Euro
2024 69.300 Euro 62.100 Euro

Ende der Mitgliedschaft

Besteht bei einem Beschäftigten zunächst Krankenversicherungspflicht, endet die Mitgliedschaft im Falle einer Entgelterhöhung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Grenze überschritten wird. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass auch die Jahresarbeitsentgeltgrenze des folgenden Jahres überschritten wird.

Sollte sich das Arbeitsentgelt rückwirkend erhöhen, endet den Krankenversicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf das erhöhte Arbeitsentgelt entstanden ist.

Sollte ein Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung aufnehmen und sofort mit dem regelmäßigen Jahresarbeitsentgelt die relevante Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten, besteht die Krankenversicherungsfreiheit bereits ab Beginn der Beschäftigung.

Endet die Mitgliedschaft aufgrund des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze, kann der Krankenversicherungsschutz im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung nach § 9 SGB V fortgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate ein Versicherungsschutz in der Gesetzlichen Krankenversicherung bestand oder unmittelbar vor dem Ausscheiden für mindestens zwölf Monate eine ununterbrochene Vorversicherungszeit nachgewiesen werden kann.

Wird die Vorversicherungszeit für die freiwillige Krankenversicherung nicht erfüllt, wird durch eine obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V eine freiwillige Weiterversicherung ohne Vorversicherungszeiten ermöglicht. Diese obligatorische Anschlussversicherung beginnt am Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht als freiwillige Krankenversicherung. Voraussetzung hierfür ist, dass nicht innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten der Austritt erklärt wird. Der Austritt kann nur dann erklärt werden, wenn ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird.

Sollte nach dem Ausscheiden aus der Krankenversicherungspflicht sowohl ein Anspruch auf eine freiwillige Krankenversicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V als auch auf die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V bestehen, wird § 188 Abs. 4 SGB V vorrangig angewandt.

Hinweis: Unterschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze

Sollte während eines Kalenderjahres mit dem Einkommen die Jahresarbeitsentgeltgrenze unterschritten werden, tritt die Krankenversicherungspflicht sofort – also nicht erst zum Ende des Kalenderjahres – wieder ein. Sollte jedoch nur eine zeitlich befristete Minderung des Entgelts von bis zu drei Monaten eingetreten sein, bleibt die Krankenversicherungsfreiheit weiter bestehen.

Bildnachweis: © Tom Wang

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