Die Wahltarife der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 53 SGB V

Die Rechtsvorschrift des § 53 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) regelt die Wahltarife, welche die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten anbieten müssen bzw. können. Bei den Wahltarifen wird zwischen den Pflicht-Tarifen und den Kann-Tarifen unterschieden. Während die Pflicht-Tarife zwingend von jeder Krankenkasse angeboten werden müssen, sind die Kann-Tarife ein freiwilliges Angebot, über das jede Krankenkasse selbst entscheiden kann.

Zu den Pflicht-Tarifen gehören Tarife zu besonderen Versorgungsformen und zum Krankengeld. Zu erkennen sind die Pflicht-Tarife in § 53 SGB V je Absatz daran, dass der jeweilige Satz mit „Die Krankenkasse hat …“ beginnt. Hierbei handelt es sich um die Absätze 3 und 6 des § 53 SGB V.

Zu den Kann-Tarifen gehören Tarife für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen, die Nichtinanspruchnahme von Leistungen, Leistungsbeschränkungen, Selbstbehalt und variable Kostenerstattung. Zu erkennen sind die Kann-Tarife in § 53 SGB V je Absatz daran, dass der jeweilige Satz mit „Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung vorsehen …“ beginnt. Hierbei handelt es sich um die Absätze 1; 2; 4; 5 und 7 des § 53 SGB V.

Historie zu den Wahltarifen

Die Möglichkeit bzw. die Verpflichtung für die gesetzlichen Krankenkassen, dass Wahltarife für die Versicherten angeboten werden können bzw. müssen, wurde mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz für die Zeit ab dem 01.04.2007 eröffnet. Die Versicherten selbst haben keine Pflicht, einen Wahltarif bei ihrer Krankenkasse abzuschließen. Die Teilnahme an einem Wahltarif ist für die Versicherten damit freiwillig.

Mit den Wahltarifen wollte der Gesetzgeber den einzelnen gesetzlichen Krankenkassen ein Instrument an die Hand geben, mit dem diese sich hinsichtlich ihres Angebotes besser voneinander abgrenzen können. Dies unter anderem im Hinblick darauf, dass ein Großteil der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung durch die gesetzlichen Vorschriften geregelt und damit identisch ist. Mit den Wahltarifen können sich die Krankenkassen neben dem Serviceangebot und einem möglichst niedrigen Zusatzbeitrag auch bei den Wahltarifen voneinander abgrenzen, womit der Wettbewerb im System der Gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt werden soll.

Die Pflicht-Wahltarife

Wahltarif „Besondere Versorgungsformen“

Jede Krankenkasse muss nach § 53 Abs. 3 SGB V in ihrer Satzung einen Wahltarif für besondere Versorgungsformen anbieten. Als besondere Versorgungsformen gelten danach Versorgungsformen nach § 63, § 73b; § 137f und § 140a SGB V. Hierunter fallen die Modellvorhaben, die hausarztzentrierte Versorgung, Tarife mit Bindung an bestimmte Leistungserbringer, Disease-Management-Programme (DMPs) und die integrierte Versorgung.

Wählen Versicherte einen Wahltarif nach § 53 Abs. 3 SGB V, kann die Krankenkasse hierfür eine Prämienzahlung oder eine Zuzahlungsermäßigung vorsehen.

Wahltarif „Krankengeld“

Nach § 53 Abs. 6 SGB V muss jede Krankenkasse auch einen Wahltarif „Krankengeld“ anzubieten. Der Wahltarif muss für die Versicherten angeboten werden, die in § 44 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB V genannt sind. Dies sind einerseits hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige. Andererseits sind dies unständig bzw. kurzzeitig Beschäftigte, da diese keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) für die Dauer von mindestens sechs Wochen haben. Ebenso muss ein Wahltarif „Krankengeld“ für die nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) Versicherten angeboten werden.

Der Wahltarif kann vorsehen, dass der Krankengeldanspruch im Falle einer Arbeitsunfähigkeit entsprechend § 46 Satz 1 SGB V (bei einer Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung ab Beginn, im Übrigen ab dem Tag der ärztlichen Feststellung) oder zu einem späteren Zeitpunkt beginnt. Für Versicherte nach dem KSVG muss der Krankengeldanspruch allerdings spätestens mit Beginn der dritten Woche entstehen.

Im Rahmen des Wahltarifes „Krankengeld“ kann von § 47 SGB V abgewichen werden. Das bedeutet, dass das Krankengeld aus dem Wahltarif hinsichtlich Höhe und Berechnung von den „normalen“ Regelungen abweichen darf.

Dafür, dass die Leistung „Krankengeld“ über einen Wahltarif angeboten wird, müssen die Krankenkassen zusätzliche Prämien verlangen, welche unabhängig von Alter, Geschlecht oder Krankheitsrisiko des Mitglieds festgelegt werden müssen.

Hinweis: Für die Personen, für die ein Wahltarif angeboten werden kann, wurde auch die Möglichkeit eingeführt, das sogenannte Optionskrankengeld zu wählen. Das bedeutet, dass die betroffenen Versicherten hinsichtlich der Leistung Krankengeld zwischen einem Wahltarif und dem Optionskrankengeld wählen können.

Die Kann-Wahltarife

Wahltarif „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“

Zu den Kann-Wahltarifen zählt ein Wahltarif „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“. In diesem Bereich können die Krankenkassen nach § 53 Abs. 5 SGB V in ihrer Satzung die Übernahme für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen anbieten, wenn die Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 1 von der Versorgung ausgeschlossen sind. Im Rahmen eines solchen Wahltarifs können damit nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel übernommen werden, die von der Regelversorgung ausgeschlossen sind.

Mit einem solchen Wahltarif hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dass die gesetzlichen Krankenkassen dem Wunsch der Versicherten gerecht werden können, für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen die Kosten zu übernehmen

Wählt ein Versicherter diesen Wahltarif, muss eine spezielle Prämienzahlung durch den Versicherten erfolgen.

Wahltarif „Nichtinanspruchnahme von Leistungen“

Ein weiterer Kann-Wahltarif kann nach § 53 Abs. 2 SGB V bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen angeboten werden.

Der Wahltarif kann – sofern die Satzung der zuständigen Krankenkasse einen entsprechenden Tarif vorsieht – von Mitgliedern gewählt werden, die länger als drei Monate versichert waren. Werden vom Mitglied und den nach § 10 SGB V familienversicherten Angehörigen in einem Kalenderjahr keine Leistungen zu Lasten der Krankenkasse beansprucht, kann eine Prämienzahlung geleistet werden. Die Prämienzahlung darf ein Zwölftel der im jeweiligen Kalenderjahr gezahlten Beiträge nicht überschreiten.

Unberücksichtigt bleiben Leistungen nach § 23 Abs. 2 SGB V (ambulante Vorsorgeleistungen in einem anerkannten Kurort) und den § 24 bis 24b SGB V (medizinische Vorsorge für Mütter und Väter, Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation) und Leistungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Mit Urteil vom 22.06.2010 (Az. B 1 A 1/09 R) hat das Bundessozialgericht entschieden, dass im Rahmen des Wahltarifs „Nichtinanspruchnahme von Leistungen“ nach § 53 Abs. 2 SGB V keine Staffelprämien angeboten werden dürfen. Durch die gesetzliche Vorschrift wird abschließend bestimmt, dass es zu Prämienzahlungen nur kommen kann, wenn eine völlige ganzjährige Nichtinanspruchnahme der einschlägigen Leistungen vorliegt.

Wahltarif „Leistungsbeschränkungen“

Ein weiterer Wahltarif ist ein Wahltarif „Leistungsbeschränkungen“ nach § 53 Abs. 7 SGB V. Für bestimmte Mitgliedergruppen können von einer Krankenkasse Prämienzahlungen vorgesehen werden, wenn der Umfang der Leistungen nach den Vorschriften des SGB V beschränkt wird.

Wahltarif „Selbstbehalt“

Nach § 53 Abs. 1 SGB V haben die Krankenkassen die Möglichkeit einen Wahltarif anzubieten, mit dem sich die Versicherten für einen Selbstbehalt entscheiden können. Eine Prämienzahlung wird nach diesem Wahltarif dann geleistet, wenn sich das Mitglied im Rahmen des Wahltarifs bereit erklärt, jeweils für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten selbst zu übernehmen.

Wahltarif „Variable Kostenerstattung“

Mit dem Wahltarif „Variable Kostenerstattung“ können Versicherte – die Mitglieder und ihre nach § 10 SGB V familienversicherten Angehörigen – nach § 53 Abs. 4 SGB V Tarife mit einer variablen Kostenerstattung wählen. Dabei können die Krankenkassen in ihrer Satzung die Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen vorsehen. Explizit wird darauf hingewiesen, dass § 13 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V nicht gilt. Dies bedeutet, dass durch die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung die Krankenkasse nicht in Kenntnis gesetzt werden muss und dass der Leistungserbringer die Versicherten vor Leistungsinanspruchnahme nicht darüber informieren muss, dass der nicht von der Krankenkasse übernommene Anteil vom Versicherten zu tragen ist.

Die Krankenkassen, die in ihrer Satzung einen Wahltarif mit variabler Kostenerstattung anbieten, können die Höhe der Kostenerstattung variabel gestalten. So ist es beispielsweise möglich, dass der Erstattungssatz das 2,3fache nach GOÄ/GOZ ist. Entstehen dabei Mehrkosten gegenüber der Leistungserbringung im Rahmen der Sachleistung, muss vom Versicherten eine entsprechend einkalkulierte Prämie eingefordert werden.

Mit der Möglichkeit, dass die gesetzlichen Krankenkassen einen Wahltarif mit variabler Kostenerstattung anbieten können, wird die Wettbewerbsposition gegenüber der Privaten Krankenversicherung gestärkt.

Bindungsfrist

Wählt ein Versicherter einen Wahltarif, ist er an diesen für eine gesetzlich bestimmte Zeit gebunden. Durch § 53 Abs. 8 SGB V wird die Mindest-Bindungsfrist für die Wahltarife geregelt. Danach beträgt die Mindest-Bindungsfrist bei den Wahltarifen „Selbstbehalt“ und „Krankengeld“ drei Jahre. Diese lange Mindest-Bindungsfrist ist deshalb erforderlich, weil die Krankenkassen für diese Tarife eine notwendige langfristige Kalkulationsgrundlage benötigen.

Bei den Wahltarifen „Nichtinanspruchnahme von Leistungen“, „Variable Kostenerstattung“ und „Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen“ beträgt die Mindest-Bindungsfrist ein Jahr. Beim Wahltarif „Besondere Versorgungsformen“ gibt es keine Mindest-Bindungsfrist.

Die Mitgliedschaft bei der Krankenkasse kann bei Abschluss eines Wahltarifs frühestens zum Ablauf der jeweiligen Mindest-Bindungsfrist erfolgen, allerdings nicht vor Ablauf der Mindest-Bindungsfrist nach § 175 Abs. 4 Satz 1. Das heißt, dass die Mitgliedschaft in der Krankenkasse nicht vor Ablauf der Mindest-Bindungsfrist von 18 Monaten durch eine ordentliche Kündigung beendet werden kann, selbst wenn die Teilnahme am Wahltarif nach Ablauf der hierfür maßgeblichen Mindest-Bindungsfrist beendet ist. Es kann jedoch das Sonderkündigungsrecht gemäß § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V ausgeübt werden, wenn die Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erhebt oder einen bestehenden Zusatzbeitrag erhöht.

Für besondere Härtefälle muss die Krankenkasse in ihrer Satzung entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 53 Abs. 8 Satz 3 SGB V ein Sonderkündigungsrecht vorsehen.

Finanzierung

Die Finanzierung der Wahltarife wird in § 53 Abs. 9 SGB V geregelt. Danach müssen die Aufwendungen für jeden Wahltarif jeweils aus Einnahmen, Einsparungen und Effizienzsteigerungen aus den Wahltarifen auf Dauer finanziert werden.

Mit der Regelung des § 53 Abs. 9 SGB V verdeutlicht der Gesetzgeber, dass es zu keiner Quersubventionierung bei den Wahltarifen kommen darf. Hier ist zu beachten, dass jeder Wahltarif für sich isoliert betrachtet diese Anforderungen erfüllen muss.

Die Krankenkassen müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde regelmäßig, mindestens alle drei Jahre, Rechenschaft ablegen. Hierzu muss ein versicherungsmathematisches Gutachten über die wesentlichen versicherungsmathematischen Annahmen, die der Berechnung der Beiträge und der versicherungstechnischen Rückstellungen der Wahltarife zugrunde liegen, vorgelegt werden.

Im Rahmen der Genehmigung der Wahltarife prüfen die Aufsichtsbehörden auch die Tragfähigkeit der Tarife.

Rechtsprechung

Keine weiteren Tarife möglich, BSG vom 30.07.2019, B 1 KR 34/18 R

Nachdem einige Krankenkassen ihren Versicherten weitere als die oben genannten Wahltarife angeboten haben, hatten die privaten Krankenversicherer hiergegen geklagt. Beispielsweise wurden als Wahltarife ein besonderer Auslandskrankenversicherungsschutz, zusätzliche Auslandsleistungen, Wahltarife für häusliche Krankenpflege und für Zahngesundheit angeboten. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 30.07.2019 unter dem Aktenzeichen B 1 KR 34/18 R den privaten Krankenversicherern Recht gegeben und kam zu dem eindeutigen Ergebnis, dass diese zusätzlichen Zusatztarife unzulässig sind.

Das Bundessozialgericht führte aus, dass die gesetzlichen Regelungen, welche Wahltarife von der Gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden dürfen, für die Private Krankenversicherung drittschützend sind. Das heißt, dass die Krankenkassen keine weiteren Gestaltungsleistungen vorsehen dürfen, welche über die Wahltarife nach § 53 Abs. 4 SGB V und die Leistungserweiterungen nach § 11 Abs. 6 SGB V hinausgehen.

Die zusätzlichen freiwilligen Leistungen, welche den Krankenkassen ermöglicht werden, hat der Gesetzgeber selektiv und abschließend bestimmt, womit er die Private Krankenversicherung vor anderen, nicht von ihm autorisierten Marktzutritten schützen möchte.

Die Krankenkassen dürfen damit ihren Leistungskatalog in Form von Wahltarifen nicht um weitere bzw. zusätzliche Leistungen erweitern, wozu beispielsweise Auslandsleistungen oder die Kostenübernahme für die Unterbringung in einem Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus möglich sind.

Keine Werbung mit Rabatten bei ausgewählten Vorteilspartnern, BSG vom 30.07.2019, B 1 KR 16/18 R

In einem weiteren Urteil vom 30.07.2019, Az. B 1 KR 16/18 R hat das Bundessozialgericht entschieden, dass eine Krankenkasse nicht mit Vergünstigungen bei sogenannten „Vorteilspartnern“ werben darf. In diesem Klagefall klagte der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) gegen die AOK Rheinland/Hamburg, dass diese ihren Versicherten einen kostenlosen Fahrradhelm zusicherte, wenn ein E-Fahrrad bei einem bestimmten Händler gekauft wird.

Das Bundessozialgericht kam im Urteil vom 30.07.2019, Az. B 1 KR 16/18 zu dem Ergebnis, dass es nicht zum Aufgabenkreis der AOK als Körperschaft des öffentlichen Rechts gehört, Werbung mit Rabatten bei ausgewählten Vorteilspartnern zu betreiben. An dieser Auffassung ändert sich auch dadurch nichts, dass das Verhalten nicht unlauter im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG ist.

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