Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen
Mit § 27a Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wird geregelt, dass für Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Anspruch auf Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder von Keimzellgewebe sowie auf die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen besteht. Voraussetzung ist, dass die Kryokonservierung wegen einer Erkrankung und deren Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie medizinisch notwendig erscheint, um spätere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vornehmen zu können. Dieser Leistungsanspruch wurde mit dem am 11.05.2019 in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführt. In der Vergangenheit fiel die Kryokonservierung nicht in den Leistungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Einzelheiten zur Voraussetzung, Art und Umfang von Maßnahmen der Kryokonservierung wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie („Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen oder Keimzellgewebe sowie entsprechende medizinische Maßnahmen wegen keimzellschädigender Therapie“, kurz: Kryo-RL) bestimmt.
Die Kryokonservierung erfolgt mittels flüssigen Stickstoffs, mit dem die Zellen oder das Gewebe eingefroren und zugleich die Vitalität über einen sehr langen Zeitraum aufrechterhalten werden kann.
Mit dem Leistungsanspruch auf die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen bzw. von Keimzellgewebe wird erkrankten Frauen und Männer die Möglichkeit eingeräumt, dass diese auch nach einer keimzellschädigenden Therapie noch Kinder bekommen können.
Leistungsvoraussetzungen
Damit ein Anspruch nach § 27a Abs. 4 SGB V gegeben ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
- Die Kryokonservierung ist medizinisch aufgrund einer Erkrankung und der Behandlung mit einer keimzellschädigenden Therapie erforderlich, damit spätere Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach der Richtlinie über künstliche Befruchtung vorgenommen werden können.
- Es erfolgte eine ärztliche Beratung durch den diagnostizierenden oder behandelnden Facharzt. Zugleich muss von diesem Arzt eine Bescheinigung ausgestellt werden, welche bei einem reproduktionsmedizinisch oder andrologisch qualifizierten Facharzt vorgelegt wird.
- Der Facharzt, der die Bescheinigung vorgelegt bekommt, muss eine reproduktionsmedizinische und ggf. – sofern erforderlich – andrologische Beratung und Aufklärung durchführen.
- Bei der Einwilligung der/des Versicherten müssen die Anforderungen des Transplantationsgesetzes (TPG) beachtet werden. Das bedeutet, dass einerseits der Versicherte zum Zeitpunkt der Entnahme der Keimzellen bzw. des Keimzellgewebes einwilligungsfähig ist, andererseits auch eine Einwilligung für die Durchführung der Maßnahmen vorliegt.
Sofern die Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind, ist der Anspruch für männliche Versicherte ab dem vollendeten 50. Lebensjahr und für weibliche Versicherte ab dem vollendeten 40. Lebensjahr ausgeschlossen.
Die medizinische Indikation für die Leistungen (Kryokonservierung und die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen) liegt vor, wenn eine keimzellschädigende Behandlung erfolgen wird. Hierzu gehören unter anderem eine Strahlentherapie mit zu erwartender Schädigung der Keimdrüse, die operative Entfernung der Keimdrüse und eine potenziell fertilitätsschädigende Medikation. Ein Anspruch auf die Leistung besteht damit beispielsweise bei einer Krebserkrankung, durch deren Behandlung die Keimdrüse (Eierstock/Hoden) geschädigt werden kann.
Leistungsinhalt
Die Leistungen der Kryokonservierung beinhalten die Vorbereitung, die Entnahme, die Aufbereitung, den Transport, das Einfrieren, die Lagerung und das spätere Auftauen von Ei- oder Samenzellen sowie des Keimzellgewebes.
Daneben kann auch Ovarialgewebe zum Erhalt der Fertilität bei keimzellschädigenden Therapien eingefroren werden. Die Gewinnung des Ovarialgewebes ist ab der Pubertät frühestens nach der Menarche und bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres vorgesehen. Dass das Ovarialgewebe in die von den Krankenkassen zu übernehmende Leistung eingeschlossen wird, geht auf einen Beschluss des G-BA vom 18.08.2022 zurück. Im Nachgang des Inkrafttretens der Richtlinie zur Kryokonservierung von Keimzellen am 20.02.2021 hat der G-BA seine Beratungen weitergeführt und kam damit zu dem Ergebnis, dass auch das Ovarialgewebe mit eingefroren werden kann bzw. sollte.
Die Kryokonservierung von Hodengewebe wird hingegen nicht von der Kryokonservierung erfasst, da es sich hierbei um ein experimentelles Verfahren handelt.
Nicht alle Leistungen erfolgen durch die Ärzte selbst; beim Transport, der Kryokonservierung und der Lagerung können von den Leistungserbringern auch Kooperationsvereinbarungen mit entsprechenden Einrichtungen geschlossen werden.
Leistung kann ab 01.07.2021 in Anspruch genommen werden
Nachdem der Leistungsanspruch auf die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen am 11.05.2019 gesetzlich eingeführt wurde und in der Folgezeit (am 20.02.2021) die Kryo-Richtlinie in Kraft getreten ist, wurden für die Zeit ab 01.07.2021 die Vergütungsregelungen und Abrechnungsziffern durch den Bewertungsausschuss im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) geschaffen.
Wurde bei einem Versicherten bereits vor dem 01.07.2021 mit der Kryokonservierung begonnen, auf die nach den Regelungen auch ein Anspruch besteht, besteht rückwirkend kein Leistungsanspruch. Erst für die ab 01.07.2021 durchgeführten Teilleistungen besteht ein Anspruch.
Rechtsprechung
Urteil Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vom 14.10.2022, Az. L 16 KR 256/21
Mit Urteil vom 14.10.2022, Az. L 16 KR 256/21 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen entschieden, dass der Anspruch auf die Kryokonservierung für Versicherte erst ab dem Zeitpunkt besteht, ab dem die Kryo-Richtlinie im Jahr 2021 erlassen wurde.
In dem sozialgerichtlichen Klagefall, über den die Richter des LSG Niedersachsen-Bremen zu entscheiden hatten, hatte ein 35järhiger Mann geklagt. Der Kläger hielt sich im Jahr 2019 in Österreich auf, als akut Hodenscherzen auftraten. In einer Klinik wurde schließlich Hodenkrebs diagnostiziert. Daraufhin kehrte er zur Entfernung des Tumors sofort nach Deutschland zurück.
Nachdem die Gefahr bestand, dass er nach der Operation nicht mehr zeugungsfähig ist und er sich Kinder wünschte, empfahlen die Ärzte die Kryokonservierung der Spermien. Die zuständige Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für die Kryokonservierung im Mai 2019 mit der Begründung ab, dass die Richtlinie zur Umsetzung noch fehlt, auch wenn der Gesetzgeber hierfür die entsprechenden Grundlagen bereits geschaffen hat. Gegen diese ablehnende Haltung beschritt der Mann den sozialgerichtlichen Klageweg.
Das Landessozialgericht führt in seinem Urteil aus, dass der Anspruch auf Kryokonservierung nicht bereits mit der neuen Anspruchsnorm seitens des Gesetzgebers besteht. Im Anschluss daran musste erst noch das Nähere zu den Voraussetzungen, zur Art und zum Umfang der einzelnen Maßnahmen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Richtlinien geregelt werden. Erst mit dem Erlass dieser Richtlinie – hierbei handelt es sich um die Kryo-Richtlinie – wird der Einzelanspruch durchsetzbar geregelt.
Die Kryo-RL wurde am 20.02.2021 erlassen; zum 01.07.2021 wurden noch die entsprechenden EBM-Ziffern geschaffen. Damit bestand zur Zeit der Spermienentnahme und zu Beginn der Lagerung im November 2019 noch kein Leistungsanspruch. Der Leistungsanspruch kann sich erst ab Erlass der Kryo-RL ergeben und nicht bereits für eine Zeit davor, so die Richter des LSG Niedersachsen-Bremen.