Landessozialgericht Hessen 25.09.2012, L 2 R 308/11

Urteil zu Hörhilfen zu Lasten der Gesetzlichen Rentenversicherung.

  • Aktenzeichen: L 2 R 308/11
  • Spruchkörper: 2. Senat
  • Instanzenaktenzeichen: S 16 R 741/08
  • Instanzgericht: Sozialgericht Frankfurt/Main
  • Gericht: Hessisches Landessozialgericht
  • Entscheidungstyp: Urteil
  • Entscheidungsdatum: 25.09.2012

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten für zwei ausgewählte Hörhilfen zu erstatten.

Der 1962 geborene Kläger ist von Beruf Prüftechniker und beantragte im März 2008 bei der Beklagten die Übernahme von Kosten für zwei Hörhilfen. Während des Verfahrens legte er einen Kostenvoranschlag vom 19. Februar 2008 der Firma Hörgeräte XY., C Stadt, vor, nach dem die gewählten Hörgeräte einschließlich Reparaturpauschale 3.475,80 EUR gekostet hätten. Als Zuschuss der Krankenversicherung wurde ein Betrag in Höhe von 1.212,80 EUR angegeben. Demzufolge machte der Kläger noch einen Betrag in Höhe von 2.283,00 EUR gegenüber der Beklagten geltend. Der Kläger trug vor, die Hörgeräte benötige er aus beruflichen Gründen. Als Grad der Behinderung seien ihm ein GdB von 70 und das Merkzeichen "RF" zuerkannt worden. Er legte eine Auskunft seines Arbeitgebers, ZZ., C-Stadt, vom 31. März 2008 vor. Hierin wurde unter anderem ausgeführt, bei der Berufstätigkeit des Klägers sei die Notwendigkeit der Reaktion auf akustische Signale gegeben. Bei den Prüfungen von Wärmegeräten und umlaufenden Maschinen sei dies erforderlich. Außerdem sei am Arbeitsplatz die Kommunikation mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden erforderlich. Der Arbeitgeber beteilige sich nicht an den Kosten für das Hörgerät. Mit Bescheid vom 27. Mai 2008 lehnte die Beklagte die Übernahme für die Hörgeräte ab. Die Versorgung mit Hörgeräten sei grundsätzlich dem Leistungskatalog der Krankenversicherung zuzuordnen. Eine Kostenübernahme im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei nur möglich, sofern dies ausschließlich berufsbedingt bzw. zur Berufsausübung notwendig sei. Der Kläger sei als Prüftechniker tätig. Nach den allgemeinen Tätigkeitsbeschreibungen für diese Beschäftigung sei hierfür ein Hörvermögen ausreichend, das auch mit einem normalen Hörgerät erreicht werden könne. Besondere Anforderungen an das Hörvermögen würden nicht gefordert. Für die Berufsausübung sei der Kläger somit nicht auf ein spezielles Hörgerät angewiesen. Eine Kostenübernahme im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben könne daher nicht erfolgen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers, der vortrug, seine Tätigkeit als Prüfer setze ein besonders gutes Hörvermögen voraus, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2008 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 5. Oktober 2008 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Er verwies hierbei auf eine Bestätigung der Hals-Nasen-Ohrenärzte QQ. vom 10. Juli 2007.

Die Beklagte erwiderte, dass der Kläger die streitgegenständlichen Hörgeräte seit 2007 probehalber trage. Die Rechnung für die Geräte datiere vom 19. März 2008. Die Abrechnung mit der Krankenkasse (Beigeladenen) sei schon im Juli 2007 erfolgt. Damit handele es sich um einen Antrag auf Kostenerstattung im Sinne von § 15 SGB IX. Hier sei darauf hinzuweisen, dass eine Kostenerstattung außer in den Fällen der Unaufschiebbarkeit nur verlangt werden könne, wenn der Leistungsträger die Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Dies setze das Abwarten der Entscheidung über den Leistungsantrag voraus. Da dies nicht erfolgt sei, komme eine Kostenerstattung durch die Beklagte bereits aus diesem Grund nicht in Betracht.

Die Beigeladene vertrat die Auffassung, sie habe mit der Bewilligung der vom Kläger im Juli 2007 beantragten Kostenübernahme in Höhe der Versorgungspauschale den Leistungsanspruch des Klägers erfüllt. Wähle der Versicherte ein nichteigenanteilsfreies Versorgungsangebot, habe er eine Erklärung abzugeben und zu unterschreiben. Danach erkläre er sich mit der Zahlung der Mehrkosten für das von ihm ausgewählte Hörgerät und den damit verbundenen Mehrkosten einverstanden. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag, sondern um eine vertragsgemäße Versorgung. Bei dem Kläger bestehe eine mittel- bis hochgradige Schwerhörigkeit. Eine über die Leistungen der Versorgungspauschale hinausgehende Leistung der Krankenversicherung sei daher nicht zu gewähren. Die Beigeladene teilte dem Sozialgericht mit, sie verfüge über keine Verwaltungsakte zu dem vorliegenden Verfahren.

Das Sozialgericht holte Befundberichte von dem Hals-Nasen-Ohrenarzt QQ. vom 29. Januar 2009 und 3. November 2010 sowie von dem Arzt für Innere Medizin Dr. WW. vom 9. Juni 2009 ein. Außerdem zog das Sozialgericht die Schwerbehindertenakte des Klägers vom Versorgungsamt A-Stadt bei. Weiter holte das Sozialgericht Auskünfte vom ZZ. Prüf- und Zertifizierungsinstitut, C-Stadt, vom 26. Oktober 2009 und 19. Oktober 2010 sowie von der Firma Hörgeräte XY. vom 30. November 2010 und 15. Februar 2011 ein. Mit Urteil vom 23. Mai 2011 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, der geltend gemachte Anspruch des Klägers bestünde weder gegenüber der Beigeladenen noch gegenüber der Beklagten. Der Kläger habe gegenüber der Beigeladenen weder behauptet, die beantragten Hörgeräte seien zum Ausgleich der Behinderung nicht ausreichend noch benötige er besondere Hörgeräte allein aus beruflichen Gründen. Die Ansprüche des Klägers gegen die Beigeladene seien damit mit der Gewährung der Versorgungspauschale abgegolten. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen die Beklagte. Hier habe er sich erstmals am 11. März 2008 gemeldet. Die ohrenärztliche Verordnung für die Hörhilfe sei jedoch bereits am 5. Juli 2007 ausgestellt worden. Am 18. Februar 2008 habe er die Geräte abgenommen. Damit sei das Verwaltungsverfahren der Hörgeräteversorgung beendet gewesen. Der Kläger habe den vorgeschriebenen Beschaffungsweg nicht eingehalten. Die Beklagte habe somit keine Möglichkeit gehabt, den Fall zu prüfen und ein Verwaltungsverfahren durchzuführen. Die Voraussetzungen des § 15 SGB IX seien nicht erfüllt. Der Kläger hätte entweder den Antrag bei beiden Trägern stellen oder auf die von ihm gewünschte besondere Fallgestaltung hinweisen müssen.

Mit seiner am 6. Juli 2011 eingelegten Berufung richtet sich der Kläger gegen das ihm am 6. Juni 2011 zugestellte Urteil. Er macht weiterhin geltend, allein aus beruflichen Gründen auf die Hörgeräteversorgung angewiesen zu sein. Privat benötige er die Hörgeräte nur eingeschränkt. Er habe keine Kinder und keinen Partner. Er schaue viel Fernsehen und benutze dazu ausschließlich Köpfhörer ohne Hörgerät. Zu den Ursachen seiner Schwerhörigkeit führte er aus, am 14. Juni 1985 in der Halle B des EE. Kabelarbeiten verrichtet zu haben. Hier habe eine Bombenexplosion stattgefunden. Dies sei der Anfang seiner Hörbeschwerden gewesen, auch wenn diese zunächst vergleichsweise geringfügig gewesen seien. Mittlerweile benötige er spezielle Hörgeräte. Er sei hochgradig schwerhörig, habe einen GdB von 70 mit dem Merkzeichen "RF". Er sei Prüftechniker und für die Erfüllung seiner dortigen Tätigkeit auf ein besonders gutes Hörvermögen angewiesen. Die Krankenkasse sei der erstangegangene Rehabilitationsträger gewesen. Sie sei dafür zuständig, den Anspruch auf die beantragte Leistung zu erbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 23. Mai 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2008 zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 2.283,00 EUR für die Anschaffung der Hörgeräte laut Kostenvoranschlag der Firma XY. vom 19. Februar 2008 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte. Im Übrigen gehe der Kläger inzwischen selbst davon aus, dass die Krankenkasse für die Leistungserbringung zuständig sei.

Die Beigeladene verzichtet auf eine Antragstellung. Sie hält ebenfalls das angefochtene Urteil für richtig. Die in der Berufungsbegründung vorgetragenen Argumente sprächen nicht für eine weitergehende Leistungspflicht der Beigeladenen, sondern für eine grundsätzliche Verpflichtung der Beklagten. Soweit darauf hingewiesen werde, dass die Beigeladene der erstangegangene Rehabilitationsträger sei, sei zu beachten, dass bei ihr lediglich der Vertragspreis beantragt worden sei. Diesem Antrag habe die Beigeladene vollumfänglich entsprochen. Mehrkosten seien bei ihr nicht geltend gemacht worden.

Der Senat hat eine Auskunft der Firma Hörgeräte XY. vom 9. Februar 2012 eingeholt. Danach hat der Kläger 2008 seine ersten Hörgeräte von der Firma XY. bekommen. Unterlagen aus vorherigen Versorgungen lägen nicht vor.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rehabilitationsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten für die Anschaffung der streitgegenständlichen Hörgeräte hat.

Da der Kläger die Hörgeräte bereits selbst angeschafft hat, wird vorliegend nur um die Erstattung der aufgewendeten Kosten gestritten, und zwar um die Erstattung der Kosten, die über den von der Beigeladenen geleisteten Festbetrag für Hörgeräte hinausgehen. Ob dem Kläger die Kosten für die selbst beschafften Hörgeräte zu erstatten sind, richtet sich nach der Vorschrift des § 15 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX).

Nach § 15 SGB IX hat der Rehabilitationsträger dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig darüber Mitteilung zu machen, dass er über einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb der Fristen des § 14 Abs. 2 SGB IX entscheiden kann. Erfolgt die Mitteilung nicht oder liegt ein zureichender Grund nicht vor, können Leistungsberechtigte dem Rehabilitationsträger eine angemessene Frist setzen und dabei erklären, dass sie sich nach Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist der zuständige Rehabilitationsträger unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet. Die Erstattungspflicht besteht auch, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Ob § 15 SGB IX als unmittelbare Rechtsgrundlage im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung Anwendung findet, kann dahingestellt bleiben, da die Vorschrift jedenfalls entsprechend anzuwenden ist (BSG, Urteil vom 21. August 2008, B 13 R 33/07).

Ein Anspruch gegen die Beklagte kommt aber nur in Betracht, wenn diese der für die Gewährung der geltend gemachten Leistung zuständige Versicherungsträger gewesen ist. Im vorliegenden Fall scheitert der Anspruch an der fehlenden Zuständigkeit der Beklagten. Denn der Kläger hatte vor der Beantragung der Mehrkosten im März 2008 bereits einen Leistungsantrag bei der Beigeladenen auf Gewährung einer Hörgeräteversorgung gestellt. Dieser Leistungsantrag beinhaltet grundsätzlich den Anspruch auf Hörgeräteversorgung in angemessenem und zum Ausgleich der Hörminderung erforderlichen Umfang und beschränkt sich nicht auf die Beantragung einer Leistung zum Festbetrag. Schon die Versorgungsanzeige eines Hörgeräteakustikers an die Krankenkasse ist ein Antrag des Versicherten auf Gewährung eines Hörgerätes auch über den später geleisteten Festbetrag hinaus (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. November 2010, L 13 R 37/10). Dementsprechend ist die Beigeladene mit dem Antrag des Klägers vom Juli 2007 erstangegangener Leistungsträger im Sinne des § 14 SGB IX. Eine Änderung der Zuständigkeit ist in der Folgezeit nicht eingetreten. Der zweitangegangene Leistungsträger darf über den bei ihm gestellten Anspruch nicht mehr entscheiden (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. September 2011, L 4 R 56/10).

Die Beigeladene war im vorliegenden Rechtsstreit nicht nach § 75 Abs. 5 SGG als leistungspflichtiger Träger zu verurteilen. Denn das Verwaltungsverfahren war mit der Entscheidung der Beigeladenen vom Juli 2007, dem Kläger den bestimmten Festbetrag für Hörgeräte zu zahlen, abgeschlossen und bindend geworden. Die Entscheidung enthält sowohl die positive Aussage über den Festbetrag als auch die negative Erklärung, keine weiteren Kosten zu übernehmen. Der Kläger hat die Beschränkung auf den Festbetrag nicht angegriffen und keine weiteren Ansprüche gegen die Beigeladene geltend gemacht. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beigeladenen vom Juli 2007 ist somit nur über § 44 Abs. 1 SGB X durch die Beigeladene in einem gesondert durchzuführenden Verwaltungsverfahren überprüfbar, für das ihre Zuständigkeit bestehen bleibt (BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 19/08; BSG in SozR 1500 § 75 Nr. 38).

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil es an den Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG fehlt.

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